16. Kapitel: Beschuldigt

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Die Sonne kroch langsam über den Horizont. Sattes Blutrot mit schimmerndem Gelb, wie im Inneren einer Flamme, breitete sich über den Himmel aus, während das goldene Licht mit seinen langen Fingern über die erwachende Welt tastete.

Die Frische des Morgens lies Katara leicht erzittern. Das stetige Brummen in in ihrem Schädel erinnerte sie daran, dass es sehr früh war, doch konnte sie unter keinen Umständen weiter herumsitzen. Allein der Gedanke, dass der Übeltäter ihrer Mutter dort draußen herum lief, hatte ihr eine unruhige Nacht bereitet. Ihre Gedanken hatten sich in endlosen Kreisen gedreht, während Katara sich von einer Seite auf die andere gewandt hatte. Sooft sie ihre Gedanken auch umgewälzte, sie war immer zu dem selben Ergebnis gekommen.

Sie würde diesen Mann finden – ein für alle Mal. Denn wenn es nur die geringste Chance gab, dass dieses Monster bekam, was er verdiente, blieb Katara keine Wahl. Für ihre Mutter würde sie alles tun.

Elektrisiert und bedrückt von ihrer Entscheidung gleichzeitig, suchte Katara weiter ihre Sachen zusammen. Die junge Wasserbändigerin begann das Gepäck auf Appa zu verstauen, während sie mit den Gedanken spielte, Zuko mit einem Schwall Wasser im Gesicht zu wecken.


Zuko kreischte.

„Verdammt!" Wütend schrak der Prinz in die Höhe.

„Guten Morgen", lachte Katara, während Zuko einige Momente brauchte, um sich zu finden. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und blinzelte verschlafen zu ihr herauf.

„Katara?"

„Ja, mein lieber Drache". Sie verzog das Gesicht, während Zuko erschöpft sich in seine Kissen zurück fallen lies. „Erinnerst du dich noch an unseren Ausflug?"

„Um diese Uhrzeit bin ich froh, wenn ich mich an meinen Namen erinnere". Genervt hielt Zuko die Hände vor seine Augen und massierte seine Stirn.

Sie prustete und wandte sich ab. „Komm nach, wenn du dich daran erinnert hast, was Frühstück bedeutet".

Katara vernahm noch ein leises Lachen, als sie Zukos Zeltwand hinter sich zu fallen lies. Der Tag begrüßte sie draußen mit hellen Sonnenstrahlen, als das Mädchen des südlichen Wasserstammes sich umschaute. Aang war aus seinem Zelt gekrochen.

Der Avatar rieb sich die Augen. „Was soll das alles hier?", fragte er und deutete auf den gepackten Korb des Luftbisons.

„Ich muss Appa ausleihen".

„Warum?" Aang verzog das Gesicht. „Bist du an der Reihe mit Zuko einen Ausflug zu gehen?" Er lachte scherzhaft, während der verschlafene Prinz neben ihm aus dem Zelt gestiegen kam.

„Ja". Katara seufzte, als sie Zuko etwas neben der Spur vor sich hin stolpern sah.

„Was ist los?" Aang sah sie überrascht an.

„Wir werden den Mann finden, der mir meine Mutter genommen hat", sagte Katara, während sie mit dem Verpflegungsbeutel im Arm Richtung Appa lief.

„Katara hat mir die Geschichte erzählt, was passiert ist", mischte Zuko sich ein. „Ich weiß, wer es war und wo wir ihn finden können".

„Oh, Gott". Aang schüttelte entschieden Kopf, während er ihr folgte. „Was denkt ihr, erreicht ihr damit?"

Katara zog finster die Stirn zusammen und wandte sich von Aang ab. „Ich wusste, du würdest es nicht verstehen".

Etwas ruppiger als eigentlich nötig zog die junge Bändigerin die Gurte des Korbes zurecht, während ein mulmiges Gefühl in ihrem Innern, ihr die Kehle zudrückte. Katara konnte es nicht leugnen: Wenn Aang sie unterstützt hätte, wären ihre eigenen Zweifel über diese Mission leichter herunterzuschlucken gewesen.

„Warte, Stopp". Der Avatar sprang vor sie, um sie vor dem Weggehen abzuhalten. „Ich verstehe es. Du fühlst unglaublich viel Schmerz und Wut. Wie denkst du, habe ich mich gefühlt, als die Sandbändiger Appa entführt haben? Wie denkst du, habe ich mich gefühlt, als ich herausfand, dass die Feuernation mein gesamtes Volk ausgelöscht hat?" Aang sah Katara eindringlich an.

„Sie braucht das". Zuko nickte entschieden und Katara war ihm unglaublich dankbar, dass er sie verteidigte. „Es geht hier darum, abzuschließen und Gerechtigkeit zu erhalten".

„Das denke ich nicht". Der letzte Luftbändiger verschränkte die Arme. „Ich denke, es geht darum, Rache zu bekommen".

Als er es aussprach, erstarrte Katara innerlich. Sie hatte sehr genau darauf geachtet, dieses Wort nie in Gedanken zu verwenden. Rache erinnerte sie zu sehr an Jet – den Freiheitskämpfer, den sie vor einiger Zeit kennengelernt hatten. Sie hatte ihm vertraut, nur um herauszufinden, dass er unschuldige Menschen tötete, um seine Rache an der Feuernation zu bekommen... und Aang wusste das.

„Na, gut", sagte Katara aufgebracht und funkelte ihn an. „Vielleicht ist es das, was ich brauche". Sie trat einen Schritt vor. „Vielleicht ist es das, was er verdient".

Aagn seufzte. „Die Mönche sagten immer, dass Rache wie eine zweiköpfige Rattenschlange ist. Während du zusiehst, wie dein Feind zu Boden geht, wirst du selbst vergiftet".

„Das ist süß". Zuko verzog das Gesicht. „Aber wir sind hier nicht in der Lufttempelgrundschule". Er zeigte um sich. „Das ist die echte Welt".

Als Zuko diese Worte sprach, wurde Katara schrecklich bewusst, wie Recht er hatte. Dies war die Welt, in der er gegen seine verrückte Schwester und Assassinen kämpfen, mehrmals fast in den Abgrund fallen, in Gefängnissen sein Leben riskieren und wegen ihr auch noch dem Mörder ihrer Mutter entgegen treten musste. Sie waren ständig in Gefahr und Katara hätte vieles darum gegeben, dass Zuko dem nicht ausgesetzt zu werden brauchte.

„Jetzt da ich weiß, dass er da draußen ist und wir ihn finden könnten..." Sie schüttelte langsam den Kopf. „Fühle ich mich, als hätte ich keine Wahl".

„Du hast immer eine Wahl", sagte Aang nachdrücklich. „Vergebung".

„Das ist das Gleiche, wie nichts zu tun". Zuko schüttelte den Kopf.

„Nein, ist es nicht". Der Avatar wandte sich an Zuko. „Es ist einfach, nichts zu tun, aber es ist schwer, zu vergeben".

„Es ist nicht nur schwer". Katara hörte selbst, wie bitter ihre Stimme klang. „Es ist unmöglich".

Entschlossen drehte sie sich um und stieg auch Appas Rücken. "Versuch nicht uns aufzuhalten".

„Das werde ich nicht", sagte Aang resigniert, während Zuko hinter ihr aufstieg. „Dies ist eine Reise, die ihr begehen müsst. Ihr müsst diesem Mann gegenüber treten. Aber wenn du es tust". 

Er sah sie eindringlich an. „Bitte entscheide dich nicht für Rache. Lass deine Wut raus und lass sie gehen. Vergebe ihm".

Als Katara ihm in die Augen sah, ballte sich etwas in ihr zusammen. Die Wut die plötzlich in ihr brodelte schien nicht zu vergehen, selbst als sie Aangs Gestalt langsam unter sich schrumpfen sah. Grimmig wandte die Wasserbändigerin sich ab und beobachtete Zuko, wie er das Bison über dem Wolkenmeer fliegen lies. 

Ja, vielleicht war es falsch. Vielleicht war, sie ein Monster, sich zu wünschen, wem auch immer ihrer Mutter dies angetan hatte, Schmerzen hinzufügen zu können. Vielleicht war sie ein Monster. Doch es hatte schon immer in ihr gelebt. Es verstand ihre Wut, ihre Verzweiflung, ihren Hass. Wenn Katara das Monster war, durfte sie hassen... und es fühlte sich verdammt gut an. 

Ein verloren geglaubter TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt