Kapitel 10

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Ich werde durch ein grelles Licht geweckt. Blinzelnd schaue ich mich um. Ich liege immernoch im Stroh. Die Sonne ist gerade aufgegangen und blendet mich mitten ins Gesicht.

Schnell springe ich auf und schnappe mir meinen Beutel. Dort sind ein Leib Brot, Geld und meine Holzfigur, die ich von Vater kurz vor seinem Tod bekommen habe drin.

Den Eimer voller Wasser stelle ich wieder an den Platz, an dem er gestern gestanden hatte.

Ich renne zum Hafen. Hoffentlich sind sie noch nicht weg! Dieses Mal wirst du mir helfen, Jack! Das schwöre ich mir.

Ich sehe das Schiff schon von weitem. Schnell schleiche ich mich hinzu. Und da sehe ich auch schon Jack. Er steht da und fuchtelt mit seinen langen schlacksigen Armen herum. Er ruft den Händlern zu, wo sie ihre Waren hinstellen sollen.

Ich schmunzle leicht. Er erinnert mich an unseren Vater. Ist ja auch irgentwie klar.

Ich setze mir meine Mütze auf, damit ich mit meinen feuerroten Haaren nicht auffalle.

Die Zeit drängt. Also renne ich auf Zehenspitzen und geduckt zum Schiff, damit Jack mich nicht sieht.

Doch auf der Rampe zum Schiff hält mich der Erste auf.

"Halt! Was verkaufst du?", fragt er.

Denk, Elsa, denk!

"Ich... bin nur auf der Durchreise.", erkläre ich ihm, in der Hoffnung er lässt es dabei bleiben.

"Du musst aber bezahlen dafür!"

Ich werde langsam ungeduldig.
Ich krame meinen Beutel heraus.

"Wie viel macht das?!", frage ich.

"Zwölf Liren!"

Ich starre ihn fassungslos an. Zwölf Liren! Das ist nicht sein Ernst! Das kann nicht sein!

"Ich habe aber bloß 10 Lire!", stottere ich.

"Dann darfst du hier nicht drauf. Ganz einfach!"

"Aber... ich muss...", versuche ich zu erklären. Doch der Mann winkt ab.

"Nein. Zwölf Liren oder gar nicht."

Ich schaue mich verzweifelt um. Meine Lage scheint aussichtslos.

"Was ist das Problem, Walter?", fragt eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich langsam um.

"Dieser Junge hier hat nicht genug Geld dabei, um auf das Schiff zu gehen, Käpt'n."

Der rothaarige Mann nickt dabei. "Bist du auf der Durchreise, Junge?", fragt er mich.
Ich versuche, ihm mein Gesicht nicht zu zeigen und antworte nur mit tiefer Stimme:"Ja, Mister."

"Wo musst du hin?"

Ich überlege Fieberhaft.
"Nach... Frankreich."

"Und was willst du in Frankreich?", fragt er hartnäckig.

Ich glaube, ich kipp gleich um! WAS will Jack denn noch wissen?!

"Ich... will meine Großmutter besuchen. Sie lebt in Le Havre und sie ist sehr krank."

"Und warum fährst du dann alleine?"

Ich fange an zu schwitzen.
"Mein... Vater starb vor vielen Jahren und meine Mutter ist hochschwanger. Ihr würde die Fahrt nicht guttun. Und meine Geschwister sind noch zu klein."

Er überlegt kurz. Dann sagt er:"Walter, lass es gut sein. Nimm die zehn Lire und lass den Jungen auf das Schiff. Seien wir mal nicht so."

Mir fällt ein riesengroßer Stein vom Herzen. Ich wäre Jack am liebsten um den Hals gesprungen, doch ich halte mich gerade so zurück.

Ich übergebe dem Mann mein Geld und gehe auf das Schiff.

Jack folgt mir. "Tom! Komm her!", ruft Jack.

Ein junger Mann kommt zu uns. Er hat schwarzes Haar und eine große Nase.

"Ja, Käpt'n?", fragt er.

"Der Junge hier ist auf der Durchreise. Zeige ihm seinen Schlafplatz."

Tom nickt. Als Tom und ich gerade gehen wollen, hält mich Jack am Arm. "Wie heißt du, Junger Herr?"

Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Herrgott, Jack, quetschst du alle so aus?

"Mein Name... ist... Peter." Der Name ist mir spontan eingefallen.

"Willkommen auf dem Schiff, Peter.", sagt Jack und klopft mir auf die Schulter. Dann verschwindet er wieder und diktiert die Menschen umher.

"Komm mit, Peter. Ich zeig dir hier alles.", sagt Tom.

Ich folge ihm angespannt.
Er führt mich runter in den Bauch des Schiffs. Dort sind ein paar Hängematten.
"Hier kannst du schlafen. Ich zeige dir kurz die Vorratskammer."

Gleich neben den Hängematten gibt es einen kleinen Raum. Dort sind alle Vorräte gesammelt.

"Erste Regel: klaue niemals etwas aus der Vorratskammer! Glaub mir, ein Mann hat das schonmal gemacht. Er wurde erwischt und unser Käpt'n war sehr wütend. So habe ich ihn noch nie erlebt! Er raste vor Wut und hat rumgeschrien. Er hat dem Mann in das Rettungsboot gesetzt und hat ihm befohlen an das Land zurückzurudern! Der Mann bettelte, doch Jack, unser Käpt'n, hatte kein Mitleid. Also merk es dir:du wirst bestraft wenn du klaust! Hast du das verstanden?", fragt er mich.

Ich nicke eifrig. "Wie ist er so, der Käpt'n?", frage ich vorsichtig.

"Jack? Er ist unglaublich gerecht und gescheit. Jeder mag ihn und schätzt ihn. Aber wenn er verärgert ist, willst du ihm nicht begegnen."
Tom lächelt dabei.

Wenn du wüsstest, Tom, wenn du wüsstest, denke ich mir nur.

"Ich lasse dich nun allein. Du kannst dir ja schonmal ein Schlafplatz raussuchen."

Damit schreitet er davon. Ich bin dankbar, ein paar Minuten alleine zu sein, um das alles zu realisieren.

Ich bin wirklich auf dem Schiff! Ich gehe wirklich weg von hier! Keiner kann mich jetzt noch aufhalten! Kein einziger!

Ich könnte heulen vor Freude. Doch ich reiße mich zusammen und schaue mich nach einer freien Hängematte um. Ganz hinten entdecke ich eine. Doch als ich mich gerade hineinlegen will, kommt ein Berg von Mann daher und schnauzt mich an:"Das ist meine! Such dir eine andere!"

Das letzte was ich will ist Stress wegen soetwas. Also verziehe ich mich schnell. Bei den anderen beiden Matten ist es genauso.

Doch eine Matte direkt neben der Vorratskammer ist eine frei. Ich schaue mich unauffällig um. Kein Mann, der mich anschnauzen könnte. Also lege ich mich hinein und schaukle gedankenverloren hin und her. Jetzt wird alles anders.

Ich hole die Holzfigur von Vater heraus.

Wie sehr ich mir wüsche, er wäre jetzt hier.

Die PiratenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt