Kapitel 12 - Lycaon

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Lycaon zog die Zeltplane zurück und steckte den Kopf ins Innere. Ein wilder Mix aus allen möglichen Kräutern, die man auf dem Rudelterritorium finden konnte, sowie heiße und abgestandene Luft schlug ihm entgegen. Über dem Feuer schien ein Topf mit Wasser vor sich hin zu köcheln, doch ansonsten herrschte Stille.

„Hallo?", fragte er in die Stille hinein. „Maewyn? Ronan? Ist jemand da?"

Als er auch nach wenigen Sekunden keine Antwort bekam, ließ er die Plane wieder fallen und entfernte sich einige Schritte vom Zelt. Mit seinen Händen in den Hosentaschen vergraben, legte er den Kopf in den Nacken und genoss mit geschlossenen Augen die Mittagssonne, die sein Gesicht erwärmte.

Was sollte er als nächstes tun? Sollte er warten, bis entweder Maewyn oder Ronan wiederauftauchte, oder sie, trotz niedriger Erfolgschancen, suchen gehen? Die Beiden schienen zwar noch ein Feuer anzuhaben, doch das war bei den kein zwingendes Zeichen dafür, dass sie noch in der Nähe waren. Sowohl Maewyn als auch Ronan hatten es nicht so wirklich mit Brandschutz. Es war eigentlich ein Wunder, dass das Zelt noch nie Feuer gefangen hatte. Genügend Brennmaterial hätte ein Feuer bei den ganzen trockenen Kräutern, die die beiden bei sich lagerten, ja schon einmal. Vielleicht hatte er ja aber Glück, wenn er einige Minuten wartete. Nach Hause gehen wollte er jedenfalls noch nicht wieder.

Lycaon bohrte mit dem Fuß in den Boden, während er den Geräuschen um sich herum lauschte. Leise Gespräche, Rufe und Lachen. Der allgegenwärtige Lärm der anderen Rudelmitglieder hallte leise in seinen Ohren wider, während das Rascheln des Windes in den Bäumen fast darin unterging. In der Ferne zwitscherten Vögel und irgendwo sang jemand. Die Luft war heiß und trocken, fehlte von einem kühlenden Regenschauer doch schon seit Tagen der Hitze wieder jegliche Spur.

„Lycaon?"

Er fuhr bei dem Klang seines Namens herum.

„Was machst du denn hier?", fragte Maewyn. Ihre Stimme klang entfernt.

„Ich wollte zu dir ... oder zu Ronan."

Lycaon hörte, wie ihre Schritte näherkamen, bevor die Zeltplane raschelte.

„Das habe ich mir schon gedacht. Also, wobei brauchst du zu Hilfe?"

„Wieso glaubst du gleich, dass ich Hilfe brauche, wenn ich euch besuchen komme?", verteidigte er sich und näherte sich mit vorsichtigen Schritten wieder dem Zelt, um nicht aus Versehen in Maewyn reinzulaufen.

„Weil du nur noch dann oder, wenn du etwas auf dem Herzen liegen hast, zu uns kommst, seitdem du deinen Gefährten getroffen hast", erwiderte sie. „Los, komm rein."

Lycaon schlüpfte ins Zelt und musste sich beschämt eingestehen, dass Maewyn mit ihrer Aussage den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Seitdem er Zaden getroffen hatte, hatte er sie kaum noch besucht und wenn nur um über sein Problem zu reden.

„Also, was ist los?"

Er seufzte und ließ sich auf seinen üblichen Platz, einem gemütlichen Tierfell in der Nähe des Feuers, nieder. „Ich musste einfach mal aus dem ganzen Trubel raus."

Maewyn drückte ihm eine dampfende Tasse in die Hand. „Ist es wegen der Vollmondtaufe in ein paar Tagen?"

Lycaon versuchte einen Schluck von seinem Tee zu nehmen, ließ ihn aber gleich wieder sinken, als er sich prompt die Zunge verbrannte.

„Teils", beantwortete er wage Maewyn Frage, während seine Gedanken gleich wieder zu dem Ereignis wanderten, dass in einigen Tagen ereignen würde: die Vollmondtaufe von Zaden und ihm.

Auch wenn mittlerweile schon fast zwei Wochen vergangen waren, konnte er immer noch nicht wirklich glauben, dass er es getan hatte. Dass er den Mut aufgebracht hatte, Zaden zu fragen, ob er bereit dazu sei, ihr Gefährtenband zu vervollständigen. Noch weniger konnte er jedoch glauben, dass Zaden tatsächlich zugestimmte hatte und ihre Vollmondtaufe nun nur noch vier Tage entfernt lag.

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