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Die Korridore der Schule waren so leer, als ob nie jemand hier gewesen wäre. Der schmutzige Boden und die durch die dünnen Wände gedämpften Stimmen waren die einzigen Hinweise auf die dutzenden Schüler, die sich noch vor wenigen Minuten in ihre Klassenzimmer gedrängt hatten, damit sie so schnell wie möglich ihre Freunde nach den Sommerferien wiedersehen konnten.

Alles hier war grau. Die Türschilder der Klassenzimmer, die langen Lampen an der Decke, sogar die Snackautomaten waren nichts anderes als dunkle Metallboxen. Ich seufzte. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich das hier bestimmt als Klinik für psychisch labile Menschen halten. Vielleicht lag ich damit nicht einmal so falsch, so wie sich ein paar Teenager heutzutage verhielten.

Meine Aufmerksamkeit fiel auf das Klassenzimmer am Ende des Korridors. Mein Klassenzimmer. Ich blieb stehen und schluckte. Meine Mutter hatte alles auf den heutigen Tag gesetzt. Wenn ich noch später kommen würde als es sowieso schon der Fall war, würde ich am Abend bestimmt etwas zu hören bekommen. Ergeben presste ich die Lippen aufeinander und bereitete mich mental auf all die Idioten vor, die sich hinter dieser Tür befanden.

Schlimmer als in meiner alten Heimat konnte es sowieso nicht werden. Nagatoro, Präfektur Saitama, kaum 7'000 Einwohner, hatte ausser seinen schönen Landschaftsbilder nichts zu bieten. Es war ruhig dort, fast schon idyllisch, und vielleicht würden andere denken, es wäre bestimmt berauschend, dort zu leben. Das stimmte auch irgendwie, bis der atemberaubend schöne Fluss nur noch ein Fluss war oder bis man es satt hatte, in keinem Restaurant essen zu können, weil diese nur reiche Touristen bedienten, die bereit waren, für eine traditionelle Schüssel Reis Unsummen zu bezahlen.

Die Nachricht, dass meine Mutter befördert und ab jetzt im Hauptbüro in Tokio arbeiten würde, hatte mich nicht wirklich getroffen. Ich hatte genickt und ohne Widerspruch meine Koffer gepackt. Ein paar Tage später waren wir auch schon mit dem Auto davongefahren – und ich hatte nicht einmal zurückgeblickt. Schliesslich hatte ich ausser einem alten Kinderzimmer, mit dem ich keinerlei Erinnerungen verband, und einen Ruf als Einzelgänger nichts zurückzulassen.

Ich war weder nervös noch aufgeregt. Ich wollte dieses Schuljahr einfach nur so schnell wie möglich hinter mich bringen und– Plötzlich wurde meine linke Schulter nach vorne gerissen und ich verlor das Gleichgewicht, bevor ich überhaupt wusste, was gerade vor sich ging. Ich riss die Augen auf, stolperte nach vorne und dann... dann sah ich rot. Wortwörtlich.

Seine rote Krawatte war die gleiche wie meine. Seine roten Haare fielen ihm kaum bis zu den Schultern. Und seine roten Augen sahen erschrocken in die meinen. Ich hielt die Luft an und musste ein paar Mal blinzeln um zu verstehen, was gerade passiert war. Ich stand hier, an diesen fremden Typen gelehnt, der seine Hände auf meinen Rücken drückte und mich so in einer aufrechten Position hielt. Ich blinzelte noch einmal und versuchte, diesen Gedanken unkomplizierter zu formulieren:

Er war in mich reingerannt und als ich deswegen fast hingefallen wäre, hatte er mich aufgefangen.

Ein paar Sekunden starrten wir uns einfach nur an, bis er hektisch seine Hände zurückzog und ein paar Schritte auf Abstand trat. «Entschuldige», sagte er, seine Stimme tiefer, als ich erwartet hatte. «Ich bin zu spät und... Ich muss wirklich in meine Klasse.» Er neigte kurz seinen Kopf und als er den Blickkontakt abbrach, fühlte es sich an, als ob ich endlich wieder richtig atmen konnte.

«Idiot», schnaubte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. «Ich wäre fast hingefallen!» Mein Gegenüber schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln, bevor er sich schnell umdrehte und weitereilte. Ich hielt inne. War das etwa sein Ernst? «Hey! Ich bin noch nicht fertig mit dir!», rief ich ihm nach, doch er ignorierte mich und schlüpfte in irgendein Klassenzimmer. Verblüfft starrte ich die nun wieder geschlossene Tür an. Wollte dieser Typ so unbedingt sterben?!

My First First Time || KiriBakuWo Geschichten leben. Entdecke jetzt