3. Kapitel: Erblindet

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Katara sah auf ihre Hände hinab. Sie war noch immer wie betäubt. Wie konnten ihre Hände zu so etwas in der Lage sein? Ihre eigenen Hände. Zuko hatte sich ergeben, wollte sich als Gefangener preisgeben und sie griff ihn an? Einen wehrlosen Menschen.

Er hat es verdient, vergiss das nicht.

Warum schrie dann alles in ihr? Sollte sie sich nicht gut fühlen? Sie hatte einen Bösewicht verjagt.

Katara seufzte. Der westliche Lufttempel war wunderschön. Jedes Mal, wenn sie mit Zuko zu kämpfen hatte, schien ihre Umgebung sie zu verhöhnen.

Im Gegensatz zum östlichen Lufttempel war dieser nicht auf einer steil aufragenden Bergkuppe gelegen, sondern lag versteckt unter dem Überhang einer Schlucht. Die wunderschön geformten Dächer zeigten spitz in die nebelverhangenen Tiefen, während der Hauskorpus an den Wänden zu kleben schien. In den Fels hatten vor hunderten von Jahren Luftbändiger riesige Hallen mit kuppelförmigen Decken und zierlichen Streben geschlagen, die zu Mosaikböden hinab führten. Enge Treppen und in Stein gehauene Galerien verliefen an den Wänden hinab in den Nebel, als würden sie mit ihren Verwandten auf der gegenüberliegenden Seite ein Wettrennen veranstalten.

Über sich sah Katara Sonnenstrahlen durch das Muster der Kuppel blitzen. Sie war auf dem Plateau, das die Gruppe als Lagerplatz ausgewählt hatte. In dessen Mitte plätscherte ein zierlicher Springbrunnen und wilder Wein rankte an den Streben empor.

Katara sah Sokka vor sich aufgebracht auf und ab gehen.

„Offensichtlich will er uns in eine Art Falle führen..."

„Das ist genauso wie, als wir im Gefängnis in Ba Sing Se waren", sagte sie nachdenklich. „Er fängt an über seine Mutter zu reden und versucht so zu erscheinen, als wäre er ein wirkliches, menschliches Wesen mit Gefühlen". Katara sah zu ihrem Bruder auf.

„Er will nur, dass du ihm vertraust und Mitleid mit ihm hast". Er sah sie ernst an. „Damit du deine Verteidigung herablässt und dann... schlägt er zu".

Sie biss sich auf die Lippe und begann auf und ab zu laufen. „Das Problem ist: Es hat funktioniert". Sie hob die Arme in die Luft. „Er hat mir Leid getan. Ich hatte das Gefühl, dass er wirklich verwirrt und verletzt ist". Die junge Wasserbändigerin blieb stehen und verschränkte die Arme. „Aber offensichtlich als der Moment kam, traf er seine Entscheidung. Und wir haben dafür bezahlt. Wir können ihm nicht vertrauen".

In diesem Moment, da Katara die Wahrheit realisierte, zerbrach etwas in ihr. Ein Teil ihres gläsernen Herzens, das schon zu oft, zu früh, zersplittert war. Zuko hatte seine Entscheidung getroffen. Lange bevor Ba Sing Se unter dem Coup von Azula gefallen war. Es war sein Schicksal.

Es räusperte sich jemand hinter ihr. Katara richtete sich verwundert auf und sah Aang, wie er scheinbar nervöse zwischen ihnen stand.

„Ich muss eine Art Ansage machen". Er kratzte sich am Kopf. „Erinnert ihr euch, als ihr zwei krank ward und ich von Zhao gefangen genommen wurde?" Aang sah in die Runde.

„Und du hast uns dazu gebracht, an gefrorenen Fröschen zu lutschen?", fragte Sokka aufgebracht. „Wie könnte ich das vergessen? Ich hatte einen Monat lang eine Warze an meinem Gaumen".

Katara verdrehte die Augen. „Ich habe nachgesehen und dir gesagt, dass da nichts ist", wandte sie sich genervt an ihren Bruder.

„Ich konnte es fühlen! Es ist schließlich mein Hals".

„Jedenfalls..."Aang sah Sokka von der Seite an. „... Als Zhao mich gefesselt hatte, war es Zuko, der kam und mich befreite". Aang schaute zu Boden. „Er hat sein Leben riskiert, um meins zu retten".

Katara blinzelte. Was? „Unmöglich". Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass er es damals nur getan hat, um dich selbst gefangen zu nehmen".

„Stell dich dem, Aang". Sokka trat an ihre Seite. „Du bist nichts Anderes als ein Preis für ihn".

„Jaah..." Er ließ den Kopf hängen. „Du hast bestimmt Recht".

In diesem Moment tat Aang ihr leid. Sie war sich sicher, dass er an jenem Tag bereit gewesen war, zu glauben, dass Zuko Gutes in sich hatte. Schließlich war Aang vor hundert Jahren auch mit Kindern aus der Feuernation befreundet gewesen.

Sie schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen. „Und was war das ganze verrückte Zeug darüber, Appa freizulassen?" Katara verschränkte die Arme vor der Brust. „Er ist so ein Lügner".

„Eigentlich hat er nicht gelogen".

Die junge Wasserbändigerin drehte sich erstaunt um. Da stand Toph.

„Oh, super". Sokka Stimme trieft vor Spott. „In einer ganzen Lebenszeit des Bösen hat er wenigstens nicht noch Tierschinderei zu seiner Liste hinzugefügt".

Toph verschränkte die Arme. „Ich sagte nur, dass, wenn man seine verrückte Familie und wie er erzogen wurde mit einbezieht, hätte er sehr viel schlimmer werden können".

„Du hast Recht, Toph". Katara wandte sich zu ihr. „Lasst ihn uns finden und ihm eine 'Nicht-so-sehr-ein-Vollidiot-wie-du-hättest-sein-können-Medallie' geben".

„Alles, was ich weiß, ist, dass er, während er mit uns geredet hat, ehrlich war". Tophs Fähigkeiten waren manchmal furchterregend. Sie konnte den Herzschlag anderer Menschen spüren und daran erkennen, ob sie die Wahrheit sprachen oder nicht. Doch Katara war zu aufgebracht, um ihr zu zuhören.

Toph zeigte geradewegs auf die Gruppe. „Vielleicht halten euch alle eure verletzten Gefühle davon ab, klar zu denken".

Katara stemmte die Arme in die Hüften. „Das sagt sich leicht, wenn du nicht dabei warst, als er uns mit Piraten angegriffen hat".

„Oder als er die Kioshi – Insel niedergebrannt hat", pflichtete Sokka ihr bei.

„Oder als er versucht hat, mich an dem Feuertempel gefangen zu nehmen", ergänzte Aang.

Katara nickte. „Warum würdest du überhaupt versuchen, ihn zu verteidigen?"

„Weil, Katara", sagte Toph bissig. „Ihr alle einen brutalen Fakt ignoriert". Sie sah in die Runde. „Aang braucht einen Lehrer, der ihm Feuer bändigen beibringt. Wir können an keine einzige, andere Person auf der ganzen Welt denken, die diese Aufgabe tun würde. Und jetzt". Die junge Erdbändigerin warf die Hände in die Luft. „Jetzt, wenn einer auf dem Silbertablett serviert auftaucht, werdet ihr nicht einmal darüber nachdenken?"

Aang trat entschlossen vor. „Zuko wird nicht mein Lehrer".

„Du hast vollkommen Recht". Sokka wandte sich an Toph und verzog das Gesicht. „Du nicht, Kumpel".

„Naja". Katara sah sich vergewissernd in die Runde. „Ich glaube, das ist geklärt".

Toph funkelte sie an. Dann warf sie ihre Arme in die Höhe. „Ich fange an, mich zu fragen, wer hier wirklich der Blinde ist". Sie stürmte davon, hinter ihr eine Spur aufgebrochener Steine.  

Ein verloren geglaubter TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt