* Kapitel 4 *

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Jasmine hatte kein Zeitgefühl mehr, sie wusste nicht, ob Minuten oder Stunden vergangen waren. Während ihr Körper wie von alleine funktionierte, war ihr Verstand in fernen Erinnerungen mit ihrem Bruder gefangen. Ein Wachtraum, der sie davon abhielt zu hyperventilieren. Doch als irgendwann plötzlich etwas Pelziges über ihre nackten Füße huschte, schreckte sie kreischend auf und trat wie irre in die Dunkelheit. Sie spürte es und auch ein lautes Piepen verkündete, dass sie die Ratte getroffen hatte.
Sogleich tat es ihr Leid, denn das Tier konnte nichts für ihre Angst, aber dennoch konnte sie sich nicht beruhigen und presste sich mit rasender Atmung gegen das kalte Gestein. Ihr Aufschrei war wohl gehört worden, denn rasche Schritte näherten sich. Starr vor Angst spähte sie in die Richtung, von der sie glaubte, dass dort die Tür sei. So genau wusste sie es in der Düsternis nicht mehr. Sie hörte, wie eine Tür nach der anderen geöffnet wurde, als würde jemand etwas suchen. Dann plötzlich verharrten die Schritte vor ihrer Zelle. Der schlüssel klickte im Schloss und die Tür wurde geöffnet. Wimmernd kniff Jasmine ihre Augen zusammen, da das eigentlich schwache Licht der Kerzen wie heiße Glut in ihren Augen brannte. Der Atem stockte ihr, als sie etwas hörte, das wie ein Knurren klang, gefolgt von einem recht wüsten Fluch.
Mehrmals blinzelte sie, wartete bis sie sich an das Licht gewöhnt hatte und blickte dann zur Tür. Der Atem stockte ihr, als sie Daniel zusammen mit dem rothaarigen Mann erblickte. Was hatte man nun mit ihr vor? Raschen Schrittes näherte sich Daniel ihr, kniete sich zu ihr nieder und packte ihre Handgelenke. Sie verspürte dabei einen stechenden Schmerz und sah, wie er ihre Hände mit gerunzelter Stirn betrachtete. Ihr Blick senkte sich hinab und sie erschrak als sie erkennen musste, dass ihre Hände blutig waren. Wann genau hatte sie sich diese Wunden zugefügt? Sein Blick flog nun zu ihrer Stirn, die er leicht berührte und als er seine Hand zurückzog hatte er Blut an den Fingerkuppen. Bedeutete das, ihre Stirn war auch verletzt? Das würde ihre Kopfschmerzen erklären.
"Selbstmord erlaube ich nicht, noch brauche ich euch", murrte Daniel, stand auf und zog sie auf die Füße. Jasmine war schockiert, wie konnte er glauben, dass sie sich selber umbringen wollte? Das würde sie niemals tun, egal wie schrecklich ihr Leben war. Dennoch widersprach sie ihm nicht und ließ zu, dass er sie aus der Zelle zerrte. Es war ein befreiendes Gefühl, das Gefängnis zu verlassen und ihr Puls begann sich zu normalisieren. Doch als er mit ihr das Kellergewölbe verließ und sie die große Treppe hinaufzerrte, hatte sie ernsthafte Schwierigkeiten mit ihm mitzuhalten. Würde er nicht so an ihr zehren, wäre sie vermutlich schon über ihre eigenen Füße gestolpert und folgend gestürzt. Oberhalb der Treppe angekommen warf sie einen Blick zurück und bemerkte, dass der rothaarige Mann ihnen folgte. Unten am Fuße der Treppe erblickte sie Aaron, der, wie sie überrascht feststellte, eine blutige Lippe hatte. Doch schon war er aus ihrem Blickfeld entschwunden und sie fand sich im obersten Stockwerk wieder, das sich drastisch von dem unteren Unterschied. Hier war kein einziges Staubkörnchen zu erblicken. Alles war sauber und die Pflanzen strahlten in saftig grünen Farben. Bevor sie sich darüber jedoch wundern konnte, zog Daniel sie grob weiter. Eine der vielen Türen im Flur, öffnete er schließlich und zog Jasmine in den schicken Raum, der sich dahinter befand. Es war in hellen Farben gehalten, die Möbel wirkten wie neu und noch dazu sehr teuer. Die größte Begeisterung in ihr entfachte das gewaltige Bett. Noch nie zuvor hatte sie solch ein großes gesehen, doch ihre Bewunderung schwand schnell dahin, als Daniel sie eben in jenes Bett schubste. Kreischend landete sie auf der weichen Matratze, die sofort unter ihr nachzugeben schien und Jasmine das Gefühl hatte, im Bett zu versinken. Entsetzt starrte sie Daniel an, der sich nun an den Rothaarigen wandte.
"Lass sie nicht aus den Augen, in den nächsten sechs Tagen bist du für sie verantwortlich", sagte er und verließ dann das Gemach, wobei er die Tür so heftig zuschlug, dass ein Bild, das neben dem jungen Mann an der Wand hing, krachend zu Boden flog. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich nun im Raum aus und erst als die schweren Schritte von Daniel in der Ferne verklungen waren, riss sich Jasmine aus ihrer Starre und kämpfte sich mühsam zum Bettrand vor, wo sie sich zitternd setzte.
Verstohlen betrachtete sie den jungen Mann, der noch immer entsetzt das Bild am Boden anstarrte. Jasmine verstand nicht, warum Daniel so wütend gewesen war und erst Recht nicht, warum sie nun in diesem vornehmen Gemach war. Schulterzuckend beschloss sie sich keine Gedanken mehr darüberzumachen, denn hier war es bei weitem besser als im Kerker. Der junge Mann löste sich nun aus seiner Starre, lief zu einer Kommode und holte aus der Schublade einen kleinen Koffer hinaus, mit dem er zu ihr kam. Jasmine beobachtete ihn schweigend dabei, wie er sich vor sie kniete und den Koffer öffnete. Zum Vorschein kamen Salben, Binden und andere Dinge.
Sie begriff, dass er ihre Wunden behandeln wollte und ließ es schweigend geschehen. Nachdem er ihre Stirn und auch die Hände gereinigt hatte, stellte sich heraus, dass die Verletzungen nicht sonderlich schlimm waren und sie sich lediglich die Haut aufgeschürft hatte. Dennoch trug er eine stinkende Salbe auf, verpasste ihrer Stirn ein Pflaster und bandagierte ihre Hände. Bei letzterem hatte sie das Gefühl, dass er sie extra dick einbandagierte. Kaum war er fertig, klopfte es an der Tür und er ging um diese zu Öffnen. Jasmine erblickte Aaron, der dem jüngeren ein Tablett mit Essen reichte.
Wie sie sah, blutete er nicht mehr an der Lippe, jedoch sah seine Nase nun sehr gedemütigt aus. Sie blutete so sehr, dass er sich Papier in das linke Nasenloch gedreht hatte. Aaron schenkte ihr einen tödlichen Blick und verschwand.
"Was ist mit seiner Nase passiert?", fragte sie, als der Rotschopf das Tablett neben sie auf das Bett stellte. Sie sah Brot und Käse, ein karges Mahl, über das sie sich aber sehr freute.
"Hat einen Fehler gemacht", antwortete er.
"Wurde er etwa bestraft?", fragte sie.
"Als es hieß euch einzusperren, hieß das nicht, dass man euch in den düsteren Kerker werfen sollte", sagte er und packte die Tasche wieder zusammen. Jasmine war erstaunt. Also war der Keller nur ein Versehen gewesen? Hatte Daniel deshalb so wütend gewirkt?
"Solange unsicher ist, ob ihr Claudia seid oder nicht, will der Herr keinen Kratzer an euch sehen, doch dank Aaron seid ihr bereits verletzt. Seinen Zorn darüber hat Aaron zu spüren bekommen", sagte er und verstaute die Tasche in der Schublade. Jasmine war froh das alles zu hören. Erstens hatte der verdammte Aaron sein Fett abbekommen und zweitens, bedeutete es, dass sie in den nächsten sechs Tagen sicher sein würde. Wenigstens schien Daniel ein wenig Anstand zu haben, da er nicht riskierte, eine mögliche Unschuldige zu verletzten. Ha, in sechs Tagen würde er sie um Vergebung bitten müssen. Über diese Vorstellung grinsend begann sie zu Essen, was sich etwas schwer herausstellte mit den bandagierten Händen.
"Wie heißt du eigentlich?", fragte sie schmatzend. Sie sah, wie der Rotschopf schief grinste und sie mit erhobenen Augenbrauen ansah.
"Das ist so offensichtlich", murmelte er seufzend.
"Was meinst du?".
"Nichts. Pete", sagte er.
"Pete? Okay Pete, kannst du mir sagen, was dein Boss von Claudia will?", fragte sie.
"Erbling".
"Und was oder wer soll das sein?", fragte sie, doch bekam keine Antwort. Sie gab jegliche weitere Versuche weiter nach Hinweisen zu bohren auf und hoffte, die sechs Tage würden schnell vorbei sein.

Jasniel - Die falsche Lady *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt