Teil 16 - Zurück in die Freiheit

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Gelegentlich erreichten sie auch Nachrichten aus Paris. Langsam kehrte wieder Ruhe ein, aber im Zuge des ganzen Aufstandes waren viele Menschen verschwunden, Gebäude beschädigt worden und Geld und Güter von einem zum anderen gewandert. Die Stadtwache hatte immer noch alle Mühe, hier und dort aufflammende revolutionäre Anwandlungen niederzuwerfen, aber im Groβen und Ganzen kehrte die Stadt zum Alltag zurück. Die Dragon war etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, viele Menschen hätten dieses Schiff gerne als Fluchtmöglichkeit genutzt, aber man konnte einem Haufen Piraten durchaus vertrauen, ihr Schiff zu verteidigen und bei Nacht und Nebel damit zu verschwinden.

Die brennende Stadt im Rücken hatte Drake's Mannschaft die Beine in die Hand genommen, die Segel gesetzt und war im Schutze der Dunkelheit ausgelaufen. Es schien niemand Notiz vom Verschwinden des Schiffes genommen zu haben, offiziell war sie zwar Besitz der Krone, praktisch aber wertlos. Und da Karvanté immer noch verschwunden blieb, gab es sonst niemanden, der Ansprüche hätte anmelden können. Das machte Esmeralda tatsächlich etwas misstrauisch. Wo war dieser Kerl? War er wirklich einfach geflüchtet in den Schoβ seiner Königin? Das passte irgendwie nicht zu ihm, aber Esmeralda hatte ihn tatsächlich immer nur getrieben von seiner Rache erlebt. Sie hatte keine Ahnung, welche Ziele er jetzt verfolgen mochte.

Das Schiff war trotz allem beeindruckend. Die Segel ein bisschen zerlumpt, die Decksplanken salzverkrustet und an einigen Stellen mit dunklen Flecken übersät. Hier hatte sich lange niemand mehr Mühe mit der Instandhaltung gegeben. Esmeralda sah die legendäre Dragon zum ersten Mal und auch wenn sie nicht in bestem Zustand war, sie konnte verstehen, warum Jesse so erleichtert wirkte und schlagartig Zuversicht ausstrahlte. Das war ihr Schiff, Francis' Schiff, der Ort, an den sie alle gehörten. Und wenn dieses Schiff unbeschadet aus der Sache herausgekommen war, sollte es doch auch sein Kapitän zurück ins Leben schaffen.

Esmeralda lieβ keinen Zweifel daran, dass sie beabsichtigte mitzukommen und keiner der Männer wagte es, ihr zu widersprechen. Sie hatte bewiesen, dass sie sich zu wehren vermochte und was Jesse im Laufe der Zeit herausbekommen hatte, war die Heilkunst nur eines ihrer Talente. Das andere betraf das genaue Gegenteil und darin war sie wohl noch erfolgreicher. Er wusste nicht viel über Assassinen und ihm war gänzlich unbekannt, dass diesen Beruf auch Frauen ausüben konnten, aber er war bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie hatten ihr viel zu verdanken und nicht zum ersten Mal fragte er sich, was eigentlich der Grund für all die Risiken war, die sie eingegangen war. Was trieb diese Frau an?

Francis Zustand blieb unverändert. Seine Kajüte verwandelte sich in ein Krankenlager, in dem Esmeralda das Regiment führte. Langsam war sie aber mit ihrem Latein am Ende. Ja, er war geschwächt und musste Schmerzen haben, aber die wenigen wachen Stunden verbrachte er damit, die Wände anzustarren. Mit glasigen Augen, ohne jemanden zu erkennen, dämmerte er vor sich hin. Die einzige Ausnahme war, wenn ihn jemand berührte oder wenn er Esmeralda erblickte. Er schrie nicht mehr, aber er versuchte sich so weit zu entziehen, wie das möglich war und sobald er sich in die Enge getrieben fühlte, musste ihn jemand festhalten.

Jesse war von der Mannschaft zum vorläufigen Kapitän ernannt worden und er versuchte diese Rolle so gut es ging auszufüllen. Er war als erster Maat schon immer für das Klima auf dem Schiff, die Durchsetzung der Regeln und Disziplin und die Umsetzung der Entscheidungen verantwortlich gewesen. Er war in der Lage, diese Männer zu leiten, aber keinem von ihnen war klar, wohin ihr Weg sie führen sollte.

Nicht wenige hatten mit den Nachwirkungen der Gefangenschaft zu kämpfen. Die körperliche Bestrafung hatten die meisten gut weggesteckt und Esmeraldas Heilkünste hatten ihr Übriges dazu getan. Matthew hatte seit der Nacht in der Bastille kein Wort mehr gesagt, die Schläge hatten bei ihm wohl den gröβten Schaden angerichtet. Er hatte sich das Krähennest als neuen Lieblingsplatz auserkoren und verbrachte ganze Tage dort oben. Die Stimmung war gut, aber das Lachen verebbte schnell, sobald jemand nur einen Blick zur Kapitänskajüte warf. Alle waren froh, mit dem Leben davongekommen zu sein und doch wirkten sie gehetzt, als ob sie immer noch verfolgt würden. Jemand fehlte. Jemand, der nicht nur der Kopf dieser Mannschaft, sondern auch so etwas wie ihr Herz gewesen war. In den dunklen Nächten wirkte die Dragon wie ein Geisterschiff, fast verlassen und stumm.

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