Teil 12 - Esmeralda

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Der Raum war ruhig geworden. Karvanté stand vor dem Feuer, das nun langsam herunterbrannte. Was für ein Tag. Die groβe Tür knarrte noch einmal, öffnete sich aber nur einen spaltbreit. Eine schmale Gestalt huschte herein, ein Schatten aus dunklem Stoff und wehenden Locken.

"Esmeralda."

Er wandte sich der Frau zu, die langsam zu ihm schlenderte.

"Karvanté."

Sie nickte ihm zu und sah sich um. Die Kammer sah aus wie ein Schlachthaus. Sie hatte dieses Loch schon früher gesehen und wusste, dass nicht alles, was hier klebte, frisches Blut war. Aber trotz allem lies sie der Geruch und der Anblick erschaudern. Fast meinte sie, die Echos der Schreie zu hören, die hier noch vor kurzem verklungen waren.

Sie kam bei dem blutbesudelten Tisch an, fand ein Eck, das noch relativ sauber war, und schwang sich leichtfüβig darauf. Sie lies die Füβe baumeln und blickte Karvanté erwartungsvoll an.

"Na? Was hast du mir zu erzählen?"

Er legte den Lumpen, mit dem er gerade eine Klinge bearbeitet hatte beiseite, um ihr seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.

"Was, na? Erzähl mir nicht, dass du nicht gelauscht hast. Ich würde dir kein Wort glauben."

Tatsächlich hatte sie gelauscht, gerade so weit weg, wie es Karvanté erlaubt hatte und sie hatte Drake gesehen, als die Folterknechte ihn zurück in seine Zelle gebracht hatten.

"Meine Frage ist: Lebt er noch? Was hast du getan? Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!"

Er schmunzelte und tauchte seinen Lumpen wieder in den Eimer Wasser auf dem Tisch. Es begann, sich rot zu färben.

"Ja, ich glaube, er lebt noch. Erstaunlicherweise. Aber meine Zeit in dieser Kammer ist begrenzt. Die Königin hätte ihn ja am Liebsten sofort hängen lassen, ich bin froh, dass ich ihr zumindest diese Stunden hier abringen konnte. Es scheint, die Folterkammer ist ein viel besuchter Ort und wenn man sie komplett für sich alleine will, muss man sich arrangieren.

Wie auch immer. Wenn ich hier fertig bin, werde ich nach ihm sehen. Ein, zwei Stunden wird das hier noch dauern."

Er sah an sich herab. Das Hemd und die Hose waren blutfleckig, kleine Spritzer und groβe nasse Stellen.

"Und ich sollte mich wohl umziehen."

Esmeralda hüpfte vom Tisch, ganz unschuldiges Mädchen und begann ihn zu umkreisen.

"Sag mir, was hast du mit ihm gemacht? Warum durfte ich nicht zusehen?" Sie schmollte.

"Du weiβt genau, dass ich Expertin für den leisen, schnellen Tod bin. Diese laute, langsame Version hätte mich durchaus interessiert. Vielleicht hätte ich ja noch etwas lernen können..."

"Meine Liebe, in deinem Beruf würde dir laut und langsam wohl eher selbst den leisen, schnellen Tod bringen. Das hier war eine Sache zwischen Drake und mir. Und lass es dir gesagt sein, es war in jeder Beziehung eine sehr befriedigende Erfahrung."

Er grinste und Esmeralda lief es kalt den Rücken hinunter. Dieser Mann war ihr fremd, dieser Ausdruck in seinen Augen so unergründlich und finster, dass sich sich nicht zum ersten Mal fragte, wie weit sie diese Freundschaft noch treiben konnte.

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Es waren zwei Männer nötig, um Francis zu transportieren. Einer hatte ihm die Arme unter die Achseln geschoben, der zweite nahm seine Beine. Die Zellen neben dem langen Gang waren leer, diese Männer hatte den Teil Ihrer Strafe, der sie hier festgehalten hatte, bereits verbüsst und waren auf dem Weg zum Stadtplatz um sich am Pranger der schaulustigen Menge ausliefern zu lassen.

Nur Jesse war noch da. Er ging in seiner Zelle auf und ab, halb wahnsinnig vor Hunger, Durst und unterdrückter Angst. Es schien fast so, als ob sie ihn vergessen hatten, hier unten in diesem kalten Loch von einem Kerker.

Als er wieder sich nähernde Schritte hörte, blieb er stehen. Er sah sie herankommen und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. War das wirklich sein Freund, den sie da zwischen sich trugen?

Er war nackt, aber so voller Blut, Asche und Dreck, dass man nicht viel davon erkennen konnte. Er wirkte völlig leblos, aber die Männer trugen ihn mit angemessener Vorsicht durch den Gang, öffneten seine Zellentür und legten ihn an der Wand ab.

Jesse Stimme wurde laut und er hämmerte gegen die Gitter. "Lasst mich zu ihm! Ihr würdet ihn nicht zurückbringen, wenn er schon tot wäre. Bitte, lasst mich helfen!"

Einer der Männer schloss Jessies Tür auf und ein anderer packte ihn und drehte ihm die Arme auf den Rücken.

"Das hatten wir vor, auf Anweisung des Grafen."

Sie stieβen ihn in die andere Zelle und schlossen ab. "Zehn Minuten."

Jesse kniete neben seinem Kapitän nieder. Atmete er noch? Ja, ganz leise und flach, kaum wahrzunehmen. Er fühlte seinen Puls und auch dieser war vorhanden, flatterte unter seinen tastenden Händen. Francis war und blieb bewusstlos, aber Jesse musste die Zeit nutzen, die ihm blieb. Karvanté hatte Recht gehabt. Er dachte nicht einen Moment daran, ihn unter seinen Fingern sterben zu lassen, so lange er noch irgendetwas tun konnte.

Er riss seine eigene Kleidung in Streifen und versuchte, das Blut aus den schlimmsten Wunden zu stillen. Er tastete und versuchte festzustellen, was passiert war, aber er hatte kein Wasser und nicht mehr Werkzeuge als seine beiden Hände und die Zeit lief ihm davon. Francis regte sich nur einmal kurz, er röchelte nach Luft und schlug fahrig gegen Jessies Arme, wie um ihn wegzudrücken. Viel zu schnell, standen die Männer wieder vor der Zellentür. Jesse versuchte zu verhandeln, noch ein paar Minuten mehr, nur noch ein biβchen, aber sie rissen ihn hoch und zogen ihn aus der Zelle.

Und sie führten ihn weiter geradeaus. Er sah noch einmal kurz zurück, aber schon hatte er eine Faust in der Seite, die ihn weitertrieb.

Aus einiger Entfernung kamen wütende Rufe und das Geräusch klopfender Fäuste auf Metall und Stein. Der Gestank wurde schlimmer, aber Jesse hatte sowieso keine groβen Erwartungen mehr ans Leben. Er stolperte voran und als sich eine weitere Tür hinter ihm schloβ, holte ihn die Realität wieder ein.

Er sah sich um, keiner nahm Notiz von ihm. Nur ein weiterer schmutziger Gefangener, der aus Gott weiβ welchen Gründen in diesem Loch gelandet war. Fliegen surrten um die Stellen, an denen die Männer ihre Notdurft verrichtet hatten und manchmal auch um einzelne Gestalten, die dem Leben wohl bereits den Rücken gekehrt hatten. Wie betäumt taumelte er tiefer in den Raum.

PiratenblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt