Kapitel 34 Kamerad

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Kapitel 34   Kamerad

„Dan, Lee, ich bin so froh, euch zu sehen", strahlt ihnen Professor Österreich entgegen.

„Du siehst viel besser aus, Lee. Gut, dass Dan am Freitag nach dir geschaut hat. Das ist wahre Freundschaft. Wahre Kameraden stehen einander bei. Gehen durch dick und dünn. Ja, nicht jeder hat das Glück, in dem einen Leben, das uns geschenkt wurde, einen wahren Freund zu finden", sagt Österreich und klopft seinem Freund Dieckmann auf die Schulter.

„Naja", antwortet Dieckmann, „Nicht alle sind darüber so erfreut, wenn wahre Kameraden immer füreinander einstehen. Wie oft hast du dich mit deiner Frau gestritten, weil du zu mir geeilt bist. Als sei ich ein erkältetes Kind, dass alleine nicht zurecht kommt", lacht Dieckmann und klopft Österreich auf die Schulter.

Beide lachen herzlich und erinnern ihre Studentenzeiten.

Österreich hatte seine große Liebe nach dem Abitur geheiratet. Als er dann den selbstbewussten und klugen Dieckmann im ersten Semester ihres Psychologiestudiums kennen lernte, fand er seine zweite geistige Hälfte.

Der Mann von der Nordseeküste, der seine Gedankengänge verstand.

Sie befreundeten sich und studierten gemeinsam die alten Meister der Psychologie.

Und weil Dieckmann nie gewillt war, die liebevolle Fürsorge einer Frau in sein Leben zu lassen, machte sich Österreich immer Sorgen, wenn er erkrankte.

Dieckmanns gesamte Familie lebte in Emden, der größten Stadt Ostfrieslands an der deutschen Nordseeküste. Er war der erste Sohn von vier Brüdern und einer Schwester und entschied nach dem Abitur, die Heimat zu verlassen.

Als er seinen Eltern mitteilte, dass er in Berlin studieren werde, brach für die Familie eine Welt zusammen. Seine Mutter weinte und wollte ihren Erstgeborenen nicht loslassen.

Doch Dieckmann konnte nicht anders.

Der Drang, eine neue Welt fern ab der ihm bekannten Gezeiten zu entdecken, sich selbst zu befreien, zu erkunden und seinem Leben neue Wege aufzuzeigen, stand über dem sicheren Gefühl der familiären Fürsorge.

Und es sollte Berlin sein. Die Stadt der zerrissenen Herzen.

Eine lange, alles erstickende Mauer teilte 1976 noch die Stadt. Sie zog ihre tiefen Krallen durch ganz Deutschland, zerriss das Land in zwei Hälften.

Trennte Familien, Freunde, Gedanken und Ideologien.

Und in Berlin, das kleine Herz des Landes, lief still und gefährlich die Mauer durch die Straßen.

Teilte Westen und Osten, Wege, Landschaften, Sehnsüchte.

Der Schmerz des Zerrissen-Seins wütete auch in Dieckmann. Er musste fort. Und sich im zerrissenen Herzen Deutschlands seiner eigenen Identität stellen.

Er begann an der Freien Universität Berlin, damals noch Westberlin, Psychologie zu studieren.

Und so traf er auf Bernhard Österreich. Der kleine, junge Mann mit Brille, der durch seine ungeduldigen Fragen während der Vorlesung den Professor aus der Fassung brachte.

Ihn zum Lächeln und Schmunzeln brachte.

Ein Mann, der sich an ihn klammerte und ihn überall hin folgte.

Sie freundeten sich an und durchliefen ihren Bildungsweg gemeinsam.

Durchlebten den Befreiungsschlag des Mauerfalls 1989.

Sahen die vereinten Herzen sich umschließen.

Kämpften mutig mit den verhärteten Vorstellungen und Ausgrenzungen der Deutschen gegen ihre eigenen, neu gefunden deutschen Kameraden.

Die Psychologie der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt