Urlaub

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Ben gluckste vor Freude. Endlich war es soweit, nach einigen Monaten Wartezeit. So lange planten sie diesen Urlaub schon, hinter dem sich mehr verbarg, als seine Freundin vermutete. Auf dieser Reise würde er Lina die Frage aller Fragen stellen. Er befühlte das kleine Etui in seiner Hosentasche, welches den Verlobungsring enthielt, für den er ein ganzes Jahr gespart hatte. Die Finger zitterten kurz bei der Berührung. Er verdrängte den Gedanken erst einmal und wandte sich wieder der Gegenwart zu. Die kräftigen Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen und den Raum in gleißendes Licht tauchten, trugen ordentlich zur Urlaubsstimmung bei.

    „Schatz, was ist jetzt mit deiner Tasche?"

Diese hell klingende Stimme war Musik in seinen Ohren und er genoss jedes einzelne Wort davon. Seufzend packte Ben seine Reisetasche und brachte sie in das Wohnzimmer, wo das restliche Gepäck abgestellt war.

Obwohl sein Beruf laufend Reisen erforderte, war dies doch die erste richtige Urlaubsreise seit Ewigkeiten. Nach seinem Studium und Jahren der harten Arbeit, unterrichtete er an der Universität Geschichte und galt als ausgewiesener Experte, was den amerikanischen Sezessionskrieg betraf. Hierfür hielt er in Deutschland, sowie in den Vereinigten Staaten Vorträge. Dabei halfen ihm seine Erlebnisse, nachdem er durch einen Autounfall im Koma lag. Bis heute war ihm nicht klar, ob sich dieses Abenteuer nur in seinem Kopf abgespielt, oder ob er wahrhaftig eine Zeitreise unternommen hatte. Er war in den Bürgerkrieg geraten und bei dem Versuch, die von ihm verletzte Zeitlinie zu reparieren, zum US-General aufgestiegen, bevor er im Weißen Haus, bei einem Empfang mit Lincoln, starb. Die gemachten Erfahrungen halfen ihm und ließ seinen Unterricht überaus anschaulich werden, was die Studenten mit allerlei Lob versahen. Er war vielleicht nicht der beste Lehrer, aber zumindest einer der Beliebtesten.

Nach dem Wiedererwachen aus dem Koma erkannte Ben, dass seine Liebesgeschichte im Bürgerkrieg ebenfalls keinen Bestand hatte. Was er niemals jemanden erzählte, war die Tatsache, dass er durch seine Forschungen eine junge Frau fand, die in frühen Jahren ihres Lebens vereinsamt in Gettysburg starb. Ende 1863. Die Todesursache ließ sich aber nicht mehr ermitteln. Ihr Name: Julie de La Madelène. Diejenige, in die er sich in dieser Epoche verliebt hatte. Dieses Wissen nagte heute an ihm, nur zeigte er das nie. Die Frau, die er in der Realität liebte, wartete damals im Krankenhaus auf ihn. Lina war von Tom, seinem besten Freund, über alles informiert worden und half Ben, nach dem Unfall wieder auf die Beine zu kommen. Er war ja schon seit Beginn ihres Studiums in die blonde Schönheit verliebt und nun entwickelte sich schnell mehr daraus. Sie wurden ein Paar und die folgenden Jahre schweißten sie immer weiter zusammen. Für Ben fest genug, um den nächsten Schritt zu wagen.

Im Wohnzimmer erwartete eben diese große Liebe ihn bereits und verdrehte beim Anblick der Reisetasche die Augen:

    „Musst du so viel mitnehmen?"

Ben seufzte erneut. Lina, eine relativ kleine Frau mit dicken Locken, sah immer so wild aus, als wäre sie gleichzeitig gerade aus dem Bett gefallen und für ein Galadinner aufgebrezelt. Ben fand dieses Mischung faszinierend. Heute trug sie ein kurzes Sommerkleid und dazu Sneaker, eine Kombination, die ihr ausnehmend gut stand. Zu seinem Bedauern kam sie, und das mochte man jetzt als Vor- aber auch Nachteil ansehen, mit einem Minimum an Gepäck aus und war stets genervt davon, wie viel Ben mitschleppte.

    „Ich hab mich schon zurückgehalten!"

    „Ja, das sehe ich. Nun komm mal zum Schluss, wir müssen los."

Sie war die Pünktliche in der Beziehung. Lina hatte zusammen mit Ben studiert und sich dabei auf Kunstgeschichte spezialisiert. Realistisch gesehen nicht unbedingt ein Fachgebiet mit hervorragenden Jobchancen, aber sie brannte dafür. Und für diese Sturheit bewunderte Ben sie. Sie ließ sich nie unterkriegen und egal was das Leben ihr auch in den Weg warf, sie fand eine Lösung. Mittlerweile war sie die Assistentin einer Kuratorin im Museum und hoffte, selbst bald in diese Spitzenposition aufzusteigen. Ihre Hingabe und Wissen hatte sie bei der Organisation mehrerer Ausstellungen bereits bewiesen. Lina trieb Ben immer wieder zur Pünktlichkeit und war auch auf dieser Reise die bessere Organisatorin.

    „Nun komm schon, Tom wartet. Du bist so ein Trödler."

Ben gab ihr einen Kuss, was sie etwas besänftigte. Sie lächelte:

    „Vergiss es. Bestechung zählt nicht!"

Er küsste Lina ein weiteres Mal und schob sie dabei gegen die Rücklehne der Couch, die frei im Wohnzimmer stand. Sie erwiderte den Kuss und stieß Ben dann schmunzelnd zurück:

    „Du bist unmöglich. Jetzt nimm deine Tasche. Wenn du schon so viel mitnehmen musst, trägst du das gefälligst selbst!"

Gemeinsam schleppten sie das Gepäck an die Straße und luden es in den wartenden Wagen. Die Sonne strahlte und wärmte ihre Gesichter. Trotz des wunderbaren Morgens wurde das Paar nur von einem Brummen begrüßt. Bens bester Freund war wahrlich kein Frühaufsteher und hielt es für überaus großmütig, sie so früh zum Flughafen zu fahren. Er ließ sich nicht einmal von Linas herzlichem Lächeln erweichen:

    „Tom, einen wunderschönen guten Morgen!"

Ben schlug ihm nur auf die Schulter:

    „Komm schon, alter Brummbär. Auf gehts. Und wenn wir wieder da sind, gehen wir beide etwas trinken."

Tom stieg ins Auto und gähnte herzhaft:

    „Ja ja, das versprichst du ständig. Wieso müsst ihr auch so früh abfliegen? Ihr seid drei Wochen weg. Da kommt es doch auf ein paar Stunden nicht an."

Ben und Lina sagten nichts dazu, weil um diese Tageszeit jede Diskussion mit Tom sinnlos war. Dafür brauchte er definitiv mehr Kaffee. Und am besten noch einen halben Tag Zeit. Sie quälten sich eine Weile lang durch einen kleinen Stau und verfluchten gemeinsam den Hamburger Verkehr. Als sie endlich den Flughafen erreichten, waren alle drei am Grummeln.

Tom half ihnen schläfrig mit den Koffern und verabschiedete sich nur mit wenigen Worten. Der Abschied fiel relativ kurz aus, da sie in einer Haltezone direkt vor dem Terminal standen, und bereits Sekunden später das erste Mal angehupt wurden. Sie freuten sich auf das Wiedersehen und versprachen sich, nach dem Urlaub zusammen zu essen. Dieses Versprechen gaben sich die Drei regelmäßig und hielten es doch nie ein. Meistens fand zumindest einer des Trios nicht die Zeit oder sie waren schlichtweg zu müde, um sich noch einmal aufzuraffen. Aber nach dem Urlaub würde es bestimmt klappen.

Lina wuchtete den großen Koffer über den Gehweg:

    „Vielen Dank an die Gentleman. Ich mache das gerne alleine!"

Tom grinste sie an:

    „Du schaffst das schon. Ich muss nur Ben noch kurz was fragen."

Er nahm seinen besten Freund zur Seite und der Angesprochene runzelte die Stirn:

    „Tom, geht es noch auffälliger?"

    „Hast du den Ring?"

    „Natürlich."

    „Und weißt du schon, wie du sie fragen wirst?"

Ben zuckte kurz mit den Schultern:

    „Ich hoffe, das wird sich spontan ergeben."

Tom lächelte noch einmal:

    „Ich zähl auf dich. Komm mir nicht als Single wieder."

Die beiden Männer umarmten sich kurz und kräftig, dann folgte Ben mit seiner Tasche Lina in das Flughafengebäude. Es dauerte nicht lange, bis sie ihr Gepäck aufgegeben und die Sicherheitskontrollen durchlaufen hatten. Jetzt hieß es warten, bis zum Boarding aufgerufen wurde. Sie saßen auf einer schmalen Bank und Lina kuschelte sich an seine Schulter. Die Minuten vergingen und Ben genoss die Berührung. Es wurde Zeit, dass sie den Alltag einmal richtig hinter sich ließen.

    „Weißt du, worüber ich mich richtig freue?"

    „Nein, worüber denn?"

    „Ich habe die ganze Reise so gut geplant, da kann uns nichts mehr überraschen."

Ben schmunzelte dabei nur und hielt ihre Hand etwas fester.

Urlaub - Was tust du, wenn du alles verlierst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt