„Hey", sagte Zaden und ließ sich neben Lycaon auf der alten Bank nieder, die mittlerweile zu ihrem Platz geworden war. Im Rudeldorf um sie herum herrschte eine ungewohnte Stille. Einzig das leise Rascheln der Blätter im Wind, der ihnen von Zeit zu Zeit wenigstens mal eine kleine Abkühlung von der unerträglichen Hitze schenkte, war zu hören. Fast jeder blieb drinnen, wagte sich nur dann vor die Tür, wenn es wirklich nötig war, und versuchte ansonsten der Sonne zu entgehen.
Seit Tagen strahlte diese nun schon so erbarmungslos auf das Dorf herunter und hatte dafür gesorgt, dass die Erde ganz trocken und rissig geworden. Auch hatten mittlerweile all die Pflanzen und Gräser, die nicht das Glück hatten, unter dem schützendem Blätterdach des Waldes zu wachsen, ihre grüne Farbe verloren hatten und ließen schlapp die Blätter hängen. Sie sehnte sich so wie alle anderen Rudelmitglieder auch nach einem erfrischenden und kühlenden Regenschauer. Doch fehlte von dem bisher noch jegliche Spur. Der Himmel war strahlend blau und, bis auf ein paar Schäfchenwolken hier und dort, komplett wolkenlos.
Zadens Schulter stieß gegen Lycaons und er stieß ein erleichtertes Seufzen aus, als die Seelenfunken auf seine Haut übersprangen. Sie kribbelten auf seiner Haut und fühlten sich noch besser an als ein kühlender Luftzug in dieser stetigen Hitze.
Es war mittlerweile schon einige Tage her, dass er bei Lycaon und dessen Familie eingezogen war und inzwischen hatte sich zwischen ihm und seinem Gefährten eine Art Routine gebildet.
Morgens nach dem Aufstehen würden sie zusammen mit Lycaons Familie frühstücken, bevor alle ihren eigenen Vorhaben nachgehen und sie ihren Vormittag zusammen verbringen würden. Manchmal machten sie kleine Spaziergänge durch den Wald, wo Zaden Lycaon half, Kräuter zu sammeln und sie anschließende meistens auch tragen musste. Oder sie gingen durch das Rudeldorf und vermieden dort überfüllte und laute Plätze. Oft saßen sie aber auch einfach nur im Wohnzimmer, Lycaons Zimmer oder auf der alten Bank hinterm Haus und redeten miteinander. Manchmal las er Lycaon aus einem Buch vor, manchmal schwiegen sie einfach nur zusammen und manchmal teilte Lycaon sein enormes Wissen über Heilkräuter, die Geschichte der Werwölfe oder anderen alltäglichen Dingen mit ihm, von denen Zaden selbst nichts wusste. Sein Gefährte überraschte ihn jedes Mal wieder aufs Neue damit, wie viel er doch wusste, doch wann immer Zaden ihn darauf ansprach, erhielt er nur ein unschuldiges Schulterzucken und wollte Zadens Lob und Anerkennung nicht wahrhaben. Er tat es als eine Nebensächlichkeit oder etwas Unbedeutsames ab, dabei war so ein gewaltiges Wissen alles andere als gewöhnlich. So ein Wissen würde man bei einem Rudelältesten oder einem alten Heiler erwarten, aber nie und nimmer bei einem so jungen Wolf, der noch nicht einmal volljährig war.
Zu Mittag aßen sie dann entweder eine Kleinigkeit bei Lycaon Zuhause oder holten sich im Rudelhaus etwas ab, wo Köche aus dem Rudel für alle diejenigen eine Mahlzeit bereitstellten, die zum Selberkochen keine Zeit oder auch einfach keine Lust hatte.
Ihr Nachmittag lief dann meist so ab wie ihr Vormittag oder sie entschieden sich dazu, dass sie auch mal beide etwas Zeit für sich alleine brauchten.
Abends half Zaden dann oft Kove das Abendessen vorzubereiten. Er dachte, dass, wenn er irgendwann mal mit Lycaon alleine leben würde, er dazu in der Lage sein wollte, seine Gefährten ein einigermaßen anständiges Essen zu kochen. Vor allem da er glaubt, dass es keine so gute Idee war, Lycaon mit seiner Blindheit alleine in der Küche oder eher gesagt an einer offenen Flamme herumhantieren zu lassen. Inzwischen hatte er auch schon das eine oder andere von Kove gelernt, der sich als ein ausgezeichneter Koch entpuppt hatte, und war stolz auf seine Fortschritte.
Nach dem Essen, welche sie immer mit Lycaons Familie einnahmen, verzogen sie sich nach draußen auf ihre alte Bank und genossen zusammen den Sonnenuntergang.
Kurz gesagt verbrachte er so wunderbar viel Zeit mit seinem Gefährten, dass sie jetzt sogar an jedem einzelnen Tag mehr Zeit miteinander verbrachten als in der gesamten ersten Woche nach ihrem Kennenlernen. Damals hatte er aber auch die Verhandlungen um die Ohren gehabt. Aber nachdem diese ihr Ende gefunden hatten und Talon zusammen mit einem Brief an seine Eltern und den paar Kriegern, die sie auf ihrer Reise begleitet hatten, wieder abgereist war, hatte er so viel Freizeit, wie noch nie.
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Let Me Trust You First
WeerwolfAufzuwachsen ohne sehen zu können, hat Lycaon gelehrt, dass er sein Vertrauen nicht einfach so leichtfertig an jeden erstbesten verschenken darf und, dass Vorsicht oft besser ist als Nachsicht. Das Gleiche gilt auch als er auf seinen Seelengefährten...