- Kapitel 10 -

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Kapitel 10 - Aufräumen

Als Nico langsam wieder aufwachte, strahlte die Sonne bereits trügerisch durch die Gardinen. Hatte er den restlichen Nachmittag, sowie die Nacht durchgeschlafen? Anscheinend schon. Nicos Kopf dröhnte. Es brauchte eine Weile, um sich die letzten Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sein Vater. Bald brannte sich das Bild seines am Boden liegenden, verwahrlosten Vaters wieder in seine Gedanken. Und Nikola? Was war mit der kleinen Hausfrau, die versprochen hatte, sich um alles zu kümmern?

Ehe Nico über neue Kleidung, Essen oder generelle Hygiene nachdenken konnte, sprang er aus dem Bett und hastete die Treppe runter. Alles war sauber. Normalerweise machte Nikola alles ordentlich, schließlich war dies ihre Arbeit, aber es waren schon sehr besondere Umstände. Hatte sie wirklich alles aufgeräumt? Als Nico vorsichtig ins Wohnzimmer schaute, war er überrascht. Sein Vater war weg. Die Glasscherben, der Alkohol - alles davon schien nie zuvor dagewesen zu sein. Hatte er sich das eingebildet? Unmöglich! So etwas konnte sich niemand einfach einbilden.

Plötzlich fasste ihm eine Hand auf die Schulter und erschrocken drehte sich Nico um. Nikola stand vor ihm, sie schien leicht übermüdet zu sein. Ihr sonst immer ordentlich gebundener Zopf hing schief und einige ihrer dunkelbraunen Strähnen hatten bereits ihren Weg nach draußen gefunden. Unter ihren sonst so lieblichen braunen Augen, die immer aufgeweckt und wach schienen, hatten sich dunkle Ringe gebildet.

„Ich haben Frühstück gemacht", sagte sie in ihrem süßen Ton. Immer kümmerte sie sich so liebevoll um andere. „Wo ist...?" Schon wieder traute sich Nico nicht, den Namen seines Vaters in den Mund zu nehmen.

„Sie haben ihn abgeholt", sprach Nikola nun mit ernster Stimme. „Er wird jetzt... untersucht. Sie wollen die Ursache für Tod herausfinden." Ursache? Die Ursache für seinen Tod war doch längst klar. Der Alkohol!

Mittlerweile wurde Nico immer mehr bewusst, dass sein Vater wirklich tot war. Es war eine unangenehme Stille im Haus. Dieses Alleinsein war ungewohnt und löste ein seltsames Gefühl in ihm aus, welches er nicht beschreiben konnte. Zu wissen, dass sein Vater hier drin gestorben war, war einfach...unwirklich und in gewisser Weise löste es auch ein Unwohlsein in Nico aus. Noch war Nikola da, die ihn stets wie eine Mutter behandelte. Aber auch sie musste bald nach Hause. Schließlich hatte sie ebenfalls eine Familie, um die sie sich kümmern musste. Es war die Einsamkeit, die Nico Angst machte. Dieses zukünftige, ungewohnte Alleinsein, wenn er von der HJ kam. Es klang merkwürdig, doch schon jetzt vermisste Nico die Streitgespräche. Immerhin war es fast das Einzige, was ihm von seinem Vater geblieben war.

Hätte er es ihm doch gesagt, wie sehr er ihn mochte. Dann hätte er es wenigstens gewusst. Gewusst, bevor er gestorben wäre. Hätte Nico es voraussehen können? Viele Menschen fielen dem Alkohol zum Opfer und nicht jeder starb an dessen Auswirkungen. Doch es war nicht möglich, alle Menschen gleich zu sehen. Jeder hatte einen eigenen Körper, einen eigenen Organismus. Nico hätte es nicht wissen können. Aber er hätte es vorhersehen können. Hätte es zu verhindern wissen sollen. Allerdings hatte er es nicht gewusst und hatte es auch nicht verhindert. Sein Vater war tot. Es war nicht rückgängig zu machen.

Das Frühstück nahm Nico kaum wahr. Er fühlte sich in einer Illusion, einem Alptraum, dem er einfach nicht entkommen konnte, egal wie sehr er sich bemühte. Als würde er ununterbrochen im Kreis laufen. Zwar aß er das Spiegelei, welches Nikola traumhaft zubereitet hatte, doch danach fühlte er sich genau so leer wie vorher.

Als Nikola den Teller daraufhin wieder abräumte, schien ihr noch etwas eingefallen zu sein. „Vorhin war...jemand hier...", wandte sie sich an ihn, musste allerdings nach Worten überlegen. Jemand war hier gewesen? Wer? „Wer?", fragte Nico eindringlich. „Ein...Mädchen."

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