Hoffnung

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„Was wollen sie?"

Der Chef der hiesigen Polizei war ein älterer Herr, der unübersehbar einen erheblichen Teil seiner Zeit der Pflege eines beachtenswerten Vollbartes widmete. Er hatte die Eingangstür hinter sich geschlossen und musterte, mit verschränkten Armen auf seiner Veranda stehend, jetzt die beiden Besucher, die dort auf der Zufahrt zu seinem Haus standen. Lina lächelte ihn freundlich an, in der Hoffnung, ein wenig das Eis zu brechen:

„Die Dame aus der Bibliothek sagte uns, wenn wir eine Frage zur Vergangenheit der Stadt haben, sind sie unser bester Ansprechpartner."

Ihr Gegenüber brummte nur unwillig. Offenbar störten ihn die diese Fremden in seinem Tagesablauf:

„Und was wollen sie wissen?"

Lina entschied sich, nah an der Wahrheit zu bleiben. Wenn sie ehrlich wirkten, schafften sie es womöglich, ihrem Gegenüber einen Hinweis zu entlocken:

„Ich bin Kunsthistorikerin. Ich schreibe aktuell an einer Arbeit über den amerikanischen Bürgerkrieg und gehe dabei vielen Spuren nach, um so tief wie möglich in das Thema einzutauchen. Ich habe von einer Mine gelesen, die hier in der Gegend gelegen und im Krieg eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Momentan bin ich auf der Suche nach ihr."

Der Sheriff überlegte einen Augenblick:

„Es gibt hier eine solche Mine, aber ich wüsste nicht, dass die in irgendeiner Weise wichtig war. Sie wurde noch im Krieg stillgelegt und anschließend nie wieder benutzt."

Tom stimmte Linas Gedanken durch einen vielsagenden Blick zu. Sie waren hier tatsächlich auf eine brandheiße Spur gestoßen. Sie schien die Aussage des Sheriffs so zu akzeptieren und tat sie mit einer wegwerfenden Handbewegung ab:

„Ich habe mir schon so etwas gedacht. Es wäre schön, wenn sie uns trotzdem sagen würden, wo sie liegt. Nur damit ich diesen Ort auf meiner Liste abhaken kann."

Der Sheriff zuckte nur mit den Schultern:

„Na, wenn sie meinen."

Er erklärte ihnen kurz den Weg und wandte sich ab, wahrscheinlich froh, das Gespräch so schnell beenden zu können. Die beiden Fremden hatten just einen Schritt in Richtung ihres Wagens getan, als der Sheriff sich noch einmal umdrehte:

„Kenne ich sie nicht irgendwo her?"

Lina und Tom beteuerten gleichzeitig, dass das ganz sicher ein Irrtum war, da sie Touristen seien. Unglücklicherweise waren sie dabei offenkundig so eifrig, dass der Sheriff Verdacht schöpfte. Er zog ein Telefon aus seiner Tasche, tippte darauf herum und auf einmal zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Er drehte das Display zu ihnen und Lina sah sich deutlich auf einem Phantombild mit der Überschrift:

Dringend gesucht.

Sie hob abwehrend die Hände. In ihrem Tonfall lag Verzweiflung:

„Nein, nein, das bin ich nicht. Ich wurde schon einmal von der Polizei angehalten, aber da stellte sich auch heraus, dass das eine Verwechslung war."

Der Sheriff gab etwas auf dem Touchscreen seines Telefons ein und hielt es an sein Ohr. Nach wenigen Sekunden war offenbar der gewünschte Gesprächspartner in der Leitung:

„Ja, ich bins. Ich habe hier diese Flüchtige aus dem Krankenhaus."

Sie wartete nicht ab, was er weiter sagte, zog Tom mit sich und rannte, so schnell es ihre Schmerzen zuließen, zum Wagen. Sie verließen die Seitenstraße mit quietschenden Reifen. Völlig außer Atem und mit pochender Wunde keuchte Lina. Die Anstrengung setzte ihr zu, was aber nicht ihre größte Sorge war:

Urlaub - Was tust du, wenn du alles verlierst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt