Riskante Hilfe

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Die Kilometer zogen sich. Mit jeder Stunde, die Lina im Auto saß, wurde sie müder und die Gelenke steifer. Da halfen auch die kleinen Pausen nichts, in denen sie versuchte, etwas herumzugehen. Das nächste Problem, welches sich auf der Tour auftat, war Geld. Der Tank des Wagens neigte sich dem Ende zu und Lina sah keine Möglichkeit, eine Tankfüllung zu bezahlen. Wenn sie das Benzin stahl, würde sie sofort wieder die Aufmerksamkeit der Polizei wecken. An der Tankanzeige leuchtete bereits die Reservelampe, als sie auf das Gelände einer Tankstelle rollte. Auf dem Parkplatz schaltete Lina den Motor ab und überlegte. Wie kam sie hier an Benzin oder Geld? Plötzlich kamen ihr die Tränen. Innerhalb eines Wimpernschlages war auf einmal alles zu viel und sämtliche Gedanken richteten sich darauf aus, aufzugeben und den Dingen ihren Lauf zu lassen.

„Verflucht. Warum muss mir das passieren?"

Erst nach mehreren Minuten versiegte der Tränenstrom und Lina sah im Innenspiegel, dass ihre Augen ordentlich gerötet waren. Jeder würde ihr jetzt ansehen, dass sie geweint hatte. Nun war es noch schwieriger, unauffällig zu bleiben. Sie ordnete mühsam ihre Gedanken. Entscheidend war erst einmal, an etwas Geld zu kommen. Die Passanten auf der Tankstelle und dem Parkplatz drängten eine Idee auf, aber für Taschendiebstahl war sie definitiv nicht talentiert genug. Einen Wagen aufzubrechen kam ebenfalls nicht in Frage und ein klassischer Überfall verbot sich von selbst. Damit waren auch schon alle Vorstellungen ausgeschöpft, die Lina aus Büchern und Filmen kannte. Sie verließ den Wagen und schlenderte über den Parkplatz, in der Hoffnung, dass ihr eine Möglichkeit ins Auge sprang. Sie humpelte ein wenig, aber die neuen Klamotten verbargen die Verbände so gut, dass kaum ein Mensch sie beachtete. Lina zuckte heftig zusammen, als ihr jemand auf die Schulter tippte:

„Hey. Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken."

Vor ihr stand ein durchaus gutaussehender Mann, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als sie selbst, und lächelte sie an. Mit klopfendem Herzen zwang sich Lina ebenfalls zu einem Lächeln:

„Ist schon gut."

Sie war nervös. Bereits vor diesem Urlaub wurde sie nicht gerne von Fremden angesprochen, aber in ihrer Situation machte ihr jeder Unbekannte Angst. Ihr Gegenüber schien zu bemerken, dass sie mit der Ansprache nicht glücklich war:

„Keine Sorge, ich wollte nicht mit dir flirten. Du hast nur dort vorne deinen Autoschlüssel verloren. Ist alles in Ordnung?"

Während Lina in ihrer Tasche überprüfte, ob der Schlüssel tatsächlich fehlte, dachte sie daran, dass ihrem Gesprächspartner offenbar ihre roten Augen aufgefallen waren. Ließ sich das möglicherweise ausnutzen? Ihre Jackentasche war in der Tat leer und sie nahm den hingehaltenen Autoschlüssel:

„Vielen Dank, das hatte ich nicht bemerkt. Nein, nicht so richtig."

„Was ist denn los? Natürlich nur, wenn ich fragen darf."

Ein wenig von sich selbst überrascht, wie kühl sie hier log, antwortete Lina mit belegter Stimme:

„Mein Freund hat mich auf dieser Reise herausgeworfen und nun versuche ich, nach Washington zu meiner Schwester zu kommen, aber er hat mich ohne Papiere, Handy oder Geld stehenlassen und nun ist der Tank von meinem Auto leer."

Der junge Mann nickte verständnisvoll:

„Das klingt ja wirklich mies. Darf ich dir erst einmal einen Kaffee ausgeben und dann überlegen wir, wie wir dir helfen können?"

Immer noch misstrauisch, ob das Freundlichkeit oder eine Falle war, stimmte sie zu und folgte ihm in das kleine Café bei der Tankstelle.

Erst bei der Tasse Kaffee merkte Lina, wie durstig sie war und trank sie erheblich zu schnell. Sie hustete. Ihr Gegenüber lächelte wieder:

Urlaub - Was tust du, wenn du alles verlierst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt