Kapitel 22 - Lycaon

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„Und du bist dir wirklich sicher, dass du das alleine machen möchtest?", fragte Zaden ihn zum Wiederholtesten Mal an diesem Morgen. Und zum wiederholtesten Male war Lycaons Antwort die Gleiche.

„Ja."

„Aber-"

„Nichts aber, Zaden", erwiderte Lycaon. Er stellte sich so, dass er seinem nervösen Gefährten direkt gegenüberstand und zog seinen Schall etwas enger um sich, als ein kalter Wind durch die Häuser fuhr. „Ich muss das alleine durchziehen und endlich über meinen Schatten springen. Außerdem sind wir hier doch nur ein paar Häuserreihen von Rye und Xanthar entfernt, oder?"

„Ja", gab Zaden zögerlich zu und Lycaon meinte zu hören, wie er unruhig von einem Fuß auf den anderen trat.

„Also, wenn was passieren sollte, sind die zumindest schon mal in der Nähe und dich kann ich ja immer erreichen. Du bist ja immer nur einen Gedanken entfernt."

„Nur einen Gedanken entfernt", wiederholte Zaden die Worte und klang dabei mehr so, als würde er sich selbst versuchen zu beruhigen anstatt Lycaon.

„Genau", sagte er und hob seine Hand, in der er einen langen Stock hielt. „Und zur Not habe ich noch immer den hier. Wenn mich jemand ärgert, hau ich sie einfach um, und bis dahin wird er mir als Blindenstock dienen."

„Wieso hast du nicht früher gesagte, dass dir ein Blindenstock helfen würde?"

„Weil ich die Dinger hasse und ich mich geweigert habe, meinen weiter zu benutzen, nachdem ich mich in meinem alten Rudel auskannte?", bot Lycaon an und zuckte mit den Schultern. „Mein alter Blindenstock ist über die letzten Jahre nur irgendwo bei meinen Eltern im Haus vergammelt und tut es wahrscheinlich immer noch. Außerdem hatte ich bisher immer jemanden, der mir geholfen hat."

Er hörte Zaden seufzen. „Okay, aber sag mir sofort beschied, wenn was ist. Ja?"

„Ja, werde ich machen", sagte Lycaon, bevor er Zaden einen leichten Schubs gab. „Jetzt geh aber. Die paar Stufen zur Haustür schaffe ich alleine und du verpasst deine Versammlung, wenn du dich nicht langsam mal beeilst."

Zaden ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. Anstatt zu gehen, zog er ihn noch einmal an sich heran und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor er seine Hände auf Lycaons Hüften ruhen ließ. „Pass auf dich auf."

„Werde ich. Jetzt geh schon."

„Ich mache ja schon, aber ich bekomme so ein bisschen das Gefühl, dass du mich loswerden willst."

„Ach, echt!", erwiderte Lycaon theatralisch und hob drohend seinen Blindenstock in Zadens Richtung. „Jetz geh schon, bevor ich dich mit dem umhaue."

„Das würdest du nicht tun."

Er zog herausfordernd die Brauen hoch. „Bist du dir da wirklich ganz sicher, Zaden? Willst du es drauf anlegen?"

„Äh ... nein. Lieber nicht."

„Gut, dann sieh zu, dass du Land gewinnst. Du bist der Beta. Also sollest du verdammt nochmal ein Vorbild sein und pünktlich zu den Sitzungen des Rudelrates erscheinen."

„Aber Talon kommt auch gerne mal zu spät."

„Zaden", sagte Lycaon. Seine Stimme fast schon so gefährlich leise klingend wie Maewyn es immer hinbekommen hatte.

„Ist ja schon gut", lenkte Zaden ein und nahm beschwichtigend die Hände von seinen Hüften. „Ich geh ja schon, aber vergiss nicht, dich sofort zu melden, wenn was ist."

„Werde ich machen", wiederholte er und wartete noch einige Sekunden, während er Zadens leiser werdenden Schritten lauschte. Erst dann drehte er sich um und stieg langsam die fünf Stufen zur Eingangstür hinauf, wobei er jeden in Gedanken mitzählte. Oben angekommen holte er dann erst noch einmal tief Luft und umklammerte seinen Stock stärker, bevor er anklopfte.

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