Nachdem die Männer gegangen waren und die Tür wieder verschlossen war, blieb es für einige Minuten ruhig. Jesse saß am Rand seiner Zelle und blickte abwartend zu seinem Freund hinüber. Der lag zusammengerollt auf der Seite, wirkte aber nicht wirklich ohnmächtig.
Der Graf hatte ihnen beiden eine Schüssel mit Wasser und etwas trockenes Brot bringen lassen, aber beides blieb bis jetzt unberührt. Schließlich versuchte er es vorsichtig.
"Francis?"
Keine Reaktion.
"Hey, du könntest ruhig mal etwas sagen. Ich sehe doch , dass du wach bist."
Francis brummelte etwas Undefinierbares und hob den Kopf. "Hm?"
"Sieh mich an und sag mir, wie es dir geht."
Jetzt seufzte sein Freund und rappelte sich zum Sitzen hoch.
"Wie es mir geht? Ging schon schlimmer. Was soll das denn gewesen sein? Eine kurze Demonstration der allumfassenden Macht des Piratenjägers? Mir brummt der Schädel."
"Vielleicht solltest du aufhören, ihn fortwährend zu beleidigen?"
Francis schnaubte. "Du hast angefangen. Von wegen Ratten."
Er griff nach der Wasserschale und trank. Überraschend sauberes Wasser, das musste man den Gefängniswärtern lassen. Zumindest sollten die Gefangenen nicht an Vergiftung sterben. Er tauchte die Stoffreste seines Hemdes ins Wasser und begann, sich das Blut vom Körper zu waschen. Da der Graf bereits gegangen war, erlaubte er sich hier und kleine Schmerzenslaute.
"Ich dachte, ich wäre hier der Arzt."
Jesse sah zum ihn herüber und man konnte sehen, dass er das lieber selbst erledigt hätte. IRGENDetwas tun anstatt hier nur untätig herumzusitzen. Wie auch immer Francis sterben würde, ER würde sicher am Wahnsinn des Eingesperrtseins zugrunde gehen.
"Wie sieht mein Rücken aus?"
Jesse löste seine Gedanken von seinem eigenen Schicksal und versuchte die Kehrseite seines Kapitäns zu beurteilen.
"Geht so. Hab schon Schlimmeres gesehen. Außerdem habe ich vorhin nur bis sechs gezählt. Unser Herr Piratenjäger scheint sein Lieblingsspielzeug aufsparen zu wollen."
Jetzt musste Francis doch lächeln. "Du versuchst auch alles, um mich aufzumuntern, hm? Ich darf dich daran erinnern, dass ICH mit diesem Ding immer sehr vorsichtig umgegangen bin und so weit ich weiß, hast du nie Erfahrungen damit gemacht. Zumindest nicht durch mich.
Aber du hast Recht. Er hat sich wirklich zurückgehalten. Vielleicht wird es doch auf eine Prügelei hinauslaufen. Dabei würde ich mir vielleicht doch noch Chancen ausrechnen..."
"Käptn?"
"Hm?"
"Glaubst du wirklich daran, dass wir hier lebend rauskommen?"
Der Spaß war so schnell zu Ende wie er gekommen war. Warum nur schien es im Angesicht des Todes so einfach, darüber zu lachen? Vielleicht war das nur die Vorstufe zum Wahnsinn, der bereits um die Ecke blickte und in seiner Begleitung Angst und Panik Bereit hielt.
"Nein. Diesmal nicht."
Francis schüttelte wieder den Kopf.
"Ich wünschte, ich könnte mir etwas ausdenken und ich verfluche mich jeden Tag, wie ich nur so verdammt unvorsichtig sein konnte..."
Die tröstenden Worte lagen Jesse bereits auf der Zunge, aber ein Blick reichte, um sie nicht auszusprechen. Nichts und niemand würde die Schuld von den Schultern seines Kapitäns nehmen können. Er fühlte sich verantwortlich für seine Mannschaft, für jeden einzelnen Menschen auf seinem Schiff. So gesehen hatte er wirklich versagt.
Noch waren sie alle am Leben, vermutlich. Aber das dürfte sich ändern. Die Bestrafung des kleinen Matt wirkte nur auf den ersten Blick gnädig und was von den restlichen Männern nach sieben Tagen Pranger übrigbleiben würde, würde das Militär innerhalb kürzester Zeit zerstören. Zwangsrekrutierung hieß vor allem Kanonenfutter. Und was ihn selbst anging und seinen ersten Maat, sie würden sich wohl ein Wettrennen liefern, wer zuerst dem Schöpfer begegnen würde. Die Sammelzellen im restlichen Teil der Bastille waren voller Kranker und Wütender, voller Menschen, die gern einen anderen umbringen würden, um selbst noch ein paar Tage länger zu leben.
Sobald Jesse seine Einzelzelle verlassen musste, waren alle Hoffnungen dahin, dass sie sich noch einmal lebend wieder sahen.
![](https://img.wattpad.com/cover/34262755-288-k946254.jpg)
DU LIEST GERADE
Piratenblut
AventuraFrancis Drake saß auf dem Boden der Gefängniszelle, die Hände im Schoß und den Kopf gegen die Wand gelehnt. Jesse hatte sich auf der Pritsche in der Zelle gegenüber ausgestreckt, stand jetzt jedoch auf und trat ganz nah ans Gitter heran. "Wenn du n...