* Kapitel 35 *

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Mit einem mulmigen Gefühl in ihrer Magengegend, sah Jasmine dabei zu, wie Jamal das Gemach verließ und sich hörbar vor der Tür positionierte. Er hatte ihr zuvor deutlich gemacht, das sie das Gemach bis zu der Rückkehr von Daniel nicht verlassen und sich von den Fenstern fernhalten sollte. Letzteres verwirrte sie sehr. Das Daniel sie angesichts der angespannten Situation und ihrer Verletzung lieber im sicheren Zimmer haben wollte, konnte sie irgendwie verstehen, doch warum durfte sie sich nicht den Fenstern nähern? Sie seufzte schwer, da ihr der Sinn dahinter verborgen blieb und beschloss, sich mit dem Buch von Charles abzulenken.
Die Texte des Königs zogen sie sogleich in ihren Bann und wie immer sog sie alles in sich auf und freute sich, wenn der General zur Sprache kam. Eintrag für Eintrag konnte sie herauslesen, wie fleißig alle an dem neuen Heim arbeiteten und das der Wolf, dem Charles mit Skepsis begegnet war, sich zu einem treuen Wächter des Landgutes mauserte. Auch die Krone kam zur Sprache und obwohl das neue Heim den Alteristanern ein Gefühl von Sicherheit gab, überlegte der König bereits, wie er seinen Thron zurückerlangen könnte. Noch waren sie zu schwach und zu wenige an der Zahl als das sie eine Rückkehr nach Alteristan riskieren konnten. Charles wusste, er musste sich in Geduld üben. Ab den Niederschriften, die anderthalb Jahre her waren, las sie mit Unbehagen heraus, dass sich die Lage der Alteristaner zu verschlechtern begann. Jemand legte des Nachts ein Feuer, das man aber bändigen konnte. Auch wurde ihnen die Vorräte gestohlen, was man aber dank Fleiß und dem reichen Getier in den Wäldern wettmachen konnte. Es kam sogar zu Überfällen. Die Frauen wurden beim Sammeln von Pilzen und Beeren in den Wäldern angegriffen. Es kam zu Schändungen und auch zu Mord. Jasmine erschauderte und plötzlich verstand sie, weshalb Daniel so wütend auf seine Männer gewesen war. Wie hatten sie so achtlos sein können, sie und die anderen Frauen schutzlos in die Wälder gehen zu lassen? Sie las mit großer Sorge weiter und erschrak als Charles schrieb, das eine Gruppe schwer bewaffneter Männer das Landgut überfallen hatten. Viele Alteristaner gaben dabei ihr Leben, doch man konnte die Angreifer in die Flucht schlagen. Jedoch war dem König nun klar, das seine Feinde ihn gefunden hatten. Die Angreifer hatten es nämlich ganz eindeutig auf die Krone abgesehen, die er nach wie vor auf seinem Haupt trug. Ihm war nun klar, das er das Schmuckstück, das einem zum Herrscher über Alteristan machte, nicht weiter zur Schau stellen durfte. So fasste er einen Entschluss und übergab die Krone seinem General, der ihm versichern musste, sie mit seinem Leben zu schützen.
Jasmine schrak auf, als es draußen mit einem Schlag laut wurde. Wütende Rufe der Alteristaner erklangen. Verwundert blickte sie zum offenen Fenster, aber von ihrer Position aus, sah sie nur den blauen Himmel. Obwohl sie deutlich die Worte von Jamal im Kopf hatte, klappte sie das Buch zu und ging zum Fenster. Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Daniel schleifte Aaron mit sich auf eine Stelle vor dem Herrenhaus zu, wo Pete wartete. Aaron sah furchtbar aus, sein Gesicht war von Schlägen so geschwollen, das sie ihn beinahe nicht erkannt hätte. Sein Arm war bandagiert und der Verband war blutig. Offensichtlich hatte Keks ihm schwer dort verletzt, aber die Wunden im Gesicht waren eindeutig das Werk von Daniel. Die Alteristaner strömten herbei, beschimpften und bespuckten den Verräter, der nun von Daniel zu Boden geworfen wurde, wo sich Pete seiner annahm und ihn an einen Pfosten band. Jasmine erschauderte, als die wütende Menge nun mit Steinen nach Aaron warfen, der jedoch keinen Ton von sich gab, auch dann nicht, wenn ein Stein ihn schmerzhaft traf.
Das Blut gefror ihr in den Adern, als Alex dem General eine Peitsche überreichte. Dieser Gegenstand weckte Erinnerungen, die sie stets verdrängt hatte. Etwas in ihr brach und erschütterte sie tief in ihrer Seele. Daniel lief nun, mit der Peitsche in der Hand, mehrmals um den gefesselten Aaron herum. Schließlich blieb er stehen und verlangte, das Aaron ihm sagte, wo Siggi sei. Doch der Verräter schwieg. Dies hatte zur Folge, dass Daniel mit der Peitsche ausholte und, ... rasch wirbelte Jasmine herum, unfähig sich dies anzusehen und zuckte zusammen als die Peitsche hörbar auf ihr Ziel traf. Aaron entfloh ein schmerzhaftes Stöhnen und Daniel wiederholte seine vorige Frage. Der Verräter schwieg weiterhin und abermals traf ihn die Peitsche. Die Alteristaner lachten und genossen den Schmerz von Aaron. Jasmine jedoch spürte das deutliche zwicken an ihren Narben am Rücken und das Gemach verschwamm vor ihren Augen. Gefangen war sie in Erinnerungen daran, wie Claudia sie auspeitschte. Sie wollte dem entfliehen und verkroch sich im Bett, wo sie die Decke wie eine Schutzmauer über sich warf. Doch Daniel ließ die Peitsche immer wieder auf Aaron niederknallen und verstärkte damit auch ihr Leid. Ein viel zu lautes Wimmern entfloh ihr und sie presste verzweifelt ihre Hände auf die Ohren. Sie bemerkte nicht, wie Jamal prüfend in das Gemach spähte und sich zu deutlich ihres zitternden Körpers unter der Decke bewusst wurde. Mit einem leisen Fluch eilte er zu den Fenstern und verschloss diese, es dämpfte die Geräusche von draußen, verbarg sie aber nicht. Er hörte sie Schluchzen und verließ mit raschen Schritten das Gemach. Jasmine sah sich weiterhin in ihren Erinnerungen gefangen und hörte ihr eigenes Flehen, ihre Bitte, das die Lady aufhören möge und zu deutlich vernahm sie auch deren damaliges Gelächter. Jasmine hatte geglaubt, sie wäre über diesen Vorfall hinweg, doch sie hatte sich geirrt. Die Wunde in ihrer Seele war zu tief und auch wenn sie kein Mitleid für Aaron empfand, wusste sie doch genau, welche Schmerzen er nun litt. Jasmine wusste nicht, wie lange sie zitternd unter der Decke lag, doch plötzlich wurde ihre Schutzmauer hinfort gerissen und mit tränen verschleiertem Blick, sah Jasmine dem Mann entgegen, den sie Liebte.
Vermutlich bot sie einen jämmerlichen Anblick, den Daniel wirkte zutiefst betroffen. Vorsichtig nahm sie ihre Hände von den Ohren und zuckte zusammen, da zwar gedämpft aber deutlich, noch immer die Peitsche knallte. Jemand hatte wohl die Stelle von Daniel eingenommen. Mit zitternden Glieder sah sie zu, wie sich Daniel zu ihr setzte und als er sie in seine Arme zog, beruhigte sie sich augenblicklich. Seine Wärme vertrieb die bösen Erinnerungen und sie spürte, wie seine Hand federleicht über ihren Rücken glitt, wo er, obwohl sie ein Kleid trug, ihre Narben zu liebkosen schien. Daniel wusste genau, was sie belastete und ein deutlicher Fluch entwich ihm, da er ebenso wusste, das er der jene war, der diese Ängste in ihr geweckt hatte. Doch Jasmine gab ihm keine Schuld. Aaron hatte die Bestrafung und die Demütigung verdient und ihr war klar, das man ihn nur so zum Reden bewegen konnte.
"Verzeih", hauchte Daniel und drückte sie fester an sich.
"Ich hätte dafür sorgen sollen, das du es nicht mitbekommst", meinte er und ärgerte sich sehr für sein gedankenloses Verhalten. Jasmine seufzte schwer und versicherte ihm, das sie es ihm nicht übel nahm. Innerlich begann sie sich zu ärgern, jedoch über sich selbst. Sie schämte sich dafür, so schwach und sensibel zu sein und wünschte sich, sie wäre mutiger. Daniel war das genaue Gegenteil von ihr und die Angst war groß, das ihre Schwäche ihm irgendwann lästig werden könnte. Sicherlich würde er es vorziehen, eine tapfere Frau an seiner Seite zu haben.
Beide zuckten im nächsten Augenblick wuchtig zusammen, als mehrere Schüsse knallten und das entsetzte Geschrei der Alteristaner zu hören war. Daniel löste sich ruckartig von ihr und eilte zu Fenster. Ein kurzer flüchtiger Blick nach draußen genügte ihm, um heftig zu fluchen und überstürzt das Gemach zu verlassen. Erschrocken sah sie ihm hinterher, ehe der furchtbare Lärm sie ebenfalls an das Fenster lockte. Abgesehen von den Schüssen, die knallten, war ihr zunächst nicht klar, was dort draußen passierte. Frauen und Kinder suchten ihr Heil in der Flucht, während sich mehrere Männer zu bekämpfen begannen. Schließlich realisierte Jasmine, das unter den Männern auch fremde waren und jene versuchten offensichtlich zu Aaron zu gelangen, der nach wie vor am Pfosten gefesselt war. Entsetzt musste sie sich am Sims festhalten, als sie leblose Körper am Boden liegend erblickte und ihre zitternden Beine nachzugeben drohten. Es war ihr nicht möglich zu erkennen, um wie viele Angreifer es sich handelte. Sie entdeckte Daniel, der sich Aaron näherte. Nein, ihre Augen weiteten sich als sie begriff, das es nicht Daniel war, er aber starke Ähnlichkeit zu ihm hatte. Mit ausdrucksloser Miene richtete er eine Pistole auf Aaron und jagte ihm eine Kugel in den Kopf. Mit einem entsetzten Aufschrei schreckte Jasmine vom Fenster zurück, stolperte und stürze zu Boden. Die Angst lähmte sie und erst als unten im Haus die Fenster hörbar zerbrachen und wuchtig die Haustür mit einem enormen Knallen aus der Halterung getreten wurde, kam sie wieder zu Sinnen. Frauen und Kinder schrien in Todesangst, während fremde Männerstimmen durch das Haus hallten und die Einrichtung mutwillig zerstört wurde. Als sich deutlich rasche Schritte dem Gemach näherten, kam Jasmine auf die Füße. Die Tür flog wuchtig auf und jener Mann, der Daniel ähnelte, trat ein. In einer Hand hielt er die Pistole, mit der er Aaron das Leben genommen hatte und als er sie entdeckte, hielt er ruckartig inne. Mit großen Augen sah sie ihm entgegen. Von nahem war die Ähnlichkeit zu Daniel zwar immer noch zu erkennen, aber nicht mehr so stark ausgeprägt. Er hatte deutlich härtere Gesichtszüge und sein Haar war dunkelbraun und nicht so finster schwarz wie das von Daniel. Er neigte seinen Kopf etwas zur Seite und musterte sie mit stechenden Blicken. Was er sah, schien ihm sehr zu gefallen.
"Ich nehme an, du bist das Täubchen meines Bruders, von der alle reden?", fragte er und es war wie ein Schlag in ihr Gesicht, da seine Worte ihr klarwerden ließen, das dies tatsächlich der ältere Bruder von Daniel war. Hörbar kam es unten im Haus zu Kämpfen, doch er hatte nur Augen für Jasmine.
"Nun wo ich dich mit eigenen Augen sehe, kann ich meinen Bruder gut verstehen. Schon immer hatten wir denselben Geschmack, was Frauen angeht", sagte er und Gier loderte in seinen Augen. Raschen Schrittes kam er auf sie zu, doch Jasmine wich vor ihm zurück. Ihr war eindeutig klar, dass er, obwohl er Daniels Bruder war, eine Gefahr darstellte. Er war jedoch schneller auf den Beinen als sie und ein Schrei entfloh ihr als er sie packte und schwungvoll auf das Bett schleuderte. Kaum war sie darin gelandet, war er bereits über ihr und hielt ihr die Pistole an den Kopf. Jasmine erstarrte und wagte es nicht, sich zu rühren. Sein Gesicht kam dem ihren näher und sie hörte, wie er kraftvoll ihren Geruch einsog. Es verstörte sie, das ihm daraufhin tatsächlich ein Schnurren entwich. Die Kampfgeräusche klangen wie in weiter Ferne, während sie daran dachte, das er jederzeit abdrücken und ihr Leben beenden könnte. Aber offensichtlich hatte er nicht vor sie zu töten, denn sie erkannte mit Panik wie er an ihrem Kleid zupfte. Erst wirkte es beinahe spielerisch, doch dann deutlich energischer. Sogleich wollte sie sich wehren und zappelte, doch als er mit einem klickenden Geräusch die Pistole entsicherte, hielt sie inne. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung an der Tür war.
"Ich will seinen Blick sehen, wenn er erkennt, das ich sein Täubchen gefickt habe", sagte er und Jasmine, entsetzt über seine vulgären Worte, vergaß die Pistole, holte aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Eine unbändige Wut flackerte in seinen Augen, doch noch bevor er etwas tun konnte, zog sie schwungvoll ihr Bein an und rammte ihm ihr Knie in die Weichteile. Ein Schmerzenslaut entfuhr ihm und als er sich stöhnend von ihr rollte, sprang sie sogleich aus dem Bett und wollte flüchten. Doch sie hielt inne, als sie Daniel an der Tür erblickte. Mit zuckendem Augenlid stand er da, die Hände zu Fäusten geballt und mit einem Kopfnicken zu ihr, gab er ihr zu verstehen, hinter ihn zu kommen. Sie gehorchte und lehnte sich zitternd gegen seinen Rücken. Kurz warf er ihr einen Blick zu, der deutlich von Stolz erfüllt war, ehe er zu seinem Bruder blickte, der sich langsam, den Schritt haltend, aufrichtete.
"Sie sieht zwar aus wie ein Täubchen, hat aber eindeutig Krallen", hörte man ihn murmeln und tatsächlich entfloh Daniel ein flüchtiges Lachen, ehe er völlig ernst wurde und Jasmine nicht die Kälte entging, die zwischen den Brüdern herrschte. Die Kluft zwischen ihnen war beinahe sichtbar.
"Hallo Brüderchen, wie wärs, gib mir die Krone und die Frau will ich auch".
"Nur über meine Leiche", sagte Daniel ohne Umschweife.
"Das sollte machbar sein", erwiderte sein Bruder und hob die Pistole an. Nun ging alles verdammt schnell. Daniel machte ruckartig einen Satz nach vorne und schlug seinem Bruder die Pistole aus der Hand, noch bevor dieser hätte abdrücken können. Kaum war die Waffe außer Reichweite am Boden gelandet, schlug Daniel ihm brachial seine Faust unters Kinn. Entsetzt hielt sich Jasmine die Hände vor das Gesicht, als zwischen den Brüdern nun ein brutaler Kampf entfachte.



Jasniel - Die falsche Lady *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt