Kapitel 11 - Lycaon

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„Also, wie genau ist das jetzt noch einmal passiert?", fragte Lycaon, um sich von gleich zwei Sachen abzulenken. Zum einen war da der Fakt, dass sein Seelengefährte gerade oberkörperfrei vor ihm saß, während er dessen Wunde verarztete, und zum anderen das Thema der Vollmondtaufe, das ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr in Ruhe ließ.

Es war stets ein großer Schritt im Leben von Gefährten, wenn sie diese durchführten. Logisch gesehen, wäre sie aber auch einer der nächsten Punkte, die auf der Liste von Zadens und seinem gemeinsamen Leben standen.

Lycaon selbst fühlte sich nun schon seit einiger Zeit dazu bereit, mit Zaden diesen nächsten Schritt zu gehen, doch hatte er keine Ahnung, wie er seinen Gefährten darauf ansprechen sollte. Er wusste von sich selbst, dass er nur allzu gerne eine tiefere und innigere Verbindung mit Zaden eingehen wollte. Sich danach sehnte, zu jeder Zeit und in jeder Form in der Lage zu sein, mit Zaden zu reden, seine Gefühle mit ihm teilen und im Gegenzug Zadens Gefühle so spüren zu können, wie als seien es seine eigenen. Er wollte ihrer Verbindung auf eine ganz neue und verbundenere Ebene heben, doch um dies zu tun, müsste er so langsam mal den Mund aufkriegen und Zaden fragen, was er von dem Ganzen hielt.

Der nächste Vollmond war zwar erst in etwas über zwei Wochen und danach würden noch unzählige weitere kommen, an denen sie ihrer Bindung vervollständigen könnten, aber wieso sollten sie noch länger warten und unnötig Zeit verschwenden, wenn sie auch jetzt schon beide dazu bereit waren? Doch je mehr Tage verstrichen und je öfter er die Chance versäumte, Zaden auf das Thema anzusprechen, desto mehr hatte er das Gefühl, als würde ihm die Zeit davonlaufen.

Lycaon wusste, was er wollte, und würde Zaden unabhängig von seiner Antwort auch nicht verurteilen. Ein Ja, wäre zwar unglaublich, eine Zurückweisung aber auch nicht das Ende der Welt – ihrer Welt. Es bedeutete lediglich, dass Zaden noch etwas Zeit bräuchte und er ihm diese Zeit ohne Wenn und Aber einräumen würde. Aber wieso schaffte er es dann trotzdem nicht, seine Zweifel und Nervosität über Bord zu werfen und ihn zu fragen? Sie waren immerhin Seelengefährten. Wieso also fand er nie die richtigen Worte, den richtigen Zeitpunkt oder auch einfach den Mut, um die Worte auszusprechen?

„Ich habe bei der Jagd nicht aufgepasst und bin unter einem umgefallenen Baumstamm hängen geblieben", murmelte Zaden und wurde dabei mit jedem Wort leiser.

Lycaon hob den Kopf in die Richtung seines Gefährten, während er die Paste, die er aus Spitzwegerich zubereitet hatte, mit den Fingern durchrührte. „Was hast du gesagt?", hackte er nur nach, um Zaden etwas zu aufzuziehen. Er wusste schon längst von den Geschehnissen, die sich bei der heutigen Jagd ereignet hatten. Tesfira hatte kaum einen Fuß durch die Tür gesetzt, da hatte sie ihn schon beiseite gezogen und zwischen mehreren Lachanfällen hindurch berichtet, was geschehen war, bevor Zaden kurz nach ihr erschienen war. Außerdem war es auch eine gute Taktik, seine Gedanken von anderen Themenbereichen, wie nächsten Schritten und Vollmondtaufen, fernzuhalten, wenn er sich stattdessen darauf konzentrierte, seinen Gefährten etwas zu sticheln.

„Ich war zu sehr auf das Kaninchen fokussiert, dass ich meine Größe unterschätz habe und unter einen umgefallenen Baumstamm hängengeblieben bin", murmelte Zaden und Lycaon konnte spüren, wie er beschämt unter seiner Berührung hin und her rutschte, während er vorsichtig die Wunde ertastete.

„Halt still", wies Lycaon ihn, während er die Paste auf seinen Fingern balancierend versuchte Zadens Wunde wieder zu finden. Es war zwar nur eine oberflächliche, wenn auch große, Schürfwund, die er sich zugezogen hatte und von der sein Gefährte nichts als ein verletztes Ego davontragen würde, trotzdem war es auch wichtig, diese richtig zu versorgen, wollte man verhindern, dass sie sich nicht im schlimmsten Falle noch entzündete.

„Tut mir leid", sagte Zaden und hielt still, konnte ein Zischen und Zusammenzucken, als die Paste seine Wunde traf, aber trotzdem nicht unterdrücken.

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