Kapitel 20 - Zaden

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Zaden rieb sich erschöpft die Stirn, während er zur Tür schlurfte. Die letzten Tage und Nächte waren einfach nur die reinste Hölle gewesen. Kaum ein Auge hatte er vor Sorgen zubekommen und nun schmerzten seine Glieder und sein Kopf pochte ununterbrochen.

Einen Augenblick verweilte seine Hand einfach nur auf dem Türknauf, während er sein Gewicht auf ihm abstützte und auf das dunkle Holz der Tür starrte, bevor er sie schließlich öffnete.

Dahinter standen Xanthar und Rye. Sie schenkten ihm ein teils trauriges und teils aufmunterndes Lächeln und hatten ihre Finger miteinander verschränkt. Ihre Schultern berührten sich wie selbstverständlich und auch auf ihren Gesichtern lag ein müder Ausdruck. Sie suchten die Nähe ihrer zweiten Hälfte, ohne es wirklich zu wissen. Ein ungewohnter Anblick, zeigten die Beiden ihre Zuneigung füreinander doch sonst nie so offensichtlich und versteckten sie eher hinter Neckereien und kleineren Streitereien.

Ein ungewohnter Anblick. Aber auch einer, der Zaden das Herz schwer werden ließ. Sie erinnerten ihn an Lycaon und sich, wie sie nur allzu oft die Hand des anderen hielten und dessen Nähe suchten. Er wollte es zurück. Diese Unbeschwertheit in diesen Momenten.

Zaden schob die Gedanken zur Seite und öffnete die Tür für Xanthar und Rye noch ein Stücken weiter. Rye verlor von da keine weitere Sekunde mehr und schlüpfte ohne eine Begrüßung an ihm vorbei ins Haus. Er konnte anhand ihrer leiser werdenden Schritte erahnen, wohin sie ging.

„Hey", sagte Xanthar und trat an ihm vorbei, damit er die Tür wieder schließen und das herbstlich kalte Wetter aussperren konnte. „Wie geht es ihm?"

„Etwas besser als gestern. Das Fieber ist zwar ein bisschen gesunken, aber ansonsten ..." Er sprach nicht weiter, sondern schüttelte den Kopf und warf einen Blick in die Richtung, wo ihr Schlafzimmer war – wo Lycaon im Bett lag.

Im Fieberwahn.

Xanthar nickte, fragte aber nicht weiter nach und hielt stattdessen einen Korb in die Höhe. „Ich habe euch was aus der Rudelküche mitgebracht. Etwas Brot, Fleisch, Kartoffeln und Gemüse."

„Danke", sagte Zaden und meinte es auch so. Er wusste nicht mehr genau, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Wahrscheinlich gestern, als Xanthar ihnen schon einmal etwas vorbeigebracht hatte. Das Thema war irgendwann in den letzten Tagen in den Hintergrund gerutscht. Würde Xanthar ihm nicht täglich etwas zu essen vorbeibringen, hätte er es wahrscheinlich einfach komplett vergessen.

„Hilfst du mir, es auszupacken?", fragte Xanthar und ging an ihm vorbei in Richtung Küche. Zaden folgte ihm, blieb aber an der Tür stehen und warf einen Blick den Flur hinunter. Er wollte Lycaon nicht für zu lange alleine lassen. Nicht in diesem Zustand.

„Rye ist bei ihm", sagte Xanthar, wie als hätte er seine Gedanken gelesen oder ihm auch einfach die Sorgen an der Nasenspitze abgelesen, und stellte den Korb auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes ab. „Außerdem habe ich noch was anderes für dich."

Zaden seufzte erschlagen und schloss die Tür hinter sich. Lycaon war gerade erst eingeschlafen, dann mussten sie ihn nicht gleich wieder wecken, nur weil sie in der Küche herumhantierten.

Er holte zwei große Teller aus dem Küchenschrank – Xanthar meinte es mit seinen Portionsgrößen immer gut – und stellte sie neben den Korb auf den Tisch, wo Xanthar schon zwei Holzschüsseln ausgepackt hatte, die mit Tüchern abgedeckt waren. Zaden wollte eins entfernen und den Inhalt auf die zwei Teller für Lycaon und sich selbst verteilen, doch Xanthar stoppte ihn.

„Lass mich das machen", sagte er und nahm Zaden den Holzlöffel ab, bevor er ihm einen Brief in die Hand drückte. „Schau dir lieber das an."

Zaden lehnte sich gegen den Küchenschrank und drehte den Brief in seinen Händen umher. Er war leicht, an den Ecken etwas abgestumpft und musste einen kleinen Gegenstand enthalten, der im Umschlag herumfiel, während er ihn drehte. Bis auf einen einzigen Namen – Lycaons Namen – war er unbeschriftet.

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