Die nächsten Wochen verliefen ereignislos. Sie kaperten was das Zeug hielt, enterten mit einer übermütigen Leichtigkeit Schiffe, die ihnen eigentlich ein paar Nummern zu groß waren und versenkten auf ihrem Weg den einen oder anderen Kahn, wenn er sich gar zu sehr zur Wehr setzte. Sie handelten und tauschten die Beute in den am Weg liegenden Hafenstädten gegen das ein, was sie gerade brauchten und verprassten den Gewinn sofort wieder. Das Glück war ihnen hold bis zu jenem schicksalhaften Tag, als der Schiffsjunge Matthew im Mastkorb wild mit den Armen winkte, als er ein weiteres Schiff erblickte.
„Französisches Frachtschiff, backbord voraus!"
Der Kapitän setzte das Fernrohr ans Auge und betrachtete ihre nächste Beute. Nicht besonders groß, lag aber schwer im Wasser. Was auch immer hier an Bord war, es wirkte vielversprechend.
„Steuermann, wenden. Direkt darauf zu, sie dürfen keine Möglichkeit haben abzuhauen. Bei dem Tempo dürfte das wohl kein Problem sein, das Ding kriecht ja dahin. Kanonen vorbereiten, aber geht sparsam damit um. Das ist ein Frachter, kein Kriegsschiff."Das Entern geschah blitzschnell, es war nur eine Sache von Minuten bis der fremde Kapitän sich ergab und die gegnerische Mannschaft die Waffen streckte. Sie waren wirklich schlecht besetzt, ein Wunder, dass dieses Schiff mit so wenigen Männern überhaupt seetüchtig war. Das hätte Francis vielleicht misstrauisch machen sollen, aber an eine Falle verschwendete er nicht einen Gedanken. Zu erfolgreich war die bisherige Fahrt gewesen, mittlerweile hielten sich die Männer der Dragon für fast unbesiegbar.
„Räumt schon mal die Ladung aus, ich sehe mich in der Kajüte es Kapitäns um. Mal sehen, was der Gute für Schätze in seinen Truhen versteckt. Da findet sich bestimmt etwas Nettes."
Diese Unvorsichtigkeit war der Fehler. Im Nachhinein betrachtet hätte sich das ganze Desaster durch ein etwas überlegteres Handeln verhindert lassen oder zumindest hätte sie das Schicksal nicht ganz so hart erwischt. Jesse, der erste Maat, ließ es sich nicht nehmen als erster die Ladeluke zu öffnen. Ohne groß darüber nachzudenken, riss er voller Übermut die große Klappe auf, die zu den Lagerräumen führte. Er hatte kaum Zeit, eilig zur Seite zu springen, als er von einem Sturm Soldaten fast umgerissen wurde. Sie wurden total überrumpelt.
Aus siegessicheren Piraten wurden plötzlich überraschte Männer, die sich auf einmal heftig ihrer Haut wehren mussten. Francis hatte die Kajüte nicht ganz erreicht und stellte sich wie seine Männer dem Kampf. Es sah von Anfang an schlecht für sie aus. Das waren keine einfachen Seemänner, das waren ausgebildete Kämpfer, eine wahre Armee aus Söldnern, die da auf sie eindrosch. Sie hatten mit vielem gerechnet, aber dieser gezielt und geplant ausgeführte Angriff war nicht dabei gewesen. Zahlenmäßig unterlegen schlugen sie trotzdem um sich wie die Wilden, wurden aber langsam zurückgedrängt und einer nach dem anderen starb unter der Waffe ihrer Angreifer oder war gezwungen, sich zu ergeben. Francis suchte mit den Augen nach dem Mann, dem er eine solche Schweinerei zutrauen würde.Da stand er auch, breit grinsend und an seinem Schnurrbart zupfend. Francis schnaubte wütend und arbeitete sich zu ihm durch. Die Kämpfe verebbten, die Niederlage war unvermeidbar. Der Kapitän der Piraten stand noch, mit blutiger Klinge und eiskaltem Hass in die Augen. Die Soldaten hatte ihn längst umringt, wagten aber nicht, ohne Befehl ihres Herrn loszuschlagen. Und sie hatten auch einen gewissen Respekt vor diesem Mann mit den wirren Haaren, der sein Entermesser so wirkungsvoll eingesetzt hatte. Keiner wollte der nächste sein, der dieser Klinge zum Opfer fiel. Er hatte schon auf ihn gewartet. Francis richtete sich gerade auf und blickte ihm entgegen.
„Guten Abend, Marquis Karvanté. So sehen wir uns endlich wieder."
„Tag, Drake."
Plötzlich hörte er zu grinsen auf.
„Packt ihn."
Er wehrte sich kaum, diesmal hatte es doch keinen Sinn. Das Entermesser schlug klirrend auf den Planken auf, als er es wütend von sich warf. Und trotzdem schlug ihm einer diese eifrigen Vasallen in den Magen, dass er nach Luft schnappte. Eine kleine Rache für das Gefecht, das sie sich gerade geliefert hatten. Sie drehten ihm die Arme auf den Rücken, bis die Knochen knirschten und er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen. Diesen Gefallen wollte er Karvanté nicht tun.
„So gefallt ihr mir schon besser."
Er lächelte wieder, dieser verdammte Bastard.
„Nun sollt ihr auch den Grund unseres...Zusammentreffens erfahren. Ich komme diesmal nicht allein, wie ihr seht. Ich handle im Auftrag der Königin von Frankreich. Sie hat es satt, ihre Schiffe von euch ausplündern zu lassen und damit ihrem Land zu schaden. Sie hatte mir freie Hand gelassen, was die Wahl der Mittel angeht. Ihre einzige Bedingung ist, dass ich euch selbst vor ihren Thron schleife, tot oder lebendig."
Francis konnte es sich nicht verkneifen, bitter aufzulachen. Irgendwann hatte es ja passieren müssen. Zu viel Glück war einem Mann wie ihm einfach nicht vergönnt. Der Marquis gab den Männern, die ihn festhielten, einen Wink und Francis ging nun doch keuchend zu Boden, als sie ihm die Arme auf dem Rücken unbarmherzig verdrehten.
„Bis Paris ist es weit, Drake. Wir werden in der Zwischenzeit viel Spaß mit euch haben. Ich werde dich schreien hören, Pirat, und dein Blut wird wie Balsam für meine Seele sein."
Er zerrte Francis den Kopf an den Haaren nach oben und sah ihm in die blitzenden Augen.
„Ihr kennt doch das Gerücht, dass Piratenblut heller ist, als das gewöhnliche. Nun denn, bald werden wir es genau wissen."
Die Soldaten fesselten die überlebenden Piraten und banden sie an die Reling der Dragon bis die Laderäume des Schiffes für einen sichere Verwahrung der Männer vorbereitet waren. Dann befahl Karvanté, das kleine Frachtschiff zu versenken. Den Rückweg würden sie an Bord des Piratenschiffes antreten. Jetzt hatte er endlich Zeit, sich um seinen Gefangenen zu kümmern.
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Piratenblut
PertualanganFrancis Drake saß auf dem Boden der Gefängniszelle, die Hände im Schoß und den Kopf gegen die Wand gelehnt. Jesse hatte sich auf der Pritsche in der Zelle gegenüber ausgestreckt, stand jetzt jedoch auf und trat ganz nah ans Gitter heran. "Wenn du n...