Epilog - Lycaon

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Lycaon stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab, während er das Armband in den Händen hielt und zwischen den Fingern herumdrehte. Es fühlte sich ungewohnt an, es mal nicht am Handgelenk zu tragen, legte er es doch fast nie ab. Trotzdem half es ihm auch manchmal beim Denken, wenn er, so wie jetzt, mit den Fingern an den Holzperlen herumspielte. Es erinnerte ihn an Maewyn. Maewyn, die es ihm als ihr letztes Geschenk an ihn vermacht hatte und wie sie immer an ihn geglaubt hatte. Bis zu ihrem letzten Moment und darüber hinaus.

Ein eisig kalter Luftzug fuhr um ihn herum, blies ihm kleinen Schneeflocken ins Gesicht und ließ ihn frösteln. Gedämpfte Stimmen drängen aus dem Haus hinter ihm und zauberten ihm ein Lächeln aufs Gesicht.

„Danke", flüsterte er und hob den Kopf leicht gegen Himmel. Schneeflocken fielen ihm sachte ins Gesicht und er schloss die Augen. „Danke, dass du immer an mich geglaubt hast, Maewyn. Dass du über all die Jahre immer für mich da warst, mir immer wieder geholfen und mich mit deinen wiederholten Rätseln fast in den Wahnsinn getrieben hast. Im Endeffekt war es doch auch witzig." Er schluckte und versuchte den Kloß in seinem Hals loszuwerden. „Ich hoffe du ruhst in Frieden bei der Mondgöttin."

Er schwieg einen Moment und sammelte seine Gedanken. „Auch ein Danke an dich, Luna", richtete seine nächsten geflüsterten Worte – so leise, dass der Wind sie keine zwei Meter forttrug – direkt an die Mondgöttin. „Danke, dass du mir erlaubt hast, Maewyn in meinem Leben begegnen zu dürfen. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie gemacht hätte. Wüsste nicht, was ohne Maewyn aus mir geworden wäre. Sie hat immer an mich geglaubt, mir immer Kraft gegeben und tut es sogar jetzt noch. Auch, wenn es mich im Herz schmerzt zu wissen, dass sie nicht mehr hier auf Erden weilt, weiß ich doch, dass sie es verdient hat zu ruhen. Zu ruhen an einem besseren Ort und in deiner Gegenwart, nachdem sie ihr Leben hier vollendet hatte."

Der Wind heulte durch die Bäume, blies ihm die kalte Luft und die mittlerweile wieder langgewachsenen Haare ins Gesicht. Er strich sich die wilden Strähnen, die ihm schon fast bis zum Kinn gingen, hinter die Ohren. Sie bräuchten bald mal wieder einen Haarschnitt, wenn er sich im Frühjahr keine Zöpfe flechten wollte.

„Danke auch für den wunderbaren Gefährten, den du mir geschenkt hast. Ich könnte mir keine andere Person verstellen, mit der ich mir lieber meine Seele teilen würde als mit Zaden. Er glaubt immer an mich, liebt mich auch trotz meiner Starrsinnigkeit, die ich manchmal an den Tag lege, und ist manchmal doch schon wie ein treudoofer Dackel, wie Rye es genannt hatte. Aber er ist mein treudoofer Dackel und ich liebe ihn genauso, wie er ist. Liebe ihn trotz seiner Ecken und Kanten, die von Zeit zu Zeit ans Licht kommen, denn das ist, was man als Gefährten und Liebende macht: Man akzeptiert seinen Partner so, wie er ist. Auch, wenn er wie ich blind sein mag. Dafür bin ich Zaden besonders dankbar. Er macht keinen großen Hehl aus meiner Blindheit, nimmt manchmal einfach etwas mehr Rücksicht und hilft mir, oft ohne, dass ich überhaupt nach Hilfe fragen muss."

Er stockte einen Moment. „Das Gleiche, wie für Maewyn und Zaden, gilt für Xanthar und Rye. Danke, dass du sie in mein Leben gelassen hast, Luna. Rye ist zwar manchmal etwas wild und übermütig und Xanthar wird mir mit seiner Schleicherei sicher irgendwann noch einen Herzinfarkt bescheren, aber bis dahin bin ich froh, sie als Freunde zu haben. Wir sind ein bunter und verrückter Haufen, trotzdem passen wir zusammen und mögen uns. Wir helfen uns gegenseitig und sind füreinander da. Vor allem das durfte ich in den letzten Monaten schon tonnenweise erleben. Ich ..." Lycaon stoppte kurz und senkte den Kopf wieder, spielte mit dem Armband in seinen Fingern herum. „Ich muss auch zugeben, dass ich zwischendurch mehr Vertrauen in dich und dein Tun gehabt haben sollte, Luna. Du erschaffst jeden von uns nicht einfach so, sondern hast einen Sinn im Kopf, wenn du uns auf die Erde schickst und uns einen Seelengefährten an die Seite stellst. Wir sind alle deine Kinder und für jedes deiner Kinder hast du eine Bestimmung im Kopf. Für jeden, egal wer oder wo wir auch sein mögen. Manchmal muss man nur etwas länger suchen oder seine Schatten überspringen, um seine Bestimmung zu finden. Also bitte verzeih mir, dass ich nicht immer so viel Vertrauen in dich hatte, wie ich eigentlich haben sollte."

Er schüttelte abwesend den Kopf und lauschte dem Wind, wie er durch die kahlen Bäume fuhr, die Schneeflocken lautlos umherwirbelte und ihm entgegen blies, bis die Hintertür mit einem Knarzen aufging und die vertrauten Stimmen aus dem Inneren lauter wurden.

„Lycaon? Kommst du wieder rein?", fragte Zaden. „Ich weiß nicht, wie lange Xanthar und ich Rye noch aufhalten können. Sie will endlich erfahren, welche Heldentaten du heute verbracht hast. Ihre Worte, nicht meine."

Lycaon schob das Armband über seine Hand wieder an seinen rechtmäßigen Platz zurück. „Ich komme schon", sagte er und klopfte sich den Staub von der Hose, bevor er seinem Gefährten zurück ins Haus folgte.

Alle wichtigen Worte waren ausgesprochen, dem Wind überlassen sie zu ihrem rechtmäßigen Empfänger zu tragen, während er endlich seinen Schatten und seine Angst zurückgelassen und gefunden hatte, was er immer gewollt hatte:

Ein Teil von etwas zu sein. Ein Teil eines sich liebenden Gefährtenpaars. Ein Teil einer verrückten Gruppe aus Freunden. Ein Teil eines Rudels, wo jeder seine Aufgabe hatte, etwas für die Gemeinschaft tat und sie mit dem unterstütze, worin er am besten war.

Mit seiner Bestimmung.

*****

~939 Wörter

Das ist das Ende von "Let Me Trust You First" und der Geschichte um Lycaon und Zaden. Ich hoffe, sie hat euch gefallen, und allen, die bis hierher gelesen haben, ein großes Danke. Es bedeutet mir wirklich viel, dass ihr meiner Geschichte ein Chance gegeben habt.

Wintercy

Let Me Trust You FirstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt