Kapitel 22 Flashback

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Kapitel 22   Flashback

Dan bebt am ganzen Körper, als er das Zimmer von Lee betritt. Seine Verzweiflung zeigt sich durch Wut und er hat vor, Lee aufzurütteln.

Doch als er die Verwüstung im Zimmer erblickt, stockt ihm der Atem und die Wut entrinnt aus seinem Körper.

Alle Bücher liegen quer verteilt auf dem Boden. Manche direkt an der Wand. Die Spuren des Knalles sind an der Wand zu sehen.

Zerknickte Seiten. Verbeulte Cover. Verletzte Risse.

Keine Stapel. Kein System. Keine Klarheit.

Fort sind alle Rückzugsörtchen. Die Holzplatten der kleinen, selbstgemachten Tischchen scheinen ihren Sinn nicht mehr erfüllt zu haben. Sie liegen umhergeworfen auf Bücherleichen.

Die hohen Bücherregale sind leer.

Dans Kloß im Hals erstickt ihn.

Die Bücherregale Lees, sein Fundus, seine Geschichte.

Leer.

Dan beginnt, in der Verwüstung nach Lee zu suchen.

Er spürt eine tiefe Sorge in sich aufsteigen.

Und erst als er Lee auf seinem Bett zusammengekauert sieht, wagen seine Lungen wieder Sauerstoff aufzunehmen.

Dan kann den Kloß nicht mehr halten.

Ihm fließen stille Tränen über das Gesicht.

Lee ist unsichtbar.

Sein in Schwarz umhüllter Körper verschwindet auf seiner schwarzen Decke.

Dans Augen wollen nicht wahrhaben, was sich hier in diesem Zimmer abgespielt hat.

Was Lee in seiner Finsternis erleiden musste.

Ohne Dan.

Ein leises Schluchzen entweicht aus seinem Mund.

Er bricht.

Seine Schuld erdrückt ihn.

Er war nicht da.

„Wie du siehst, ist es besser, wenn du gehst", hört Dan Lees ernste Stimme, „Ich möchte lieber für mich sein. Geh, bitte!"

„Das werde ich nicht tun. Ich werde nicht gehen. Ich sehe nichts, was mich zum Gehen bewegen würde", antwortet Dan und versucht, über das Meer an untergegangen Büchern zu steigen.

Näher zu Lee. Er will zu ihm.

„Du forderst mich heraus. Du willst, dass ich dich davon überzeuge. Dir mein wahres Gesicht zeige", hört Dan Lee mit rauem Ton sagen, während er versucht, ohne Lees Bücher noch mehr zu zerstören, voran zu kommen.

„Ich habe dein wahres Gesicht schon gesehen. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du nicht gruselig bist, du bist eher aufregend. Also, zeige dich mir ruhig. Nimm es als Herausforderung", sagt Dan mild und klettert Lees Mauern weiter hoch.

„Und wenn ich dir sage, dass ich das gar nicht war", flüstert Lee ängstlich, „Meine Mutter war es. Sie will, dass ich mich auflöse. Sie steht da und zwingt mich, zu verschwinden. Sie will nicht, dass ich da bin. Nichts soll an mich erinnern."

Dans Gedärme verdrehen sich von innen.

Ein schreiender Schmerz rennt durch seinen Körper.

Er fühlt Lee.

Seine Angst. Seine Einsamkeit. Seine Finsternis.

Brodelnd heiße Tränen begleiten Dans erneutes Aufschluchzen. Er ringt um Fassung und fragt mit zittriger Stimme: „Wo ist deine Mutter? Lee, seit wann ist sie da?"

Die Psychologie der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt