* Kapitel 8 *

643 77 6
                                    

Jasmine hatte sich zwar vorgenommen, ihr sogenanntes Taschengeld klug und nur in wichtige Dinge zu investieren, doch schon beim ersten Stand mit frischem Obst wurde sie schwach und gönnte sich einen knackigen Apfel. Er war Köstlich, viel besser als dieses ständige Brot mit Käse. Sie wusste nicht mehr, wann sie zum letzten Mal einen Apfel genossen hatte, doch es war zu einer Zeit gewesen, in der Jason noch gelebt hatte. Erinnerungen an ihren Bruder suchten sie heim, ließen sie kurz in Trauer schwelgen, die dank eines zweiten Apfels aber schnell verdrängt werden konnte.
Der Markt, den sie nach langem ziellosen umherlaufen gefunden hatte, bot allerhand an Waren an. Neben dem ganzen Essen auch wertvolle Dinge, wie Skulpturen, Gemälde und Schmuck. Es gab sogar Gewürze, deren intensiven Gerüche man auf dem ganzen Markt riechen konnte. Doch auch mit Drogen wurde hier offen gehandelt, doch um diese Stände machte Jasmine einen weiten Bogen. Gerade als sie ihren zweiten Apfel vertilgt hatte, wurde sie Zeuge wie eine Gruppe von Kindern einen Bäcker bestahlen. Drei Brote schwanden von seinem Stand und landeten in gierigen Kinderhänden, die mit ihrer Beute eifrig davon eilten, noch bevor der Bäcker etwas bemerkte. Jasmine sah ihnen traurig hinterher, denn dem Zustand der Kinder nach, waren diese sich alleine überlassen. Von den Erwachsenen schien sich keiner dafür verantwortlich zu fühlen, ihnen zu helfen. Diese Erkenntnis erschütterte Jasmine sehr und sie erinnerte sich an ihre eigene Zeit auf der Straße. Wie schön wäre es damals gewesen, wenn nur eine Person sich mit Güte an sie gewendet hätte. Es wäre wie ein Licht in den dunklen Straßen gewesen, eines, das Menschen wie ihr Mut gemacht hätte.
Doch stattdessen war man mit Verachtung gestraft worden. Für ein Kind musste das gewiss noch grausamer sein. Dieser Gedanke erweckte in ihr ein Vorhaben, das sie mit wilder Entschlossenheit durchsetzen wollte. Raschen Schrittes lief sie zu dem Bäcker, der gerade das fehlende Brot bemerkte. Sie bezahlte ihm das Diebesgut und er nahm das Geld dankend an ohne sich ihre Erklärung anhören zu wollen. Das sollte ihr nur Recht sein und sie machte ihn richtig glücklich als sie seine besten Gebäcke kaufte. Auch der Obsthändler nebenan strahlte, als sie von allem, was er hatte, etwas nahm und einige stolze Münzen bei ihm ließ. Vollgepackt mit drei Taschen, machte sich Jasmine dann auf die Suche nach den Kindern. Ihrer eigenen Erfahrung nach versteckten sie sich sicherlich in den abgeschiedeneren Straßen und Gassen. Tatsächlich fand sie die Kinder in einer düsteren Seitenstraße kauernd, wo sie sich hungrig die Brote teilten.
"Hallo", grüßte Jasmine freundlich, doch die Kinder schreckten auf und huschten in die dunkleren Ecken davon. Sie waren es wohl gewohnt vertrieben und geächtet zu werden. Langsam, um die Kinder nicht zu verschrecken, kniete sie sich nieder und stellte die Taschen ab. Dann holte sie ihren Geldbeutel hervor, kramte einige Münzen raus, steckte diese selber ein und legte den volleren Beutel neben die Tüten.
"Das ist für euch, verzeiht, dass ich nicht mehr tun kann, doch es sollte euch einige Tage vor Hunger bewahren", sagte sie, wissend, dass die Kinder sie beobachteten. Sie wollte die Kinder nicht im Stich lassen, doch für mehr war sie wirklich nicht in der Lage. Rasch, aber mit Wehmut, verließ sie die Seitenstraße und setzte ihre Erkundung der Stadt fort. Nun war von ihrem Taschengeld nicht mehr viel übrig und sie wusste, sie musste einen Plan ersinnen. Wenn es ihr gelang Daniel zu entkommen, würde sie für einen Neuanfang viel Geld brauchen. Sie könnte von dem Taschengeld einiges sparen. Es war zwar das Geld von Daniel, doch das würde sie als Entschädigung für all den Schlamassel sehen.
Ihre Gedanken gerieten durcheinander, als sie realisierte, dass mehrere Männer ihr folgten. Sie wusste nicht, ob sie zu Daniel gehörten, sie hatte zwar versucht sich die Gesichter seiner Männer einzuprägen aber es waren einfach zu viele. Ein ungutes Gefühl erfasste sie und vielleicht war es besser, den Ausflug für Heute zu beenden. Doch bei diesem Entschluss wurde sie eines weiteren Problems gewahr. Sie hatte sich verlaufen! Sie wusste nicht, in welcher Richtung das Anwesen war. Etwas panisch lief sie ziellos weiter, hoffend, etwas zu entdecken, das ihr bekannt war. Doch da holten die Männer sie plötzlich ein und zerrten sie in eine dunkle Gasse. Jasmine versuchte erst gar nicht, um Hilfe zu rufen, den viele hatten diese Aktion gesehen und keiner hielt es für nötig ihr zu helfen. Unsanft wurde sie gegen eine Hauswand gestoßen und voller Angst sah sie den Männern entgegen.
"Was wollt ihr von mir?", fragte sie mit zitternder Stimme, doch die Antwort bekam sie nie zu hören, da plötzlich ein Pfiff ertönte und alle zum Eingang der Gasse blickten, wo niemand anderes als Pete stand. Jasmine staunte nicht schlecht, denn sein bloßer Anblick genügte und die Männer ergriffen die Flucht. Sie waren so schnell weg, dass sie kaum gucken konnte. Mit einem Kopfnicken gab er ihr zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte. Das tat sie auch.
"Das war unglaublich, wer genau bist du Pete, dass diese stämmigen Kerle bei deinem bloßen Anblick die Flucht ergreifen?", fragte sie und musterte den Rotschopf ganz genau. Pete schwieg und sie glaubte schon, keine Antwort zu bekommen, doch nach einigen Schritten blieb er plötzlich stehen.
"Ich sehe vielleicht nicht so aus aber ich kann gut zuschlagen. Gab mal eine Zeit, da war ich Champion im Untergrundboxen", antwortete er.
"Untergrund-was?", fragte sie.
"Illegales Boxen", antwortete er und sie wusste nicht einmal, dass es so etwas gab und was genau war da der Unterschied zum legalen Boxen? Sie wollte es ehrlich gesagt nicht wissen und hinterfragte es auch nicht weiter. Sie war einfach nur froh, dass Pete da war und sie gerettet hatte, wenn auch sie nicht wusste, was die Typen eigentlich von ihr gewollt hatten. Pete sah aus als wollte er ihr noch etwas sagen, kratzte sich dann aber nur am Hinterkopf und lief dann rasch weiter. Brav folgte sie ihm, doch schon blieb er wieder stehen.
"Also gut ...", sagte er und wandte sich entschlossen zu ihr herum.
"Also gut, was?", fragte sie verwirrt.
"Ich bin auf deiner Seite", antwortete er.
"Wie genau meinst du das?", wollte sie wissen.
"Ich werde dir helfen", erklärte er und sie traute ihren Ohren nicht. Sie hatte die ganze Zeit gehofft, dass er ihr helfen würde und doch kam es ihr nun zu plötzlich. Was hatte ihn dazu bewogen, ihr Helfen zu wollen? Da stimmte doch etwas nicht, könnte es ein Trick von Daniel sein. Schickte er Pete vor, um ihr Vertrauen zu gewinnen und sie auszuspionieren? Das würde sie nicht sehr verwundern und dennoch beschloss sie, das Risiko einzugehen. Jemanden an ihrer Seite zu haben, der sie unterstützte, war alles, was sie im Moment wollte, selbst, wenn diese Hilfe geheuchelt sein sollte.
"Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll", murmelte sie.
"Vielleicht so etwas wie Danke?", fragte er.
"Natürlich danke ich dir und ich nehme deine Hilfe gerne an", sagte sie hastig.
"Gut, hör zu, wir brauchen Beweise, das ist das A und das O, ohne brauchen wir gar nicht erst bei Daniel vorzusprechen. Aber ich habe schon eine Idee, die ich dir Morgen genauer erklären werde. Eines sollte dir jedoch klar sein, wenn der Boss und die anderen in der Nähe sind, dürfen die nicht bemerken, dass wir unter einer Decke stecken, sonst wirft man mir Verrat vor. Der Boss ist bei dem Thema momentan sehr sensibel", sagte Pete und redete dabei ziemlich schnell. Jasmine hatte jedoch verstanden und nickte zustimmend. Da sie selbst keinen Plan mehr hatte, wollte sie vollends Pete die Planung überlassen.
"Da wir nun zusammen arbeiten, habe ich einige Fragen", sagte sie, aber Pete schüttelte abwehrend den Kopf.
"Nicht hier und nicht jetzt. Lass uns das ein andern Mal klären. Am besten gehen wir, der Boss ist hier bekannt wie ein bunter Hund. Viele fürchten ihn, noch mehr jedoch hassen ihn. Die warten nur darauf etwas zu finden, womit sie ihm schaden können. Meine Anwesenheit alleine wird diese Plagen nicht lange fern halten", wehrte Pete ab und lief hastig weiter. Jasmine blieb dicht an ihm dran und versuchte mit seinem Tempo mitzuhalten. Bald schon konnte sie das Anwesen erblicken und komischerweise verströmte es nun ein Gefühl von ein wenig Sicherheit. Doch als die beiden Wachen am Tor nicht mehr fern waren, blieb Pete plötzlich stehen.
"Übrigens sollte dir eines bewusst sein", sagte er und als sie ihn fragend ansah, verformten sich seine Lippen zu einem verschmitzten Lächeln.
"Wenn wir bewiesen haben, dass du die falsche bist, solltest du dich darauf vorbereiten, dass der Boss dir den Hof machen wird", meinte er und Jasmine entglitten jegliche Gesichtszüge. Sicherlich hatte sich Pete gerade einen Scherz erlaubt, denn warum sollte Daniel ihr den Hof machen, ihr, der Dienstmagd von der Straße? Das war doch lächerlich und warum raste ihr Herz nun wie bekloppt in ihrer Brust? Ihre Wangen glühten und es war gefährlich warm geworden.
"Wie kommst du dazu so etwas zu behaupten?", fragte sie und wedelte sich hastig mit der flachen Hand frische Luft zu.
"Weil der Boss ziemlich von dir angetan ist, ehrlich gesagt gefällst du ihm sehr, aber da er leider denkt du wärst Claudia, lässt er diese Gefühle nicht zu", erklärte Pete und Jasmine spürte wie es noch hitziger zu werden schien. Dieses Gespräch wühlte sie zu sehr auf und so war sie die jene, die nun weiter auf das Tor zu lief und Pete stehen ließ.

Als Jasmine kurz darauf ihr Gemach betrat, blieb sie verwundert stehen. Das Bett war frisch bezogen und der Geruch nach Erbrochenem verschwunden. Ein kurzer Blick in das Badezimmer genügte, um zu erkennen, dass auch die Dreckwäsche verschwunden war. Beschämt, dachte sie an die Nacht zurück und lauschte nach einem Geräusch aus dem Nebenraum. Doch im Gemach ihres Mannes war es still. Was machte er wohl den ganzen Tag über und nahm er ihr die Nacht übel? Etwas verunsichert setzte sie sich und wartete auf Pete. Er hatte ihr versichert, dass er bald kommen würde um ihr Essen und auch einige Antworten zu bringen.
Jasmine war sich aber nicht so sicher, was sie davon halten sollte. Es fiel ihr schwer dem Rotschopf zu vertrauen aber sie hatte wohl keine andere Wahl. Gespannt darauf mehr über die Gründe ihres Hierseins zu erfahren, wartete sie voller Ungeduld und dann endlich klopfte es an der Tür und Pete trat ein.
"Wir haben nicht viel Zeit, also stell mir deine Fragen", meinte er, während er das Tablett neben ihr abstellte. Wie immer erblickte Jasmine darauf Brot und Käse.
"Gibt es hier auch was anderes zu Essen?", fragte sie.
"Dafür stehen die Chancen eher schlecht, keiner von uns kann gut kochen. Daher essen die meisten auswärts", antwortete Pete und auch wenn sich Jasmine sicher war, dass ihre Künste in der Küche die Männer hier begeistern würden, würde sie sich niemals für diese Halunken in die Küche stellen. Für ihren Bruder hatte sie es früher täglich getan und er hatte ihre Speisen geliebt.
"Hat Daniel einen Sohn?", fragte sie und hing wie gebannt an den Lippen von Pete.
"Nicht das ich wüsste", antwortete er und sie atmete erleichtert aus, was dem Rotschopf nicht entging und was er mit erhobenen Augenbrauen zur Kenntnis nahm. Jasmine zögerte kurz und erzählte Pete dann von der Zeichnung. Sie tat es mit etwas Scheu, denn wenn seine Hilfe nur ein Trick war, würde Daniel erfahren, dass sie in seinen Sachen gewühlt hatte.
"Der Junge, den du auf der Zeichnung gesehen hast ist Siegfried, doch er hasst diesen Namen, weshalb ihn alle nur Siggi nennen. Er ist der Grund, weshalb du hier bist", erklärte Pete und Jasmine horchte auf. Sie war also in diese Situation geraten wegen eines Kindes?
"Erkläre es mir", bat sie, doch Pete  schüttelte abwehrend mit dem Kopf.
"Das ist eine ziemlich ernste Sache, umso mehr du weißt, umso tiefer rutschst du mit rein und das könnte böse enden", sagte er.
"Sieh mich doch mal an Pete, ich bin hier, entführt und zwangsverheiratet und ich werde für eine andere Frau gehalten. Was auch immer hier los ist, ich habe ein Recht davon zu erfahren", erwiderte sie und Pete seufzte schwer. Er haderte sichtbar mit sich. Leider erfuhr Jasmine nicht, ob er sich ihr anvertraut hätte oder nicht, da plötzlich lautstark eine Tür im Haus knallte und Daniel nach Pete rief. Wie von etwas gestochen, stürzte Pete aus dem Gemach und Jasmine blieb mit noch mehr Fragen zurück als zuvor.

Jasniel - Die falsche Lady *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt