„Wie sieht es aus?"
„Ganz gut. Die OP hat sie gut überstanden. Sie hat viel Blut verloren."
Lina hörte die Stimmen, lange bevor sie die Kraft fand, auch nur ein Auge zu öffnen. Zwei Menschen, die sich leise unterhielten. Der intensive Geruch von Desinfektionsmitteln stieg in ihre Nase und ein gedämpftes Piepen gab der ganzen Atmosphäre etwas Gleichmäßiges, Beruhigendes. Sie war definitiv in einem Krankenhaus. Vorsichtig öffnete Lina die Augen, das Licht blendete sie zuerst, und sah bald eine Ärztin, die sich mit einem Pfleger unterhielt. Die sah, dass ihre Patientin aufgewacht war, und trat an das Bett:
„Hallo. Da sind sie ja wieder. Ich bin Doktor Bennet. Wir haben uns große Sorgen um sie gemacht. Sie sind hier im St.Thomas-Krankenhaus und wurden heute Nacht operiert. Keine Sorge, es verlief alles gut, sie werden es überstehen."
Dr. Bennet lächelte, was Lina zu erwidern versuchte. Das war deutlich anstrengender, als sie erwartet hatte. Aber immerhin würde sie nicht sterben. Das war eine erfreuliche Nachricht. Mühsam schluckte Lina und stieß ein paar Worte hervor:
„Was ist passiert?"
„Das wissen wir leider auch nicht. Sie haben auf jeden Fall eine Schusswunde, diverse Abschürfungen, ein paar angeknackste Rippen, einen verenkten Hals und eine Gehirnerschütterung. Außerdem haben sie mehrere blutende Wunden an den Handgelenken. Können Sie sich an irgendetwas erinnern?"
Lina war erleichtert. Ihre Verletzungen klangen erst einmal fürchterlich, aber die nahm sie gerne dafür in Kauf, dass sie sich jetzt in Sicherheit befand. Im Krankenhaus würde ihr niemand etwas antun und wenn die Polizei eintraf, war die Hilfe für Ben in greifbarer Nähe:
„Ja, ich wurde entführt. Das Auto hatte einen Unfall und ich konnte entkommen. Zumindest beinahe."
Sie fuhr mit der Hand unter die Bettdecke und ertastete, wie ihre Seite mit großen Bandagen oder Pflastern bedeckt war. Bei ihrer Erklärung wurde der Gesichtsausdruck der Ärztin ernst:
„Wir haben so etwas in der Art vermutet. Entspannen sie sich jetzt ein wenig. Die Polizei ist verständigt und schickt jemanden her. Es ist wichtig, dass man so bald wie möglich ihre Aussage aufnimmt. Und sie wissen ja, je detailreicher, desto besser."
„Ja, natürlich."
Unter Aufbietung all ihrer Kräfte presste Lina die Ellbogen in die Matratze und stemmte sich hoch. Warum, wusste sie gar nicht. Irgendetwas in Linas Innerem sagte ihr, dass sie sich bewegen wollte. Vermutlich war das typisch für jemanden, der zur Bettlägerigkeit verdammt war. Mit einem beherzten Handgriff beförderte Dr. Bennet ihre Patientin zurück und beendete den Versuch:
„Bleiben sie bitte liegen, sie brauchen jetzt Ruhe."
Lina nickte nur und fügte sich der Anweisung. Zwar brauchte sie eine Weile, aber letztendlich fiel die Anspannung etwas ab. Hier war sie in Sicherheit und wenn sie erst unter Polizeischutz stand, wäre sie zumindest die Sorge um ihre Entführer los:
„Wie bin ich hierher gekommen?"
„Ein Ladenbesitzer hat sie in seinem Büro gefunden, sie haben wohl versucht, zu telefonieren. Er sagt, sie haben dort eine ziemliche Sauerei hinterlassen. Sie können froh sein, dass er schnell reagiert und sofort einen Rettungswagen gerufen hat."
„Danken sie ihm von mir."
„Natürlich."
Ihrer Patientin aufmunternd zulächelnd, schrieb die Ärztin Notizen in das Krankenblatt auf einem Klemmbrett, zumindest vermutete Lina das, und ließ sie allein. Jetzt, wo sie sich etwas entspannte, flogen Linas Gedanken wieder zu Ben. Was war mit ihm? War er vielleicht schon in Sicherheit? Konnte die Polizei ihr helfen, ihn zu finden? Das war mit Abstand der schlimmste Urlaub, den Lina jemals erlebt hatte.
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Urlaub - Was tust du, wenn du alles verlierst?
Mystery / ThrillerBen und Lina freuen sich auf ihre Urlaubsreise in die USA. Der erste Urlaub seit Ewigkeiten. Es scheint alles wunderbar zu laufen, doch vor Ort geraten sie in einen Sturm. An und für sich nicht so schlimm, wäre nicht Ben während des Sturms verschwun...