Kapitel 2 - Lycaon

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Die alten Holzdielen knarzten protestierend unter Lycaon auf, während er vergeblich versuchte, eine bequemere Position zu finden. Sein Hintern war mittlerweile schon ganz taub und schmerzt, doch wollte er seinen Platz hinter seiner Zimmertür auf keinen Fall aufgeben. Nicht, wenn er kein einziges Wort von dem Gespräch, das sich einen Stock unter ihm abspielte, verpassen wollte. Und da das verdammt noch mal sein Ziel war, würde er diesen Platz auch unter keinen Umständen aufgeben. Egal, wie unbequem er auch sein sollte.

„Lycaon ist schon immer blind gewesen", drang die leicht gedämpfte Stimme seiner Mutter zu ihm hoch und er erfror in seiner Bewegung als die Dielen erneut ein verärgertes Knarzen von sich gaben. Sein Gehör war zwar dadurch, dass er ein Werwolf war, schon etwas besser ausgeprägt als bei anderen Arten, und nochmal ein ganzes Stück besser, wenn er seine Ohren teilverwandelte, doch brachte ihm das auch recht wenig, wenn er selber zu viel Lärm verursachte, als dass ihm sein verbessertes Gehör irgendwie von Nutzen wäre.

„Er ist schon ohne Augenlicht geboren wurden", fuhr sie ohne Pause fort. Lycaon glaubte sogar, kurzzeitig Zadens Stimme zu hören, bevor alles von einem ohrenbetäubenden Krachen von draußen überlagert wurde. Laute Stimmen und Rufe folgten fast sofort.

Reflexartig schossen Lycaons Hände zu seinen Ohren, um sie vor dem Lärm zu schützen, doch war er nicht schnell genug. Ein schmerzhaftes Zischen entkam ihm, als seine Ohren die volle Ladung abbekamen, und er kniff fest die Augen zu. Seine empfindlichen Ohren waren von dem Lärm völlig überwältigt und klingelten und schmerzten derartig, dass er am liebsten nur noch einen Schrei von sich gegeben hätte. Doch er verkniff es sich. Stattdessen biss er die Zähne zusammen und stützte seine Ellenbogen nach Halt suchend auf seinen angezogenen Beinen ab, während er versuchte durch langsames und tiefes Ein- und Ausatmen, den Schmerz erträglicher zu machen. Oder ihn schlichtweg zu überstehen. Trotzdem dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis er abnahm und es ihm gelang seine Wolfsohren in seine menschlichen und weniger pelzigen Ohren zurückzuverwandeln.

Erleichtert spürte Lycaon, wie sein geschärfter Gehörsinn zurückging und sich langsam wieder auf normal einpendelte. Mit einem Seufzen ließ er die Hände wieder sinken und den Kopf in den Nacken gegen die Tür fallen.

Verfluchtes Wolfsgehör aber auch, dachte er sich und begann sich die Schläfen zu massieren. Seine Ohren schmerzten noch immer leicht. Dabei hatte er sich doch nur nach dem Klang der Stimme seines Gefährten gesehnt.

Kaum wurde Lycaon die wahre Aussage dessen bewusst, was er gerade gedacht hatte, stieß er einen ungläubigen Laut aus, der sich wie eine Mischung aus einem Lachen, Grunzen und Schnaufen anhörte. Er konnte und wollte nicht glauben, dass ihre Gefährtenbindung schon so früh solche Auswirkungen zeigen wurde. Viel zu schnell, viel zu früh, viel zu stark. Wie sollte er unter diesem Einfluss sicherstellen, dass er-

„Nein", sagte er zu sich selbst und schob den Gedanken verhemmt weg. Er wollte nicht schon wieder in die gleiche Gedankenspirale fallen. Stattdessen spürte er, wie sich sein Hörsinn wieder schärfte, als er vorsichtig seine Ohren erneut teilverwandelte, und sie auf das erschrockene Murmeln einen Stock unter sich richtete, das wahrscheinlich durch den Lärm entflammt worden war. Nichtsdestotrotz machte er sich aber keine Sorgen, um die Quelle des Lärms. Er hätte es schon allein an der Stimmlage der Rufe erkannt, wenn für ihn irgendeine Gefahr bestanden hatte. Außerdem wäre dann schon längst sein Vater, seine Mutter oder gar beide besorgt in sein Zimmer gestürmt und hätten sich wie kopflose Hühner benommen. So aber ließ er seine Gedanken wandern und beschäftigte sich lieber mit einer wichtigeren Frage, als woher der Lärm kam. Und zwar, ob er es seiner Mutter übelnehmen sollte, dass sie gerade einem wildfremden Mann seine ganze Lebensgeschichte erzählte oder nicht. Ohne vorher gefragt zu haben, wohlbemerkt. Okay, gestand er sich ein, es war nicht seine komplette Lebensgeschichte, sondern nur ein genereller Bericht über seine Blindheit, und bei dem wildfremden Mann handelte es sich um seinen Seelengefährten, doch ging es hier um das Prinzip.

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