Kapitel 19 - Sorgenfrei
Nico verbrachte noch einige Stunden bei Joelas Familie. Sie redeten miteinander, hatten sogar Spaß zusammen. Aber vor allem stand die eine große Frage im Raum: Würden sie es schaffen? Schaffen zu fliehen? Dafür müsste Mattheos Onkel Jason den Brief erhalten, entschlüsseln und auch zusagen. Doch damit wäre längst nicht alles getan. Sie mussten alles bis ins letzte Detail planen und vorbereiten. Denn nur allein, weil Jason sich dazu bereiterklärte, musste noch immer nicht alles so funktionieren, wie es sollte. Was, wenn die Soldaten etwas mitbekamen? Es war schon etwas auffällig, wenn ein paar Juden auf ein Schiff wollten, dass zufällig nach Amerika fahren würde.
Außerdem konnten sie nur begrenztes Gepäck mitnehmen. Die Familie von Joela besaß ohnehin nicht viel, aber trotzdem mussten sie sich auf das wichtigste und vielleicht auch Nötigste beschränken. Auch wenn das hieß, wichtige Erinnerungen wie Fotos zurückzulassen. Nico ging es dabei ganz ähnlich. Am liebsten würde er alles, was er zuhause hatte, mitnehmen, aber er konnte nicht. Wie auch? Einerseits wäre es ungerecht, andererseits wüsste er gar nicht, wie er alles transportieren sollte. Das hieß, Nico selbst musste ebenfalls auf seine wichtigsten und bedeutsamsten Sachen zurückgreifen. Zwar war noch etwas Zeit, bis die geplante Flucht stattfinden sollte, doch schon jetzt schmerzte es in ihm bei dem Gedanken, all die Fotoalben und wichtigen Sachen seiner Familie einfach im Haus liegenzulassen, als wären sie überhaupt nichts wert und könnten auch ganz gut entsorgt werden. Denn dies entsprach nicht der Wahrheit...
Als langsam der Abend hereinbrach, wollte sich auch Nico auf den Weg nach Hause machen. Es war noch immer Winter und der Frühling würde erst in einigen Wochen kommen, wenn sie Glück hatten. Das bedeutete, dass es noch sehr früh dunkel wurde und es nicht gerade vom Vorteil war, zu spät aufzubrechen. Schließlich konnte nie jemand wissen, was einen da draußen erwartete. Also lieber im Hellen und in Sicherheit nach Hause laufen als in der Dunkelheit und in Unwissenheit. Eine selbsterklärende und simple Weisheit, die ihm schon seine Eltern beigebracht hatten, als er noch sehr klein gewesen war und lange zum Spielen draußen bleiben wollte.
Zum Abschied reichte Nico jedem die Hand, was als sehr freundlich aufgefasst wurde. Nur Mava lehnte wie üblich ab und tat so, als wäre sie sehr damit beschäftigt ihre Haare zu richten. Obwohl jeder der Anwesenden wusste, dass dem nicht so war. Aber ihm sollte es recht sein.
Als er noch Joela umarmen und küssen wollte, drang ihre seichte Stimme an sein Ohr. „Ich komme mit dir. Ich will wiedergutmachen, dass du dich einsam gefühlt hast." Was? Sie wollte mit ihm kommen, damit er sich nicht mehr eifersüchtig fühlte? Joela war wirklich eine unfassbare Person. Wie süß, hilfsbereit und zuvorkommend war das denn? Aber so ein Angebot wollte Nico natürlich auch nicht ablehnen und stimmte selbstverständlich zu. Auch wenn er sich denken konnte, dass seine Freundin ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Familie haben musste. Und auch wenn diese es nie zugeben würde - neidisch waren sie sicher etwas, dass sie den Abend in Wohlstand verbringen konnte, während sie hierbleiben mussten. Doch keiner wagte es, etwas zu sagen, so wussten immerhin alle im Raum, dass Nico und Jo ein Paar waren und auch gerne Zeit für sich hätten.
Nachdem Joela einige Sachen für die Nacht zusammengepackt hatte, verließen sie die Wohnung und versuchten unbeachtet zu Nicos Haus zu kommen. In der Hoffnung, dass niemand fragen würde, hatte Joela ihre Kapuze aufgezogen und verbarg so den Großteil ihres Gesichts.
Sie hatten mindestens die Hälfte des Weges geschafft, als tatsächlich eine Person nach ihnen rief und ihnen entgegengelaufen kam. Es war eine Frau mit schwarz welligen Haaren, einer perfekten Figur und einem roten, edlen Mantel, der verdächtig nach echtem Pelz aussah. Dazu passend saß eine rote Baskenmütze auf ihrem Kopf, die ihre strahlenden blauen Augen hervorhob. Es war Mattheos Mutter, Antonia Schleicher.
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- System gegen Liebe -
Historical FictionEr ist Nationalsozialist, sie Jüdin. Sie lieben sich. Irgendwie. Trotz der grausamen Geschehnissen ihres Landes. Nico weiß nicht was er tun soll... Sein Land verraten und Joela lieben oder Joela verraten, für die Ehre des Landes? Sein Leben wird au...