Kapitel 12

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Den Rest des Tages verbringen wir in der Wohnung. Liv räumt ein bisschen auf und macht sauber und ich versuche etwas fürs Studium zu lernen. Ich will mich wirklich konzentrieren. Aber egal wie genau ich alles lese, es langweilt mich unglaublich und ich bleibe nicht bei der Sache. Mein Körper kribbelt voller Tatendrang. Nachdem ich den einen Satz zum 5. Mal gelesen habe, ohne seinen Inhalt zu erfassen, lege ich den Ordner weg. Ich bin volljährig, ich muss nicht das machen, was meine Eltern machen. Aber was sonst? "Hey Alles okay?" Liv steht direkt vor mir. "Jaaa.." antworte ich gedehnt. Sie zieht eine Augenbraue hoch. "Ava. Was ist los?" sie setzt sich neben mich und sieht mich erwartungsvoll an. "Ich weiß nicht, ich will nicht mehr studieren. Oder viel mehr ich will DAS nicht mehr machen." ich zeige auf die Zettelwust auf ihrem Bett. "Es langweilt mich und ich kann mir nicht vorstellen das den Rest meines Lebens zu machen." betreten schaue ich auf meine Hände. Es ist mir unangenehm vor ihr zu sitzen und keinen Plan zu haben. Sie hebt mein Kinn mit einem Finger an und zwingt mich somit ihr in die Augen zu schauen. "Es ist okay. Wirklich. Ich weiß auch nicht so recht was ich mit meiner Zukunft anfangen soll. Rede mit deinen Eltern und sag ihnen wo du bist, damit sie sich keine Sorgen machen." Ich nicke. Sie hat recht ich muss mit ihnen reden. Entweder sie nehmen es hin, oder sie verstoßen mich. Angst schnürt meine Kehle zu. Ohne meine Eltern habe ich keinen Rückzugsort mehr. Keine Familie und kein Geld. Aber es hilft nichts. Ich bin ihre einzige Tochter, sie werden mich bestimmt nicht zum Teufel jagen. "Ich lass dich alleine." Liv drückt meine Hand ein letztes Mal und dann steht sie auf. Sofort fehlt mir ihre Sicherheit, mit der sie mich umgibt. Meine Hände zittern, als ich den Kontakt meiner Mutter öffne. Mir wird schlecht. Tief atme ich ein und aus und drücke dann auf die Nummer. Sofort kommt das Besetztzeichen und mir rutscht das Herz in die Hose. Hat meine Mutter mich etwa blockiert? Ich versuche es bei meinem Vater und es passiert genau das gleiche. Mein Handy gleitet aus meiner Hand und fällt dumpf auf den Teppich. Der Rausschmiss war eine Sache. Aber das hier ist anders. Sie haben mich anscheinend komplett aus ihrem Leben ausgeklammert. Tränen kullern meine Wangen hinab. Ich dachte es ist das Schlimmste wenn sie ran gehen. Aber das hier ist definitiv schmerzhafter. Ich lege mich aufs Bett und lasse die Tränen einfach kullern. Ich schluchze nicht, sondern starre ausdruckslos vor mich hin. Ich höre wie eine Tür sachte geöffnet wird dann gibt die Matratze ein wenig nach und ich werde von hinten umarmt. "So schlimm?" flüstert sie und ich nicke. "Tut mir leid." sie drückt mich fester an sich und haucht mir einen Kuss auf den Hinterkopf. Eine Weile liegen wir so da. Niemand sagt etwas aber das müssen wir auch nicht. Alleine durch ihre Nähe fühle ich mich besser. "Lass uns raus gehen." sage ich unvermittelt und stehe auf. Liv sieht überrascht aus aber folgt mir dennoch fast sofort. Wir ziehen uns Jacken an und schlendern Seite an Seite die Straße entlang. Der Wind fühlt sich durch die Tränen noch kälter an, aber es tut gut und hilft mir meinen Verstand zu klären. Wir kommen an einer Tankstelle vorbei. "Ich hab Lust auf Schokolade." verkünde ich und gemeinsam betreten wir sie. Sie ist nicht groß und ein Typ steht gelangweilt an der Kasse und liest ein Magazin. Wir wandern durch die Regalreihen, bis wir vor der Schokolade stehen. Plötzlich erfasst mich ein ungeheuerlicher Drang. Fast wie gesteuert nehme ich einen Riegel und schiebe ihn in meinen Ärmel. Livs Augen werden riesig, aber nach einem kurzen zögern folgt sie meinem Besipiel. Ich weiß nicht was über mich gekommen ist, aber um einen Rückzieher zu machen ist es zu spät. "Kann ich Ihnen helfen?" fragt der Typ und sieht gelangweilt zu uns herüber. "Nein danke alles gut." sage ich und meine Stimme klingt fest. Meine Nackenhaare stellen sich auf und mein Körper steht unter Anspannung. Und Strom. Wir gehen zurück zum Ausgang und verabschieden uns mit einem kurzen "Ciao" was aber nicht erwidert wird. Wir verlassen den Laden und sofort setzt der gewünschte Adrenalinkick ein. Wir haben es ihm direkt vor der Nase weggeklaut. Ich fühle mich seltsam gut. Draußen drücke ich Liv gegen die Wand der Tanke und verbinde unsere Lippen zu einem atemlosen Kuss. Sie keucht leicht überrascht auf, aber steigt sofort darauf ein. Mein Körper steht in Flammen und ich merke nicht, wie ich immer wilder werde. Ich will mehr von ihr. Ich will sie und alles mit ihr. Sanft, aber bestimmt legt sie mir die Hände auf die Brust und drückt mich zurück. Ihre Augen sind fast schwarz und ihr Atem geht schnell und flach. "Wir sollten vielleicht nicht so lange hier sein. Nicht dass er doch etwas gemerkt hat." ich nicke und sortiere meine Gedanken. Hand in Hand verlassen wir den Ort, wo alles begann.
Das Schweigen zwischen uns ist mittlerweile sehr laut geworden und ich halte es nicht mehr aus. "Alles okay?" frage ich sie und bleibe stehen. Sie weicht meinem Blick aus. "Was war das vorhin?" fragt sie. Sie sieht nicht vorwurfsvoll aus, im Gegenteil auch in ihren Augen erkenne ich den Kick, sie sieht mehr besorgt aus. "Ich weiß nicht. In den Moment hatte ich die absolute Kontrolle. Ich klaue ihm etwas vor der Nase weg und er merkt es nicht. Ich... Es ist einfach über mich gekommen." sie nickt zögerlich. "Und es hat nichts mit dem Telefonat mit deinen Eltern zu tun?" Ich zögere. Warum durchschaut sie mich so leicht. "Naja ich hab mich mein Leben lang an Regeln gehalten und immer das getan was von mir verlangt und erwartet wurde... Und diese Person möchte ich nicht mehr sein." Verständnis blitzt in ihren Augen auf. "Versprich mir, dass es nicht zur Gewohnheit wird." sie nimmt mein Kinn und zwingt mich direkt in ihre Augen zu schauen. "Ja." sage ich und bin mir aber noch nicht ganz sicher, ob ich es auch wirklich so meine.

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