* Kapitel 6 *

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Kaum dass sie das Bordell verlassen hatten, versuchte Jasmine sich von Jamal loszureißen, um in die Menge an Menschen zu flüchten. Doch sie scheiterte und erntete einen mahnenden Blick von ihm. Frustriert seufzte sie und sah ein, dass es kein entkommen gab. Sie würde, ob sie wollte oder nicht, die Frau von Daniel werden, jedoch tröstete sie der Gedanke, dass sie die Ehe mit Leichtigkeit annullieren konnte, sobald sie ihre Identität bewiesen oder den Erbling gefunden hatte. Wenn dieser Tag irgendwann käme, hatte sie beschlossen, nicht mehr zu Claudia zurückzukehren. Sie hatte genug davon wie Dreck behandelt zu werden und hoffte, dass irgendwo das Glück auf sie wartete.
Sie löste sich von diesem Gedanken, als Jamal mit ihr vor einer prächtigen Kutsche stehenblieb. Er gab ihr zu verstehen einzusteigen und sie gehorchte ihm, da sie mit ihrem Brautkleid für sehr viel Aufmerksamkeit auf der Straße sorgte.
"Wo zum Geier ist Pete?", schimpfte Jamal und sah sich suchend nachdem Rotschopf um. Es dauerte ganze fünf Minuten, ehe er aus dem Bordell geeilt kam und zu Jasmine in die Kutsche stieg.
"Das wurde auch Zeit, bist wohl noch rasch über eine Dirne gerutscht", schimpfte Jamal und schloss die Tür, noch ehe Pete sich irgendwie hatte rechtfertigen können. Man hörte, wie er brummelnd auf den Kutschbock stieg und schon setzte sich die Kutsche in Bewegung. Nervös rang Jasmine mit ihren Händen und versuchte den Moment zu nutzen, um Pete nachdem Erbling zu befragen. Doch er gab ihr keine Antwort. So fragte sie sich, was die Königskrone war, die Daniel laut eigener Aussage hatte und die Claudia wollte. War es wirklich eine Krone oder wurde es nur so bezeichnet? Sie konnte sich keinen Reim daraus machen und versuchte erst gar nicht, Pete danach zu fragen.
"Ich gebe dir einen guten Rat, tue einfach was der Boss sagt, gehorche ihm, verärgere ihn nicht und dir wird nichts Schlimmes geschehen", sagte Pete als sie eine Weile gefahren waren und er wohl das Bedürfnis hatte, die Stille zu brechen.
"Dieser Rat kommt von einem verdammten Feigling, der weiß, dass ich nicht Claudia bin und mir weder hilft, noch verhindert, dass ich in eine Ehe gezwungen werde", entfuhr es ihr verärgert und Pete kratzte sich betreten am Hinterkopf.
"Mein Wort reicht nicht, ich weiß zwar, dass der Boss am Anfang wirkliche Zweifel hatte, aber seit der Rückkehr von Patrick ist er davon überzeugt, dass du Claudia bist. Egal was ich sage, er wird mir ohne einen Beweis nicht glauben", versuchte er sich zu rechtfertigen. Jasmine wusste, dass er recht hatte, dennoch war es enttäuschend, dass er es nicht einmal versuchte. Aber was erwartete sie überhaupt? Pete und sie waren sich fremd, weshalb sollte er ihr helfen?
"Ich verstehe es nicht, wird die Lady wirklich vermisst? Am Abend meiner Entführung war sie ausgegangen, könnte ihr dabei etwas geschehen sein?", fragte Jasmine und sah, wie Pete deutlich darüber nachdachte, aber genauso ratlos war wie sie. Jasmine fand sich damit ab, dass er keine Hilfe sein würde, aber sie nahm sich vor, auch wenn es all ihren Mut forderte, dass sie sich von Daniel nicht schikanieren lassen würde. Solange er den Erbling nicht hatte, würde er sicherlich nicht mit ihrem Leben spielen, also musste sie eine Ermordung nicht fürchten. Alles andere, konnte sie ertragen. So zu denken nahm ihr etwas die Angst und als die Kutsche hielt, war sie einigermaßen gefasst genug, um sich Daniel zu stellen.
Jamal öffnete die Tür und Pete wollte ihr hinaushelfen, jedoch ignorierte sie ihn und verließ die Kutsche ohne seine dargebotene Hand.
Forschend ließ sie ihren Blick schweifen und erkannte, dass sie sich wohl außerhalb der Stadt befanden. Nicht weit von ihnen war eine Kirche, umringt von schönem Grün und farbenfrohen Blumen. Eigentlich ein schöner Ort, doch sie wusste, der schöne Teufel würde in der Kirche auf sie warten. Jamal eilte voraus, langsamen Schrittes folgte sie ihm, während Pete hinter ihr lief. Mit jedem Schritt, den sie tat, schwand ihr angesammelter Mut. Schlimmer wurde es als sie die Kirche betrat. Auf den zahlreichen Kirchenbänken saßen die Unholde von Daniel und als man sie erblickte, wurden die Augen der Männer groß und wenn Jasmine die ganzen Reaktionen bedachte, fragte sie sich, ob sie zuvor wirklich so schlimm ausgesehen hatte. Sie versuchte die Blicke zu ignorieren und spähte nach vorne. Dort stand ein alter Mann in kirchlicher Kleidung, dies war wohl der Pastor. Der arme Mann schien sich gar nicht wohl zu fühlen und sie war sich sogar sicher, dass man ihn bestochen hatte, um diese Ehe zu vollziehen.
Vor ihm, mit dem Rücken zu ihr, stand Daniel. Auch er hatte sich für die Hochzeit schick gemacht und trug einen Anzug. Alleine ihn nur von hinten zu sehen genügte, um zu wissen, dass er herrlich aussah. Jasmine hörte, wie Pete ihr eine leise Entschuldigung zuflüsterte, ehe er sie nach vorne führte und sie kurz darauf neben Daniel zum Stehen kam. Pete huschte davon und sie selbst schielte vorsichtig zu Daniel. Er würdigte ihr keines Blickes und sah stattdessen den Pastor mit grimmigem Gesicht an. Jasmine fand, dass der Anzug ihm sehr gut stand, wenn auch die Muskeln unter dem feinen Stoff alles ein wenig befremdlich wirken ließen. Ihr kam der Gedanke, dass er sicherlich viele Liebhaberin hatte. Würde sie unter anderen Umständen hier neben ihm stehen, würde sie vielleicht sogar so etwas wie Stolz und Freude fühlen. Erschrocken verbannte sie diesen Gedanken und schimpfte innerlich mit sich selbst.
"Er darf dir nicht gefallen", ermahnte sie sich immer wieder. Dann plötzlich drehte Daniel seinen Kopf und sah zu ihr. Deutlich war zu sehen, wie er bei ihrem Anblick seine Fassung verlor. Seine Augen weiteten sich, während er sie betrachtete und er war nicht mehr in der Lage seinen kühlen Gesichtsausdruck aufrechtzuerhalten. Jasmine spürte wie ihr Herz immer schneller schlug und sie genoss es, wie er sie mit Bewunderung ansah. Selbst sie erkannte, dass ihm gefiel, was er sah und das erfüllte sie ehrlich gesagt mit etwas Stolz. Lange war es her, dass man ihr Aussehen gelobt oder gar bewundert hatte und es war wie Balsam für die Seele, nicht mit Verachtung angeblickt zu werden. Erst recht, wenn diese Blicke von solch einem Mann kamen. Doch leider war dieses Gefühl rasch vorbei und Daniel gelang es, die Kontrolle über seine Mimik zurückzugewinnen. Mit einem Blick, der deutliche Verachtung zeigen sollte, aber doch etwas Feuriges an sich hatte, wandte er sich von ihr ab und blickte zum Pastor.
"Fangen sie an", befahl er und der Pastor begann mit dem üblichen Tamtam. Jasmine hörte gar nicht wirklich zu, es entging ihr jedoch nicht wie der Pastor zitterte und an seinem Gewand nestelte, wo sie ein gut gefülltes Säckchen hängen sah. Darin befanden sich wohl die stattlichen Münzen, die ihn dazu bewegten, hier zu stehen und diese erzwungene Ehe zu vollziehen. Sie hatte also richtig vermutet. Jasmine hörte plötzlich, wie Daniel seine Zustimmung zur Ehe gab und es dröhnte wie ein weit hallendes Echo in ihren Gedanken wieder.
Hätten die hier Anwesenden in ihr aufgewühltes inneres Blicken können, sie wären wohl hastig aus der Kirche geflohen. Alles schien sich in ihr zu drehen und mit roher Gewalt hinderte sie sich an einem hysterischen Anfall. Jasmine bemerkte nicht einmal, wie sie nun von allen abwartend angestarrt wurde. Erst als Daniel ihr in die Hüfte kniff, schreckte sie mit einem lauten Quieken in die Realität zurück und erkannte, dass sie an der Reihe war ihre Zustimmung zu geben.
"Nein", kam es instinktiv aus ihr geschossen und ein Raunen ging durch die Anwesenden, während Daniel aussah, als würde er sie gleich zur Schlachtbank führen. Der Pastor wurde kreidebleich und schien das Atmen vergessen zu haben. Jasmine rief sich in Erinnerung, dass sie, wenn sie die Kirche ohne Schaden verlassen wollte, lieber kooperieren sollte.
"Ich meine ja, ja ich will", sagte sie als sie Daniel neben sich leise Knurren hörte und hoffte ihn damit zu beruhigen. Deutlich war zu hören, wie alle ausatmeten, erleichtert darüber, dass es zu keiner Katastrophe gekommen war. Daniel war zufrieden, schenkte ihr aber einen mahnenden Blick. Jamal kam nun mit den Ringen herbeigeeilt und als Daniel ihr ihren anlegen wollte, zitterten ihre Hand wie Espenlaub. Sichtlich genervt packte er ihre Hand, hielt sie still und schob ihr grob den Ring auf den Finger. Jasmine starrte ihre Hand an als wäre es ein Wesen aus fernen Welten. Es war, als wäre der Ring die Kette, die sie an Daniel band.
Nun wo sie an der Reihe war, ihm den Ring anzulegen, war sie erschüttert, welch große Hände er hatte. Sie wusste und ahnte, dass an ihnen bereits Blut geklebt hatte und umso schwerer fiel es ihr, ihm den Ring anzuziehen. Doch sie hatte keine Wahl und war froh als es getan war. Doch ihre Angst brach erst richtig aus, als der Pastor verkündete, dass sie nun Mann und Frau seien und Daniel die Braut küssen konnte. Noch nie zuvor war sie geküsst worden und sie wollte ihren ersten gewiss nicht an Daniel verlieren, aber dennoch, ertappte sie sich bei der stummen Frage, wie er wohl schmecken würde. Daniel blickte zu ihr und betrachtete schrecklich lange ihre Lippen. Das Atmen schien ihr kaum mehr möglich zu sein. Sie befürchtete das schlimmste, aber er tat etwas, was sie nicht erwartet hatte und das sie tief im inneren entäuschte. Er ging!
Mit großen Augen sah sie ihm hinterher und kaum hatte er die Kirche verlassen, taten es ihm seine Männer gleich. Alle, bis auf Pete und Jamal, die wohl die Aufgabe hatten ihr nicht von der Seite zu weichen. Sie bemerkte, wie sich der Pastor bekreuzigte und dann mit gesenktem Haupt schwand.
"Es wird keine Feierlichkeiten geben, falls du das gehofft hast", sagte Jamal, der ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass es Zeit wurde, die Kirche wieder zu verlassen. Froh, sich vorerst nicht weiter mit ihrem frisch gebackenen Mann befassen zu müssen, folgte sie den beiden Männern und stieg kurz darauf wieder in die Kutsche, die sie zurück zum Anwesen brachte.
Dort angekommen folgte sie dem schweigsamen Pete in das Haus und bemerkte recht schnell, dass er sie nicht zum Gemach führte, das sie bisher bewohnt hatte. Sie bekam offensichtlich einen neuen Raum zugeteilt und als sie Pete in diesem folgte, traute sie ihren Augen nicht. Es war dem vorigen Gemach sehr ähnlich, aber wies doch einige Unterschiede auf. Da waren Schränke, die mit zahlreichen Kleidern beladen waren. Das Bett war beinahe noch pompöser als das erste und befand sich zwischen zwei großen Fenstern, die viel Tageslicht hineinließen. Außerdem entdeckte sie einen schicken Schreibtisch und zu ihrer linken gab es eine weitere Tür.
"Das wird von nun an euer Gemach sein", sagte Pete.
"Ich werde es nicht mit Daniel teilen?", fragte sie, da nichts darauf hindeutete, dass ein Mann dieses Zimmer bewohnte. Pete nickte und die Erleichterung war ihr anzusehen. Sie hatte schon befürchtet, ihn nun Tag und Nacht um sich haben zu müssen und schlimmer noch, das Bett mit ihm teilen zu müssen.
"Da er euch für Claudia hält, würde er sich wohl eher die Hände abhacken, als euch zu sich in das Bett zu holen", meinte Pete und sie war froh dies zu hören. Ihre Unschuld war gesichert und sie musste keine Hochzeitsnacht fürchten.
"Innerhalb der Mauern dürft ihr euch von nun an frei bewegen", sagte Pete und machte Anstalten das Gemach zu verlassen, jedoch blieb er an der Tür noch einmal stehen und wandte sich zu ihr.
"Wenn ihr etwas braucht, ruft nach mir. Ich bin in der Nähe, auch dann, wenn ihr mich nicht sehen könnt", sagte er und ließ sie dann alleine. Kaum war sie unbeobachtet, befreite sie sich aus dem Hochzeitskleid und löste die Frisur, sodass ihre Haare in sanften Wellen an ihr hinabfielen. Suchend wühlte sie in den Schränken und war begeistert, die dortigen Kleider zu erblicken. Sie entschied sich für ein einfaches Kleid und war froh, sowohl das Schwarze der Lady als auch das Hochzeitskleid endlich los zu sein. Neugierig geworden öffnete sie, nachdem Umkleiden, die vorhin entdeckte Tür und fand sich in einem kleinen Badezimmer wieder. Es wunderte sie, dass es auf der gegenüberliegenden Seite noch eine Tür gab. Sogleich öffnete sie diese und erschrak. Ein anderes Gemach war dahinter und sie wusste sofort, dass es Daniel gehörte. Er selbst war nicht da, doch sein Duft war sehr präsent. Das Bett von Daniel war genauso riesig wie das ihre, doch die Bezüge waren schwarz wie die Nacht. Trotz dieser düsteren Ausstrahlung sah es sehr bequem aus. Ihr Blick streifte einen großen Schrank, zwei Truhen, ein prallgefülltes Bücherregal und schließlich blieb er an einem gewaltigem Schreibtisch hängen. Sie entdeckte darauf mehrere Briefe, Zeitungen und sonstigen Kram. Nach kurzem Zögern gab sie sich einen Ruck und betrat den Raum vollends. Forschend besah sie sich die Unterlagen auf dem Tisch und hoffte, vielleicht irgendetwas darauf zu finden, das ihr nützlich sein könnte. Sie fand einen Brief, der mit Blut befleckt war und nachdem sie ihren Schreck darüber überwunden hatte, versuchte sie ihn zu lesen.
Sie war in der Lage den Namen der Lady zu lesen, der mehrmals in diesem Brief erwähnt wurde. Die wenigen Fetzen, die sie entziffern konnte, ergaben für sie jedoch keinen Sinn. Sie glaubte jedoch zu verstehen, dass jemand auf der Flucht war und sie entzifferte auch, dass es einen Mord gegeben hatte. Mehr konnte sie mit ihren schwachen Kenntnissen jedoch nicht lesen.
"Ein Mord, eine Flucht und die Lady, die mehrmals erwähnt wird, Mh, was hat das nur zu bedeuten?", nuschelte sie und erschrak als sie im nächsten Moment schwere Schritte hörte. Sicher war sie sich, dass es Daniel war und ahnend, dass er sie nicht in seinem Gemach sehen wollte, huschte sie in das Badezimmer zurück und schloss die Tür. Keine Sekunde zu spät, denn schon hörte sie, wie jemand das Gemach betrat. Vorsichtig presste sie ihr Ohr an die Tür und lauschte. Jemand lief im Gemach umher und dann plötzlich war es still. Ihr Herz blieb beinahe stehen, als wie aus dem Nichts ein Fluch ertönte. Sie glaubte, etwas zu hören, das klang wie, - dieses Miststück. Schwere Schritte steuerten die Tür an, hinter der sie sich befand und ihr Ohr plattdrückte. Zu spät realisierte sie die nahende Gefahr. Die Tür wurde heftig aufgerissen und Jasmine flog geradewegs, mit dem Gesicht voran, gegen eine harte und muskulöse Brust. Sie spürte, wie der Körper leicht vibrierte, als dem Besitzer ein leises Knurren entfloh. Entsetzt schreckte sie zurück und blickte nun in das wütende Gesicht von Daniel.
"Du warst in meinem Gemach", sagte er grollend, es war keine Frage, sondern eine zornige Feststellung. Nervös biss sie sich auf die Unterlippe und überlegte, ob sie es einfach abstreiten sollte.
"Nein, war ich nicht".
"Lüge mich nicht an", brüllte er und Jasmine erbleichte.
"In meinem ganzen Gemach riecht es nach Rosen", murrte er kurz darauf leise und Jasmine wusste, dass der penetrante Rosenduft sie verraten hatte, der seit dem Bad bei Venus an ihr haftete. Sie beschloss lieber ehrlich zu sein und gestand ihm, dass die Neugier sie in sein Gemach gelockt hat.
"Um eines klarzustellen, keine Frau, Erstrecht nicht du, darf meine privaten Räume betreten. Dieses eine Mal werde ich noch drüber hinwegsehen, sieh es als mein Hochzeitsgeschenk. Doch wagst du es noch einmal deine verdammten Füße hier hinein zu setzten, wirst du deines Lebens nicht mehr froh", drohte er, machte zwei, drei Schritte rückwärts und donnerte ihr die Tür vor der Nase zu. Entgeistert starrte sie jene Tür eine Weile an, ehe sie hastig in ihr Gemach zurückkehrte. Dieser Mann legte einen Jähzorn an den Tag, der nicht zu ertragen war. Es wäre gut, wenn sie so schnell wie möglich einen Weg fand, aus dem Leben dieses Teufels verschwinden zu können.

Jasniel - Die falsche Lady *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt