Irgendwann konnte er die Augen wieder öffnen. Sein Körper war eine einzige pochende Wunde, sogar das Atmen tat weh. Er konnte sich kaum bewegen und versuchte es erst gar nicht. Der Dunkelheit nach zu urteilen und der Kälte war er wieder zurück in seiner Zelle. Irgendwo tropfte etwas und er musste husten. Das stach tief drin in seiner Brust und er musste rasselnd nach Luft schnappen. Der metallische Geschmack auf seiner Zunge lies ihn schlucken. Auch das tat weh und er versuchte langsamer zu atmen und den Würgereiz zu unterdrücken.
Er sah sich um, sah in die Zelle gegenüber, erwartete dort seinen mittlerweile ziemlich abgemagerten ersten Maat. Aber die Zelle war leer.
Zu spät. Diesmal war es vorbei.
Er war ganz allein in der dämmrigen Dunkelheit, es war kalt, aber sein Herz gefor in diesem Augenblick zu Eis. Der Schrei in seinen Gedanken entwich diesmal auch seinen Lippen und hallte als raues Krächzen von den Steinwänden wider.
Und dann brach der Damm in seinem Inneren und die Flut an unterdrückten Gefühlen brach über ihn herein. Einsamkeit, ohnmächtige Wut, Verzweiflung, Schuld und vor allem das alles durchdringende Gefühl des Verlustes. Es gab nichts mehr, für das es sich zu Kämpfen lohnte. Keinen Grund mehr am Leben zu bleiben. Als das Schluchzen verebbte und der Schlaf wie eine Ohnmacht über ihm zusammenschlug war sein einziger Wunsch, am nächsten Tag nicht mehr aufzuwachen.
Es wurde ruhig, aber neben den abgehakten Atemzügen des Gefangenen hörte man noch andere leise Geräusche. Ein Schleifen von Stoff über den Boden, leise Schritte. Eine Gestalt im dunklen Mantel mit tiefgrünen Augen blieb an seiner Zellentür stehen. Er lag zusammengerollt in der Ecke, sie konnte kaum erkennen, wie seine Brust sich hob und senkte.
Verdammt, verdammt, verdammt.
In der Hand hielt sie ein kurzes Rohr, an diesen Ende es metallisch blitzte. Ein kleiner Pfeil steckte darin, dessen Spitze in eine sorgsam zusammengestellte Flüssigkeit getaucht war. Sie hob es an die Lippen, entschied sich dann aber doch wieder dagegen. Nein, noch nicht. Das Risiko war zu groβ, aber die Alternative ein Spiel, das sie beide verlieren konnten.
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Der nächste Tag kam und mit ihm der Teufel. Wie immer musterte er zuerst seinen Gefangenen, der kraftlos an der Wand lag. Die beiden Wachen sahen keine Veranlassung mit einzutreten, die Gefahr, die von ihm noch ausging, war gering. Die Tür schloss sich und Karvanté näherte sich Drake.
Er suchte mit seinem Blick nach der Wasserschale, die er ihm hatte bringen lassen, als Francis ihn aus dem Nichts heraus anfiel. Mit Fäusten, Füßen, Zähnen und allem, was er in die Finger bekam, attackierte er den anderen Mann. Der Wahnsinn leuchtete in seinen Augen und gab ihm Kraft. Die Wachposten vor der Tür stürzten herein, aber da hatte Drake bereits einen Dolch erbeutet und wehrte sich nach Kräften. Als sie ihn schließlich überwältigten, hatte er beträchtlichen Schaden angerichtet.
Der Franzose blutete aus einigen Wunden, ein breiter Schnitt zog sich über seine Brust. Francis' Stimme war heiser und kaum zu verstehen, als er anfing, wüste Beleidigungen auszustoßen. Er trat nach den Männern, die ihn hielten, spuckte Karvanté vor die Füße.
Dieser zog seinen Degen, ein scharfes Geräusch, dem eine absolute Stille folgte.
Das Leuchten in Francis Augen verblasste, sein Atem kam rasselnd.
"Macht endlich ein Ende."
Ihre Blicke trafen sich. Einen Moment nur, aber das genügte. Karvanté warf den Degen zu Boden und löste die Peitsche aus seine Gürtel.
"Der Tod durch meine Waffe wäre eine Gnade, Sir Drake. Eine Gnade, die ich euch nicht gewähren werde. Du wirst sterben, wie du es verdienst, Pirat."
Francis schloss die Augen. Die Wachen ließen los, wohl wissend, dass sie ihrem Herrn nicht mehr im Weg sein durften. Als es begann, zogen sie sich zurück. Es war kein Mitleid gegenüber dem Gefangenen, das sie wegschauen ließ, sondern ein Anflug von Abscheu ihrem Herrn gegenüber, der in diesem Augenblick wirklich wie der Teufel persönlich wirkte.
Hätte er noch die Kraft zum Schreien gehabt, er hätte es getan. Die Zeit des Ertragens und der Selbstbeherrschung war vorbei. Die Peitsche machte keinen Unterschied mehr, welche Körperteile sie traf. Gesicht, Unterkörper, der Graf riss ihm wahllos die Haut vom Körper, dass das Blut spritzte. Die Geräusche, die jetzt seine Brust verließen, war undefinierbarer, ein Ringen nach Luft, als Karvanté ihn dem Tode entgegentrieb. Auch wenn er selbst das Ende herbeisehnte, sein Körper wollte sich nicht damit abfinden und kämpfte um jeden Atemzug.
"Hey, Karvanté!"
Der Schrei zerriss die Luft und er sah auf. Direkt vor der Zelle stand eine schwarz gekleidete Gestalt, nicht besonders groß, aber durch ihre Haltung erfurchtgebietend. Sie schlug die Kapuze zurück und enthüllte eine Flut schwarzer Locken. Die Frau hatte vornehm blasse Haut und leuchtend grüne Augen. Ihre Gesichtsausdruck war spöttisch, sie wirkte nicht so, als würde sie diese Exekution im Mindesten beeindrucken.
"Herr Graf, diesmal wirst du mich nicht aussperrren. Überhaupt, ist dir klar, dass du ihm den Gefallen seines Lebens tust?"
"Das mag sein. Aber ich habe genug von ihm."
Die Frau neigte den Kopf. "Das hörte sich vorhin noch ganz anders an. Da hast du noch bedauert, nicht mehr Zeit zu haben."
"Das mag sein.
Willst du zusehen?"
Sie trat ein. "Bist du sicher, dass er nicht bereits tot ist?"
Ihre Fuβspitze schob sich unter Francis Seite und drehte ihn auf den Rücken. Sie beugte sich kurz über ihn, einen Moment nur legte sich eine Falte Ihres Umhangs über seine Brust und er zuckte zusammen. Schnell lieβ sie ihre Hand wieder verschwinden.
"Wohl nicht."
Karvanté schlug die Peitsche gegen seine Stiefel.
"Geh mir aus dem Weg."
"Meinetwegen." Sie zuckte die Achseln.
"Aber weißt du, warum er so plötzlich sterben will?"
Sie deutete auf die leere Zelle gegenüber. "Sein Freund ist weg. Er erträgt die Einsamkeit nicht. Er hatte wohl immer noch auf ein biβchen Zuspruch gehofft und soll nun ganz alleine sterben."
Sie lächelte. "Ich glaube, du reagierst zu impulsiv. Du machst genau, was er will, du erfüllst ihm wie eine Marionette seinen letzten Wunsch. Lass dich doch nicht so manipulieren!"
Die letzten Worte spuckte sie aus und trat beiseite.
"Bitte sehr. Viel Spaß."
Der Moment dehnte sich ins Endlose. Francis sah ihn flehend an. Er presste mühsam Worte hervor.
"Bitte. Lasst mich..."
Karvanté lächelte. Sollte dass das Bitten und Flehen sein, nachdem er sich die ganze Zeit gesehnt hatte? Die Kapitulation dieses Mannes, dessen Lebenwillen er nicht brechen konnte?
"Bitte. Lasst mich... gehen...."
Bevor der Graf eine Entscheidung fällen konnte, wurde sie ihm bereits abgenommen. Francis rang nach Luft, als er einen Schwall dunkelroten Blutes erbrach, er schluckte heftig und sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt. Er krümmte sich auf dem harten Steinboden und seine Haut wurde fast weiβ. Karvanté ging vor ihm in die Hocke und legte ihm die Hand auf die kalte Brust, um ihm noch einmal in die Augen zu sehen, doch der Blick des Piraten glitt an ihm vorbei, zu der Frau mit den grünen Augen, die völlig ruhig über ihm stand, eine Todesgöttin, die gekommen war, ihn zu holen.
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Piratenblut
AventuraFrancis Drake saß auf dem Boden der Gefängniszelle, die Hände im Schoß und den Kopf gegen die Wand gelehnt. Jesse hatte sich auf der Pritsche in der Zelle gegenüber ausgestreckt, stand jetzt jedoch auf und trat ganz nah ans Gitter heran. "Wenn du n...