- Kapitel 18 -

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Kapitel 18 - Weite Wellen

All diese Sachen, die Nico eben erst erfahren hatte, ließen ihn einfach sprachlos auf dem Feld zurück. Elias hatte sich bereits aus dem Staub gemacht und ihn hier stehen lassen. Vielleicht war es auch besser so, wenn er erst einmal verarbeiten konnte, was hier vor kurzem geschehen war.

Doch dann fiel Nico auf, dass er gar nicht länger bleiben konnte. Er musste doch noch zu Joela. Sie waren heute noch verabredet und er hatte sich eigentlich vorgenommen, direkt nach der HJ zu ihr zu kommen. Aber das Gespräch hatte länger gedauert als gedacht und vermutlich machten sie sich schon Sorgen um ihn. Wobei? Was sollte ihm denn schon passieren?

Nachdem er noch einige Minuten einsam seinen Gedanken nachhing, raffte er sich schließlich auf und begab sich wie immer unentdeckt und doch immer angsterfüllt zu Joelas Haus. Allerdings traf er dort nicht zuerst auf Jo, wie sonst immer, sondern auf ihre jüngere Schwester Mava. Mava und Nico hatten nicht das beste Verhältnis. Sie schien ihm noch nicht vollständig zu vertrauen, obwohl er den Grund dafür nicht verstand. Hatte er nicht schon längst gezeigt, dass er nicht zu der bösen Seite Deutschlands gehörte?

Mava war gerade einmal zwölf Jahre alt und doch strahlte sie ein noch viel größeres Selbstbewusstsein als ihre beiden größeren Geschwister Joela und Amon aus. „Hallo, Mava", versuchte Nico sie freundlich zu begrüßen und schaute herab in ihre braunen Augen, die nicht einmal halb so schön schienen wie die von Joela. Sie waren starr, dunkel und konnten vermutlich sogar Personen wie Larissa oder Elias länger in die Augen sehen. In ihnen lag eine unglaublich sture Kraft.

„Hallo." Das war die kurze und sehr kritische Antwort, die Nico deutlich zu verstehen gab, dass sie nicht erfreut war, ihn zu sehen. „Bist nicht der Erste hier", fügte sie knapp hinzu, drehte sich ruckartig um, sodass ihre langen, dunkelbraunen Haare in ihrem Zopf perfekt nach hinten fielen. Dann gab sie ihm noch einen stechenden Seitenblick mit einem leicht überheblichen Lächeln, welches gleichzeitig ihre Abneigung ausdrückte und ging schnellen Schrittes in die Wohnung hinein.

Nico gab sich größte Mühe, ihr schnell zu folgen, bis er in der Küche angekommen war und sah, weshalb er nicht der Erste war. Mattheo war auch da. Aber warum Mattheo? Und was wollte er um diese Zeit hier? Das erklärte zwar, warum er nicht bei der HJ erschienen war, eine Entschuldigung war es allerdings auch nicht. Zuerst begrüßte Nico natürlich seine Joela, die sofort aufsprang, um ihn zu umarmen.

Dass sie beide ein Paar waren, war kein Geheimnis mehr in der Familie. Nur leider akzeptierten es nicht alle. Die tödlichen Pfeile, die in Form von bösen Blicken auf ihn abgefeuert wurden, konnte Nico deutlich spüren. Natürlich gingen sie nur von Mava allein aus. Dafür musste er sich nicht einmal umdrehen. Nachdem er Joelas Nähe eine Weile gespürt hatte, ließ er vorsichtig von ihr ab und sie wurde ganz rot. Verständlicherweise war ihr das Ganze vor der Familie schon etwas peinlich. Wäre es Nico sicherlich auch... Wenn er denn noch eine Familie hätte... Jedenfalls eine, die am Leben war.

Zum ersten Mal sah Nico alle Mitglieder von Joelas Familie auf einem Fleck. Da war ihre etwas kränklich aussehende Mutter, die sich vorsorglich auf einen Stuhl gesetzt hatte, falls sie wieder kollabieren und zusammenbrechen würde. Dann war da die kleinste von allen: Leora. Die vierjährige Schwester von Joela saß auf dem Schoß ihrer Mutter und sah ganz interessiert auf den Tisch. Sie trug ein Kleid, welches viel mehr an eine alte Schürze erinnerte und sicher schon das ein oder andere Mal genäht und repariert werden musste.

David und Amon, die beiden einzigen Jungen der Familie standen knapp hinter dem kleinen Tisch und gaben sich Handzeichen. Rechts neben ihnen in einer Ecke stand Mava und sah gelangweilt und verärgert zugleich aus. An ihrer Hand hielt sie eine weitere Schwester, der Nico auch schon begegnet war: Estha.

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