Zweifel

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Während Tom fluchte und das Gaspedal durchdrückte, beobachtete Lina ihre Verfolger. Der Van kam näher und trug vermutlich Ärger in sich:

    „Kannst du irgendetwas tun?"

Tom drängte sich an einem Kleinwagen vorbei, dessen Fahrer ihnen den Mittelfinger zeigte:

    „Ich tue, was ich kann."

Lina umfasste den Griff der Pistole fester. Obwohl sie nie zuvor mit einer Waffe geschossen hatte, gab ihr das Metall ein wenig Sicherheit. Das Gefühl, etwas tun zu können.

    „Lina, mach keinen Scheiß."

Sie lächelte. Obwohl Tom so beschäftigt war, achtete er auf sie:

    „Keine Sorge, ich halte mich mehr daran fest."

Mehrfach waren die Lücken zwischen den Fahrzeugen furchtbar eng, aber Tom schaffte es immer wieder hindurch. Einige Autofahrer hupten sie wütend an, doch der vermeintliche Raser war längst weg. Die Verfolgungsjagd dauerte an und mit jeder Minute stieg das Risiko, dass es zu einem Unfall kam. Sie deutete so etwas an und während Tom zur Antwort nur brummte, flog mit einem lauten Scheppern der Außenspiegel an der Beifahrerseite davon. Dieser kleine Zusammenstoß ließ eine weitere Alarmglocke in Linas Kopf schrillen:

    „Hier wird doch ganz sicher jemand die Polizei rufen!"

Tom fluchte erneut leise:

    „Du hast Recht und dann sitzen wir richtig in der Scheiße."

Er riss das Steuer herum und rammte einige Leitkegel zur Seite. Der Wagen holperte über eine kleine Erhebung, die zur Begrenzung diente, und schleuderte auf die Parallelspur, die von der Hauptstraße wegführte. Der Abstand zum Van war leider noch zu groß, so dass dieser die Möglichkeit bekam, auf Toms Manöver zu reagieren. Lina sah, dass er einen Autofahrer schnitt und mit quietschenden Reifen ebenfalls auf die Abfahrt wechselte. Er kam näher. Sie umklammerte die Waffe. Ob sie es doch mal versuchte? Jeder weitere Gedanke wurde von einem lauten Knall vertrieben. Die Heckscheibe zersprang in unzählige Scherben. Tom schrie auf:

    „Warst du das?"

Lina warf einen entsetzten Blick auf die Pistole und sah das kurze Wölkchen, das aus dem Lauf aufstieg. Erschrocken ließ sie die Waffe in den Fußraum vor ihr fallen:

    „Ähm, vielleicht?"

Die Lautstärke in dem Wagen stieg enorm, was die Konzentration nicht vereinfachte. Sie drängten sich weiter durch den Verkehr. Die Landschaft flog an ihnen vorbei und schließlich erhoben sich links und rechts immer mehr Häuser. Lina sah, wo Tom hinwollte. Er steuerte genau auf eine größere Kreuzung zu. Mit einem lautlosen Gebet auf den Lippen starrte sie nach vorn, während sie, trotz roter Ampel, über die Haltelinien hinwegrasten. Sie schafften es, aber der schwarze Van hatte nicht so viel Glück. Er wich den Fahrzeugen aus, kam dabei ins Schleudern und verschwand in der Querstraße. Lina stieß die Luft aus:

    „Du hast es geschafft. Ich kann den Van nicht mehr sehen."

Tom antwortete nicht sofort, sondern lenkte den Wagen in eine Seitengasse:

    „Da bin ich mir noch nicht so sicher. Wir müssen das Auto sofort loswerden."

Sie fanden einen geeigneten Platz und der Pick-up stand so versteckt, dass er von der Straße aus nicht zu sehen war. Lina überredete Tom, die Schlüssel stecken zu lassen, in der Hoffnung, dass der Wagen gestohlen würde. Mit ein wenig Glück übernahm der Dieb dann ihre Verfolger und damit einen Teil ihrer Probleme. So schnell sie konnten, eilten sie durch die heruntergekommene Seitenstraße, bis Tom schließlich stehenblieb. Er stützte sich an einer Wand ab und grinste seine Begleiterin gequält an:

Urlaub - Was tust du, wenn du alles verlierst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt