Kapitel 19 Ausgrenzen

175 22 18
                                    

Kapitel 19 Ausgrenzen

„In deiner Akte steht Hassan, wieso stelltest du dich in der Anfangssitzung mit Mustafa vor?", fragt Dan seinen Probanden bei der 1. Sitzung.

Mustafa war ihm gleich sympathisch. Das Aufnahmegespräch verlief mit guter Stimmung. Mustafa lächelt und lacht herzlich. Er wirkt warmherzig und ist sozial sehr engagiert. Den Zugang zu seinem Unbewussten hat er jedoch noch nicht entdeckt. Seine gute Erziehung und seine Intelligenz bildeten ein starkes Ich. Und so geriet er scheinbar selten in innere Konflikte.

Dieser Mustafa sitzt nun Dan gegenüber in der Praxis. Er ist die 15 Uhr Sitzung. Auch seine Akte schaute er sich heute genauer an, als er händeringend die Zeit verstreichen lassen wollte. Die heutige Sitzung mit Lee ist erst um 18 Uhr und für Dan vergehen die Minuten wie Stunden.

Er versucht sich abzulenken, seine Gedanken bei den Sitzungen zu halten.

Auch wenn er sich bereit fühlt, weiß, was er will und seine innere Balance gefunden hat, kann er nicht leugnen, dass sein Herz flimmert, hämmert, rast, aussetzt.

Den ganzen Tag schon. Sein Herz scheint der Manie verfallen zu sein. Er kann es nicht ändern, er sehnt sich so.

Und so sitzt er gegenüber von Mustafa und wahrt seinen äußeren Schein.

Brillant wie immer. Nur mit einem wilden Herzen.

Und dieser Mustafa, so stellte heute Dan mit Erstaunen fest, heißt eigentlich Hassan.

Hassan hat libanesische Wurzeln, ist aber in Berlin geboren. Seine Eltern sprechen kein Deutsch, obwohl sie seit 34 Jahren in Deutschland leben. Er hat mehrere Geschwister. Einige ältere, einige jüngere. Alle bildungsaffin und erfolgreich.

„Das ist eine witzige Geschichte", beginnt Hassan und lacht, „Den Namen haben mir meine Freunde in der Oberschule gegeben."

„Und erzählst du mir auch die Geschichte dazu?", leitet Dan.

Wir hatten einen Geschichts-Lehrer, der mich immer so nannte, wenn er über mich sprach. Ich sei halt so ein Mustafa", sagt Hassan und lacht wieder, „So ein Mustafa halt. Er fand das lustig. Wir auch. Also begannen meine Freunde auch mich Mustafa zu nennen", berichtet Hassan sichtlich amüsiert.

Dan stutzt kurz und fragt sich, ob Hassan die Schwere seiner Geschichte überhaupt wahrnimmt.

„Was ist denn an Mustafa so witzig?", versucht Dan, Hassan aus der Reserve zu locken.

Hassan antwortet höflich: „Naja, du weißt schon. Der Name Mustafa ist doch ein geläufiger Name im orientalischen Raum. Und hier in Berlin heißen halt auch viele Mustafa."

Dan schweigt kurz und guckt Hassan eindringlich an.

„Hassan ist doch auch ein geläufiger Name. Warum also Mustafa? Wieso hat er dich nicht Hassan genannt? Wäre das nicht genau so lustig?", fragt Dan ernst.

Hassan verzieht für einen flüchtigen Moment das Gesicht und lächelt wieder.

„Er fand wohl Mustafa lustiger", erklärt er.

„Und wie findest du Mustafa?", fragt Dan.

„Ist nur ein Name. Mein Name ist aber Hassan", ertönt seine Stimme tiefer.

„Warum lässt du dich dann Mustafa rufen? Du hast dich letzte Woche bei mir sogar mit Mustafa vorgestellt.Wie heißt du denn nun?", treibt Dan ihn an.

„Hassan", antwortet dieser nun genervt, „Ich heiße Hassan. Nicht Mustafa. Hassan."

Und Hassan fühlt eine aufsteigende Wut. Wieso muss er ihm ständig die gleiche Frage stellen? Was erlaubt er sich überhaupt?

Und Dan sieht, wie Hassan seine verdrängte Wut auf ihn überträgt. Die Wut, die durch Enttäuschung und Ausgegrenztsein entsteht. Und als negativen Antreiber den Migranten stets das Leben in der Fremde erschwert.

Dan weiß, dass es jetzt auf seine Gegenübertragung ankommt, damit Hassan seine verdrängten Gefühle wahrnimmt und durchlebt.

„So ein Mustafa halt. Wie geht es dir bei dieser Aussage?", fragt Dan ruhig.

Hassan schluckt und schweigt.

„Mhmmm. Ein Geschichts-Lehrer, sagst du. Ein Vorbild, das den Kindern die Geschichte der Menschheit aufzeigt. Der kann einen Mustafa nicht von einem Hassan unterscheiden", denkt Dan laut.

„Er will den Unterschied nicht sehen.

Oder er will nur Unterschiede sehen.

Ich sehe halt aus, wie eines der Mustafas.

Wir sehen alle gleich aus.

Hauptsache, wir sehen anders aus als die Deutschen.

Du wirst halt immer vor einen Spiegel gestellt.

Du bist anders.

Du gehörst nicht dazu", sprudelt es aus Hassan heraus, „Ich meine, wie oft wurde ich schon dafür gelobt, dass ich ein guter Ausländer sei.

Ein guter Ausländer.

Scheinbar dann wohl kein schlechter wie Mustafa."

Hassan schüttelt den Kopf und beginnt verschiedene Anekdoten seines Lebens zu erinnern.

Ob positiver oder negativer Rassismus, seine Geschichten zeigen, dass er in seinem Bildungsweg stets Hürden überspringen musste. Hürden, die ihm in den Weg gestellt wurden, weil er halt ein Mustafa ist.

Er erleichtert sich. Berichtet, dass er deswegen gerne besonders eloquent wirken möchte.

Dass ihn diese Verletzung nur stärker mache. Er nicht aufhören werde, Menschen zu zeigen, dass es nicht auf die Unterschiede ankäme.

Dass Vielfalt bunt und schön ist.

Dan horcht zufrieden den Ausführungen Hassans, während sein Herz sich wieder auf eine Achterbahnfahrt begibt.

Er denkt an Lee. Er wird ihn bald sehen.

Und er möchte ehrlich zu ihm sein. Erklären. Beschreiben.

Um Vergebung bitten.

Und er hofft, dass sein heute verrückt spielendes Herz bis 18 Uhr durchhält.

Dan guckt auf die Uhr über der Tür und beendet die Sitzung.

Das Analyse-Gespräch führen Hassan und Dan beim Spazierengehen auf der Museumsinsel in der historischen Mitte Berlins in der Nähe der Humboldt-Universität.

Während sie an den fünf Museen des bedeutendsten Museumskomplexen Europas entlang spazieren, sprechen sie auch über die psychologischen Gründe des Rassismus. Eine weltweite menschliche Schwäche, die aus Angst entsteht und durch sozialpsychologische Phänomene verstärkt wird.

Hassan erzählt Dan von seinen Freunden, die diese Art von Ausgrenzung durch destruktive Verhaltensweisen kompensierten. Auch ausgrenzten. In der neuen Heimat nie Fuß fassen konnten. Nur in ihrer eigenen Kultur blieben.

Und Dan vermerkt innerlich, dass er in der nächsten Sitzung mit Hassan über seine Eltern sprechen möchte. Was es mit ihm macht, dass sie noch immer kein Deutsch können. Dass die Kinder sich immer schon um alle Behördengänge kümmern mussten. Dass nie ein Elternabend in der Schule besucht wurde.

Dan ist guter Dinge. Hassan ist ihm sehr sympathisch. Er fühlt sich auch erleichtert. Reden hilft. Ihm auch.

Und als er auf der Uhr feststellt, dass es bereits 17.25 Uhr ist, schießt ihm der Adrenalin durch die Venen. Er verabschiedet sich und läuft zügig zurück zum Campus.

Er will da sein, wenn Lee früher klopft. Er grinst bei dem Gedanken und läuft schneller.

Die Psychologie der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt