Kräftige Hände legten sich an Linas Schultern und zogen sie hoch. Bereitwillig ließ sie sich zu einem Rettungswagen führen, wo man sie auf eine Trage setzte. Was die Sanitäter mit ihr taten, war ihr vollkommen gleichgültig. Um sie herum herrschte hektische Anspannung. Die Feuerwehr war eingetroffen und löschte den brennenden Streifenwagen. Die Polizei sicherte das ganze Gelände und zwei Männer legten den toten Boss auf eine Trage. Aber auch das war Lina alles egal. Ihr Blick haftete auf der kleinen Gruppe, die sich bei Ben aufhielt. Sein Körper verschwand beinahe zwischen den ganzen Taschen, die dort lagen. Hektisch wurde mit Geräten gearbeitet und jemand hielt einen Tropf hoch. Sie legte den Kopf ein wenig schief. War Ben gar nicht tot? Ein weißer Verband verdeckte seine Haare und schien die Blutung zu stillen. Die Blicke der Einsatzkräfte sprachen Bände und so war es nicht nötig, dass Lina verstand, was gesagt wurde. Eine Frau, vielleicht dreißig Jahre alt und vermutlich die Notärztin, sah ihre Kollegen an und schüttelte den Kopf. Ohne viele Worte wurde Ben auf eine Trage gelegt und zu einem Rettungswagen gebracht. Das Fahrzeug verließ die Unfallstelle mit lautem Sirenengeheul. Lina hielt den Sanitäter fest, der bei ihr stand:„Ist er tot?"
„Ich weiß es nicht, aber ich werde die Ärztin holen."
Er kehrte schnell mit der Notärztin zurück, die auf Lina eine beruhige Wirkung hatte:
„Miss, ihr Freund hat eine schwere Schussverletzung. Wir tun alles, was wir können, aber es besteht kaum Hoffnung. Ich werde veranlassen, dass man sie schnellstmöglich informiert, wenn im Krankenhaus weitere Informationen vorliegen."
Lina bedankte sich und verfiel wieder in ihre Starre. Diese ganze Situation war einfach zu viel für sie. Sie wollten nur in den Urlaub fahren und jetzt saß sie alleine hier, betrauerte Bens besten Freund und wahrscheinlich auch ihn selbst. Ihr Blick wanderte über den Unfallort. Es wimmelte von Polizisten und überall wurden Fotos gemacht, Dinge eingesammelt und Kisten geschleppt. Lina hatte für all das keinen Kopf. Ihre Gedanken drehten sich nur um Ben. Letztendlich sah ihr einer der Sanitäter direkt in die Augen und forderte Linas Aufmerksamkeit:
„So, Miss. Sie sind erst einmal soweit versorgt. Wir würden sie gerne in ein Krankenhaus bringen, aber diese beiden Polizisten hier haben den Auftrag, sie an einen sicheren Ort zu bringen. Dort werden sie auch weiter medizinisch betreut. Ist das in Ordnung für Sie?"
Unfähig, eine Antwort zu formulieren, nickte sie nur. Es war doch vollkommen egal, wo man sie hinbrachte. Sie war allein. Lina hinderte niemanden daran, sie auf den Rücksitz des Streifenwagens zu setzen und bemerkte beiläufig, wie das Fahrzeug sich Bewegung setzte. Schnell ließen sie die Häuser hinter sich und rollten über eine Schnellstraße. Trotz all der Aufregung fielen ihr nach wenigen Minuten die Augen zu.
„Und als General Bond soll er das alles gewusst haben?"
„Ja, ein unglaubliches Vermögen. Ich bin schon sehr gespannt darauf."
Mit einem Schlag war Lina hellwach. Sie behielt die Augen geschlossen, ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Im Grunde wollte sie ein wenig weiterdösen, aber Bens Name aus dem Bürgerkrieg ließ in ihrem Kopf eine Alarmglocke schrillen. Diese Polizisten sollten den eigentlich nicht kennen. Und warum unterhielten sie sich darüber? In der Hoffnung, mehr Informationen zu bekommen, tat Lina weiter so, als würde sie schlafen. Diese Entscheidung zahlte sich schnell aus. Das Adrenalin, welches durch ihren Körper schoss, erschwerte die Täuschung. Nach einigen Minuten erhielt sie die schreckliche Bestätigung. Das war keine Rettung, sie wurde wieder entführt und dieses Mal war das Ziel, sie zu beseitigen. Aber warum? Das Gold befand sich im Besitz der Polizei, der Anführer war tot und diese seltsame Gruppierung wurde zerschlagen. Das Gespräch der Polizisten machte es nahezu unmöglich, still zu bleiben:
„Schläft sie immer noch?"
„Ja, tief und fest. Sie tut mir schon fast etwas leid."
„Ach komm. Wenn wir da sind, gibt es einen schnellen Stoß und alle Probleme sind gelöst. So lautet der Befehl."
Es kostete Lina eine unvorstellbare Kraft, ruhig zu bleiben. Ein klein wenig zitterte sie vor Angst. Der Tonfall des Polizisten verstärkte das weiter:
„Meinst du? Und wenn doch ermittelt wird?"
„Ach, woher denn? Sie flieht aus dem Wagen und wirft sich vor den nächsten Zug. Bei so einem Trauma nichts Ungewöhnliches. Wir müssen nur sehr betroffen sein und schon winkt die dicke Belohnung. Oh, wir konnten es gar nicht verhindern, es ging so schnell."
Den letzten Teil betonte er so übertrieben, dass es vollkommen lächerlich klang.
„Ok, da hast du recht."
Die beiden Männer lachten. Ein grausames Lachen. Voller Freude darüber, dass die junge Frau auf dem Rücksitz diese Fahrt nicht überleben würde. Ihr Kopf zwang Lina, sich zu bewegen, ansonsten würde sie aufschreien. Sie tat so, als würde sie langsam aufwachen und streckte sich:
„Wo sind wir denn?"
Der Polizist auf dem Beifahrersitz dreht sich zu ihr um. Das Lächeln erreichte nicht seine Augen:
„Keine Sorge, Miss. Wir sind bald da und dann sind sie in Sicherheit. Gedulden sie sich bitte noch ein wenig."
Tatsächlich waren es nur ein paar Minuten, bis der Streifenwagen auf einem ruhigen Parkplatz hielt. Die hohen Bäume, welche den Platz säumten, tauchten ihn ins Zwielicht und verhinderten jede Sichtbarkeit aus Richtung der Schnellstraße. Lina tat überrascht und ließ sich ihre Anspannung nicht ansehen:
„Was machen wir denn hier? Sieht hübsch aus."
„Entschuldigen sie, aber manchmal ruft die Natur. Wollen sie sich auch ein paar Minuten die Beine vertreten?"
„Ja, gern."
Lina wanderte etwas auf dem Parkplatz herum. Für eine Flucht zu Fuß war ihr körperlicher Zustand definitiv zu jämmerlich. Das hieß, sobald der Mordversuch anlief, war sie gezwungen, irgendwie zu improvisieren. Während der Fahrer zwischen den Büschen verschwand, wandte sich der Beifahrer an Lina:
„Wenn sie den Platz hier schon hübsch finden, müssen sie sich unbedingt die Aussichtsplattform ansehen. Der Anblick der Landschaft ist atemberaubend und kann sehr beruhigend sein. Vielleicht tut ihnen das gut."
Diese Aussage schien äußerst fürsorglich, wäre da nicht das heimlich belauschte Gespräch der Beamten. Der Mann klang absolut glaubwürdig und ehrlich. Lina folgte ihm bereitwillig und sie betraten eine kleine, natürliche Empore, die in der Tat einen phänomenalen Blick über die Landschaft bot. Sie ignorierte schnell diese Aussicht, denn sie sah die Bahnschienen, die ein ziemliches Stück unter ihr entlangliefen. Ein Sturz aus dieser Höhe endete in jedem Fall tödlich. Der Polizist, der seinen ganzen Charme spielen ließ, rückte näher an sie heran:
„Sehen sie mal, dort drüben."
Er streckte den Arm aus, aber sein anvisiertes Opfer war schneller. Mit dem Wissen, was er vorhatte, wich sie seinem Stoß aus, drückte die Hände an seinen Rücken und schob in Richtung des Geländers. Mit hektischen Bewegungen versuchte er, die gar nicht so harmlose Frau zu packen, als Lina sich in seiner Hose festkrallte und mit sämtlichen Kraftreserven sein Bein vom Boden hob. Für einen kurzen Moment schwebte er in der Luft, dann rutschte der Polizist über das Metall und stürzte mit einem gellenden Schrei in die Tiefe. Lina sah nicht zu, wie er abstürzte, sondern versteckte sich schnell hinter einer kleinen Baumgruppe. Ihr Atem ging stoßweise. Ihr Herz klopfte. Der zweite Entführer kam auf die Plattform:
„Alles erledigt? Wo steckst du denn?"
Er sah die junge Frau zu spät, die jetzt auf ihn zustürmte. Mit all ihren Kraftreserven prallte sie mit der Schulter gegen den Mann, der vor lauter Überraschung zu langsam reagierte. Er stolperte rückwärts und folgte seinem Kollegen in die Tiefe. Kraftlos rutschte Lina an dem Geländer hinunter und ließ ihren Tränen freien Lauf.
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Urlaub - Was tust du, wenn du alles verlierst?
Mystery / ThrillerBen und Lina freuen sich auf ihre Urlaubsreise in die USA. Der erste Urlaub seit Ewigkeiten. Es scheint alles wunderbar zu laufen, doch vor Ort geraten sie in einen Sturm. An und für sich nicht so schlimm, wäre nicht Ben während des Sturms verschwun...