Teil fünf - Paris

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Mit der Aktualisierung erweitert um eine neue und sehr wichtige Perspektive, deshalb fast doppelt so lang. ;-)

Der Morgen war kühl und noch feucht vom Tau, als ein Zug aus vergitterten Karren mit einem Haufen schmutziger Männer durch die Straßen der Stadt fuhr. Francis genoss die frische Luft, atmete in tiefen Zügen. Die Sonne wärmte seinen Rücken und er sah sich mit wachen Augen um. Trotz der frühen Stunde waren schon vereinzelt Menschen unterwegs. Händler bauten ihre Buden auf, Ochsenkarren und Handwagen klapperten über das Kopfsteinpflaster.
Vielleicht war es der nahende Tod, vielleicht aber auch einfach diese Stadt Paris, die in Francis eine sonderbare Stimmung aufkommen ließ. Er war das erste Mal hier und alles wirkte im Licht des jungen Morgens so neu und unverbraucht. Auch wenn sich der Dreck im Rinnstein und am Straßenrand sammelte und der leichte Wind den Geruch nach Exkrementen und Abfall nicht ganz vertreiben konnte. Das hier war die Hauptstadt Frankreichs, so lebendig und bunt wie nur wenige Orte auf der Welt.
Francis hörte die fröhlichen Stimmen der Straßenjungen, genauso wie das Gezwitscher der Vögel, spürte die kühle Luft auf seinem Gesicht und fühlte, wie sich feine Nackenhärchen unter der leichten Morgenbrise aufrichteten. Der Tag war noch jung, der Himmel vielversprechend und die Bewohner von Paris machten sich für einen weiteren Arbeitstag bereit. Seine Gedanken schweiften wieder zurück zu seinem eigenen Schicksal, das ganz im Gegensatz zu diese fröhlichen Betriebsamkeit stand.
Unwillkürlich strafften sich seine Schultern. Die auf den Rücken gebundenen, fast schon taub gewordenen Hände kribbelten, als sich die wundgescheuerten Handgelenke berührten. Seine ganze Haltung drückte Stolz aus, Stolz und Würde bis zum Tod. Er würde sich vor der Königin und den Richtern nicht die Blöße geben, um Gnade zu flehen, sondern bis zum letzten Atemzug nichts als Verachtung für sie übrig haben. Es war schon eine ganz besondere Sache mit der Piratenehre. Diese Männer konnten bisweilen übervorsichtig sein und setzten sämtliche Segel, wenn sie nur die ferne Flagge der Marine erblickten, um mit fliegenden Fahnen zu türmen. Doch wenn es zum Kampf kam oder sie sich ihrem eigenen Tod gegenübersahen, bewiesen sie eine unerschütterliche Tapferkeit. Dieser Francis Drake würde seine Angst und Verzweiflung niemals zeigen und zumindest vor dem Gericht seine Selbstbeherrschung wahren. Seine Ehre würden sie ihm nicht nehmen können.

Der Wind wurde stärker und zerzauste Francis' Haar. Er schüttelte den Kopf, damit es ihm nicht ins Gesicht geweht wurde. Der Straßen waren mittlerweile gut gefüllt, das Durchkommen wurde immer schwieriger. Die Wagen musste sich einen Weg mitten durch die Menge bahnen. Nicht wenige Leute blickten neugierig auf den Gefangenentransport, reckten und streckten sich, um wenigstens einen kurzen Blick auf die gefesselten Männer zu erhaschen. Doch die Soldaten, die teils auf Pferden, teils zu Fuß den Wagen flankierten, achteten sorgsam darauf, dass niemand zu nahe kam.
Francis musste schmunzeln. Es kam ihm fast so vor, als hätten sie selbst jetzt noch Angst, dass er fliehen könnte. Sein Blick schweifte über das Getümmel. Er las in den Gesichtern Neugierde und eine gewissen Sensationslust, aber niemand schien ihnen echten Hass entgegenzubringen. Eigentlich hatten sie auch keinen Grund dazu. Was kümmerten diese Leute die Schlachten, die auf den fernen Meeren gefochten wurde.

Drake wollte sich schon wieder abwenden, als er plötzlich erstarrte. Er fühlte mehr als er sah, dass ihn jemand beobachtete. Nach kurzem Suchen machte er in der Menge ein Paar grüner Augen aus, die direkte in die seinen blickten. Forsch, interessiert, ohne eine Spur von Sensationsgier. Seine kristallblauen Augen erwiderten den Blick und vor einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Francis schauderte, spürte eine kribbelnde Gänsehaut. Alle Geräusche schienen plötzlich verstummt zu sein, er hörte nur sein pochendes Blut, das ihm in den Schläfen dröhnte. Er war wie gebannt und fühlte, wie er in diesen grünen, unergründlich tiefen Augen versank.
Da holperte der Wagen über ein Schlagloch und Francis wurde aus seinen Träumen gerissen. Für einen Moment war er verwirrt, aber als er zu der Stelle zurück sah, an der die Person stehen musste, fand er niemanden mehr.

Karvanté ritt an der Spitze des Zuges. Alles an ihm, die Haltung, der Gesichtsausdruck, zeugten von Sieg und Triumph. Er war zu recht stolz auf sich, nach all den Jahren hatte das Schicksal ihm seinen Todfeind endlich in die Hände gespielt und er hatte seine Chance genutzt. Francis Drake hatte ihn viel zu lange geärgert, ihn zum Gespött des Adels gemacht und so tief in seiner Ehre gekränkt, dass er einen glühenden Hass auf ihn empfand. Und doch. Er drehte sich einmal kurz um. Da stand er, aufrecht an die Holzbalken gelehnt, ruhig und gelassen. Karvanté knirschte mit den Zähnen und wandte sich wieder nach vorne. Ein Bild zuckte durch seinen Kopf, dieses spöttische Lächeln, das ihn seit Jahren verhöhnte und ihn immer wieder zur Weißglut trieb. Es schürte seinen Hass nur aufs Neue und seine Hände begannen zu beben.
Ich werde diesen verdammten Stolz aus ihm herausprügeln, bis er auf die Knie fällt und um Gnade winselt.
Karvantés Gesicht verzog sich zu einem hämischen Grinsen. Er hatte gute Aussichten, sein Vorhaben endlich durchführen zu können und sich seinen größten Wunsch zu erfüllen -Rache, blutige Rache. Er hasste Drake, solange er denken konnte und lebte dafür, diesen Mann über die Weltmeere zu hetzen, ihn zu quälen, zu foltern, an den Rand des Wahnsinns zu treiben, nur um dieses verfluchte Lächeln für immer aus seinem Gesicht zu wischen.

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