Linas Herz setzte einen Schlag aus und schlug ihr anschließend bis zum Hals. Gleichmäßiges Atmen war nahezu unmöglich. Langsam löste sich die Hand von ihrem Mund:
„Wehe du schreist jetzt. Ich denke, du schuldest mir eine Erklärung."
Der Griff an ihrem Oberarm wurde gelockert und erlaubte es Lina, sich zu ihrem Angreifer umzudrehen. Es war Greg.
„Verdammt, was machst du hier?"
„Dasselbe könnte ich dich fragen. Suchst du hier die Wohnung deiner Schwester?"
Die Frage triefte vor Sarkasmus. Seine Augen blitzten wütend und ließen keinerlei Ausflüchte zu. Entweder Lina antwortete oder er würde sie gnadenlos der Polizei ausliefern. Ihr blieb keine Wahl:
„Nun ja, eventuell bin ich nicht ganz ehrlich zu dir gewesen."
„Das ist mir auch aufgefallen. Du hast meinen Mailaccount manipuliert. Flüchtig aus Militärgewahrsam? Terroristin? Was ist los mir dir?"
„Es tut mir leid. Wirklich. Ich weiß auch nicht so richtig, wie ich in diese Sache geraten bin."
Jetzt war die Wahrheit ihre einzige Hoffnung. Greg hatte sie ohnehin in der Hand, da brachte es auch nichts mehr, irgendetwas zu verheimlichen. So erzählte Lina von ihrem Urlaub mit Ben, seinem Verschwinden, ihrer Entführung und allen anderen Dingen, die seitdem geschehen waren. Gregs Augen weiteten sich mit jedem neuen Ereignis und schließlich starrte er die junge Frau mit offenem Mund an. Es dauerte einen Augenblick, in dem er die Schilderung zu verdauen schien, doch dann räusperte er sich. Sein Gesicht zeigte großes Misstrauen:
„Nur mal zum Verständnis. Du willst mir ernsthaft erzählen, dass du eine Kunsthistorikerin im Urlaub bist, die nicht nur diverse Verletzungen ertragen hat, inklusive mehrerer Schusswunden, sondern darüber hinaus sämtlichen Sicherheitskräften entkommen ist? Die Einbrüche verübt und sogar Menschen getötet hat? Die selbstständig und auf der Flucht eine Spur bis in das Verteidigungsministerium verfolgt hat, ohne Rückendeckung oder Unterstützung von außen? Die von einem Militärstützpunkt geflohen ist und bis nach Washington durchgeschlagen hat, nur um mit dem Präsidenten zu sprechen? Und diese ganze Geschichte ohne Hilfe, von diesem Tom einmal angesehen."
Lina wusste nichts darauf zu erwidern und nickte nur. Greg schüttelte den Kopf:
„Du weißt aber schon, dass das unglaubwürdig klingt, oder?"
Die Minuten verstrichen und keiner von beiden sagte etwas. Schließlich rollte eine Träne Linas Wange hinab:
„Es ist die Wahrheit."
Nichts rührte sich. Mit quälender Langsamkeit vergingen weitere Momente, bis Greg letzten Endes die Stille durchbrach:
„Ich weiß."
Was? Lina sah überrascht auf. Der Polizist glaubte ihr? Er hielt sie nicht für eine gefährliche Terroristin, die sofort eingesperrt gehörte?
„Du glaubst mir?"
„Nun ja, deine Erzählungen passen genau auf die Hinweise in dem Fahndungsaufruf. Das deutet darauf hin, dass du die Wahrheit sagst. Was aber noch viel wichtiger ist: Ich habe dich in den letzten Stunden ein klein wenig kennengelernt und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du eine Terroristin bist. Vielleicht ist es mein Bauchgefühl und möglicherweise mache ich einen riesigen Fehler, aber ich werde dir helfen!"
„Helfen? Wobei?"
Er grinste schief:
„Du möchtest den Präsidenten sprechen. Das ist zwar fast unmöglich, aber unter Umständen haben wir eine Chance. Mit meinem Dienstausweis können wir den äußeren Sicherheitsring durchbrechen, aber direkt an ihn heranzukommen ist ausgeschlossen."
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Urlaub - Was tust du, wenn du alles verlierst?
Mystery / ThrillerBen und Lina freuen sich auf ihre Urlaubsreise in die USA. Der erste Urlaub seit Ewigkeiten. Es scheint alles wunderbar zu laufen, doch vor Ort geraten sie in einen Sturm. An und für sich nicht so schlimm, wäre nicht Ben während des Sturms verschwun...