Teil vier - Die Lilie

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Bleierne Lider hoben sich widerstrebend. Ein langsamer Blick glitt durch den Raum. Dann kehrte das Gefühl in den steifen Körper zurück. Francis fühlte sich wie gerädert, jeder Muskel schmerzte und sein Rücken brannte wie Feuer. Ihm wurde schwindelig, als er sich aufrichtete und auf die Bettkante setzte. Mit ein paar ruhigen Atemzügen brachte er den Raum dazu, sich nicht mehr um ihn zu drehen. Auf einem Tisch neben ihm stand ein Glas mit Wasser. Er griff danach und leerte es gierig.
Dann blickte er zur Tür. Ein Wachtposten stand dort und starrte ihn stumm an. Francis glaubte sich zu erinnern, dass er beim Aufwachen zwei Personen wahrgenommen hatte. Der andere war wohl zu Karvanté unterwegs. Er seufzte und lies sich wieder in die Kissen zurückgleiten. Wenn der Mann etwas von ihm wollt, sollte er kommen. Er jedenfalls würde sich keinen Meter aus diesem Bett bewegen.

Als der Marquis erfuhr, dass Drake wach war, war er innerlich erleichtert. Zum einen machte es die nächste Begegnung mit Isabella wesentlich angenehmer, wenn er einen lebenden Piraten vorweisen konnte. Zum anderen hatte er noch ein ganz spezielles Geschenk für ihn, das gerade so weit gehen würde, wie es seine Königin gutheißen konnte. Er hatte schon befürchtet, keine Gelegenheit mehr dazu zu haben, bis sie Frankreich erreichen würden.
Er gab seinen Untergebenen die nötigen Anweisungen und machte sich auf den Weg. Als die Tür aufschwang, hob Francis den Kopf. Karvanté trat ein und musterte ihn scharf.
„Wurde aber auch Zeit. Kommt mit."
Als Francis keine Anstalten machte aufzustehen, gab er den Soldaten, die hinter ihm den Raum betreten hatte, einen Wink. Sie packten den Piraten an den Armen und hoben ihn aus dem Bett.
Er protestierte. „Hey, lasst mich los! Ich kann alleine gehen!"
Doch sie blieben stur, folgten ihren Befehlen und schleiften ihn aus der Kajüte. Francis warf dem Marquis einen bitterbösen Blick. Sie machten halt am Hauptmast. Dieser stolze Stamm, der die Hauptlast des Tauwerks und der Segel auf der Dragon trug, sah nach den vergangenen Wochen nicht mehr so makellos aus, wie Francis das auf seinem Schiff gewohnt war. Dunkle Spritzer sprenkelten das Holz, hier und da standen Splitter hervor und die Planken darum waren ebenfalls dunkel gefärbt und stanken. Sand, Wasser und eine Bürste konnten gegen blutgetränktes Holz wohl nur bedingt etwas ausrichten.

Sie banden seine Arme wieder über dem Kopf fest, seine Handgelenke protestierten kaum noch gegen diese Behandlung. Diesmal wanderte auch ein Stück Seil um seine Beine und hielt ihn so nah am Mast wie möglich. Er bewegte sich versuchsweise und ruckte an den Fesseln, aber sie gaben keine Zentimeter nach.
Als nächstes wurden die Verbände an seinem Rücken mit einem Ruck heruntergerissen. Francis stöhnte, als er spürte wie einige der alten Wunden wieder aufrissen. Er wappnete sich innerlich für ein weiteres Dutzend Hiebe mit der neunschwänzigen Katze, doch die blieben aus. Als er versuchte den Kopf zu drehen, um zumindest einigermaßen erkennen zu können, was hinter ihm geschah stockte ihm der Atem und sein Gesicht war von Entsetzen gezeichnet. Er geriet in Panik und zog und zerrte wieder an den Seilen. Dass ihm die Stricke dabei in die Haut schnitten und etwas Feuchtes an seinen Armen herabrann, spürte er kaum.
Hinter ihm war in einem großen Kessel ein Feuer angezündet worden. Es züngelte an den gusseisernen Wänden des Gefäßes hoch und die Luft darüber flimmerte vor Hitze. Einer von Karvantés Männern stand davor und hielt einen Stab in die Flammen an dessen Spitze etwas rot glühendes, erstaunlich großes steckte. Ein Brandeisen, das war ein verfluchtes Brandeisen. Francis atmete hektisch und brach in kalten Schweiß aus, als er es zischen hörte.
Feuer, von allen schrecklichen Dingen auf der Welt, ausgerechnet Feuer.

Bilder zuckten durch seinen Kopf. Ein brennendes Haus irgendwo in England. Sprühende Funken, krachende Balken und er selbst, wie er schreiend davor stand, bereit sich in die Flammen zu stürzen, gehalten nur von starken Armen die ihn weg zogen, in Sicherheit zerrten, weg von einem Leben, das gerade unwiderbringlich verloren war. Sein Leben, zu dem er nicht mehr zurückkehren würde. Seine Familie, die nun nicht mehr erfahren würde, wie stolz und erfolgreich ihr einziger Sohn auf See geworden war, zu stolz um seine Herkunft geheim zu halten. Zu stolz um die Seinen zu schützen...

PiratenblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt