- Kapitel 5 -

261 35 15
                                    

Kapitel 5 - Der Leiter

Nico machte, dass er so schnell wie möglich von der Tür wegkam. Das war einfach zu viel. Er mochte Larissa schon, aber nicht so. Es... es hatte ihn so...überwältigt, er wollte nur noch fliehen. Nico hoffte sehr, dass er Larissa nicht zu sehr verletzt hatte. Das hatte sie nicht verdient, aber er konnte nicht anders. Während des Kusses hatte er das Gefühl gehabt, jemanden zu verraten. Aber wen? Wen könnte er denn verraten? Er hatte doch niemanden.

Nachdem er einen gefühlten Marathon gelaufen war, hatte Nico endlich ein paar hundert Meter Abstand zwischen sich und Larissas Haus gewonnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jetzt nachkommen würde, war also eher gering. Und jetzt? Nico blieb keuchend auf der verlassenen Straße stehen und stemmte seine Hände in die Hüften, um durchatmen zu können. Dabei versuchte er einen klaren Kopf zu bekommen. Das war nur nicht ganz so einfach...

Er hatte Probleme. Große Probleme.

Erstens: wenn er je wieder bei seinem Vater wohnen wollte, musste er entweder den Mantel und damit Joela finden, was eigentlich unmöglich war, oder genug Geld erbetteln, um einen neuen zu kaufen. Mit Letzterem würde er sich allerdings vor allen blamieren und sich zum Gespött der ganzen Gegend machen, denn natürlich kannten ihn sehr viele Menschen hier. Nico würde doch nicht betteln gehen! Wer war er denn?

Zweitens: Larissa war tatsächlich in ihn verliebt. Er hatte es immer geahnt, aber nun hatte es sich bestätigt. Damit schien die Freundschaft zwischen ihnen für immer zerstört und es gab keinen Weg, es wieder rückgängig zu machen. Nie wieder konnte er einfach so zu ihr gehen und sie um Rat fragen. Noch nie hatte er ihre Freundschaft und ihr Zusammenleben so geschätzt. Jetzt vermisste es Nico schmerzlich. Das was man im Moment nicht hatte, vermisste man immer am meisten. 

Und jetzt? Immer wieder tauchte diese eine Frage in Nicos Kopf auf. Sie wollte einfach nicht verschwinden. Gegen Larissa konnte er nichts tun, dieses Problem war praktisch unlösbar. Allerdings könnte Nico diese Joela suchen. Aber er hatte keinen einzigen Anhaltspunkt, wo sie sich genau aufhielt. Das Armenviertel war groß. Sie könnte gestern Abend auch nur rein zufällig dort gewesen sein und in Wirklichkeit ganz woanders wohnen. Aber es war ein Anfang. Immerhin. Besser als nichts.

Also bewegte sich Nico langsam in die Richtung des HJ-Gebäudes, wo er Joela gestern getroffen hatte.
Er merkte, während er lief, wie erschöpft er in Wirklichkeit war. Es war vielleicht um sechs oder um sieben Uhr am Morgen. Das letzte Mal gegessen hatte Nico vor über zwölf Stunden. Geschlafen hatte er gar nicht. Das war sein Körper nicht gewohnt. Äußerlich ähnelte Nico wohl eher einer Leiche als einem jungen Mann.
Nico kam ebenfalls an dem Raus mit den Juden - Plakat vorbei und entdeckte im schwachen Sonnenlicht, dass auch noch andere beleidigende Parolen für die Juden herumhingen. Es fiel ihm nicht leicht, aber er versuchte sie zu ignorieren. Wieso waren die Menschen hier in Deutschland so? Kurz bevor er zur Gegend, in welcher er Joela vermutete, abbog, blieb er stehen.

Wollte er das machen? Irgendwie schon.

Durfte er das machen? Eigentlich nicht.

Sollte er das machen? Besser wäre es.

Doch Nico hatte eine Sekunde zu lang nachgedacht. Jemand hatte ihn erkannt. „Nicholas? Was machst du so früh hier?", rief eine markerschütternde Stimme. Nico drehte sich um. Schwere Schritte kamen auf ihn zu. Es war Elias Müller. Sein Ausbilder. Er achtete bei der Hitlerjugend darauf, dass alles in Ordnung ging und sich die Kinder nicht gegenseitig abschossen.

„Ich... äh...Herr...", Nico brachte vor Elias kein Wort heraus. Warum war kein Geheimnis.

Sah man Elias an, wollte man am liebsten die Beine in die Hand nehmen und weglaufen. Er sah wirklich zum Fürchten aus. Er war groß, mindestens einen Kopf größer als Nico. Er war ein riesiger Mann mit breiten Schultern und einem bösen Ausdruck. Seine Augen waren auf den ersten Blick dunkelbraun, was eher langweilig erschien, doch sie waren sehr tiefgründig. Man konnte nie erkennen, was er dachte oder als nächstes machen würde. Doch konnten sie auch furchteinflößend sein und wie Klingen auf jemanden einstechen.

- System gegen Liebe -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt