- Kapitel 7 -

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Kapitel 7 - Zwischen den Ruinen 

Wortlos stand Joela da. Sie starrte ihn nur entgeistert an und versuchte herauszufinden, was Nico mit seiner Aussage wohl gemeint haben könnte.

„Komm mit", sagte sie schließlich knapp und deutete auf den kleinen Spalt der Ruine, aus welchem sie vorher herausgekommen war.

„Wohin?", fragte Nico. „Wohnt ihr da?" Joela antwortete mit einem Nicken und auch mit einem etwas skeptischen und fragenden Blick zugleich. Wahrscheinlich meinte sie so etwas wie: Wenn es dir nicht passt, kannst du ja auch wieder gehen.

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich Joela um und stieg in ihr Haus.

Nico wurde bewusst, dass die einzige Möglichkeit, um seinen Mantel zurückzubekommen, in diesem Spalt lag. Mit einem tiefen Seufzen begann er, sich ebenfalls seinen Weg zu bahnen. Die alten Ruinen ließen nicht vermuten, dass hier jemand lebte. Daher war dieser Wohnort für Juden gar nicht so schlecht gewählt.

Während er durch die Löcher kroch, fragte er sich, wie dünn und schmal die gesamte Familie sein musste, damit sie hier durchpasste. Er selbst war nicht dick und kam dabei wirklich an seine Grenzen. Ständig stieß er an den alten und kalten Mauern an. Joela war schon längst verschwunden.

Nun mündete der Pfad in einen Tunnel. „Schaffst du es?", fragte eine Stimme, die weit entfernt ertönte. Ganz klar Joela. Sie klang schon fast besorgt und gerade das gefiel Nico irgendwie. Er schien ihr nicht egal zu sein. Sonst würde sie doch nicht fragen, oder?

„Ja... ich denke schon. Gib mir einen Moment", antwortete Nico daraufhin, denn er wollte auch nicht als schwach abgestempelt werden. Nachdem er sich weiter nach vorn gekämpft hatte, griff Joelas Hand in die Tiefe. Aber Nico zögerte. Sollte er sie nehmen? War das nicht zu viel? Zu nah? Sie kannten sich nicht. Sie waren quasi Fremde. Aber was war andererseits schlimm daran, eine Hand zu nehmen? Es war nur eine Hand. Und sie diente zum Hochziehen. Nicht mehr. Und nicht weniger.

Schließlich entschied er sich aber, dass es besser wäre, die Hand zu nehmen. Seine Hand legte sich in ihre und Joela griff zu. Nico war erstaunt über die große Kraft, die in dem zarten Mädchen steckte. Sie zog ihn nach oben und er schaffte es, sich schlussendlich mit seinem ganzen Gewicht hochzuziehen. Der nächste Anblick löste Staunen in ihm aus. Es war erstaunlich, dass Joelas Familie es geschafft hatte, halb unter der Erde so eine Wohnung aufzubauen.

Richtige Gänge gab es nicht. Alle Räume waren irgendwie miteinander verbunden. Wenn es keine notdürftig eingebauten Türen waren, waren es alte, abgenutzte Vorhänge oder Teppiche. Die Möbel waren zwar aus Holz, hatten aber auch schon bessere Tage gesehen. Außerdem waren sie bunt zusammengewürfelt und der Belag blätterte stellenweise ab. Es konnte auch vorkommen, dass einfach ein Stück Schrank fehlte.

Alles in diesem Haus sah trostlos und verwahrlost aus. Die dominierenden Farben waren grau und braun - Luxus war eben nicht drin. Nicht für Juden. 

Joela hatte seinen skeptischen Blick bemerkt. „Guck nicht so... wir können uns einfach nichts Besseres leisten. Du bist wahrscheinlich besseres gewohnt", fuhr sie ihn etwas gereizt an, stieg aus ihren dünnen, viel zu sommerlichen Schühchen für diese Jahreszeit und stolperte zur Küche herüber. Dort machte sie ein Feuer. Ein richtig echtes, offenes Feuer. Das war etwas irritierend, es kam Nico so vor, als würde er in einer vergangenen Zeit leben. Normalerweise benutzte man doch heutzutage einen Ofen. Und auf die Feuerstelle setzte Joela dann einen Topf mit Wasser. „Ich hoffe du magst Tee?", fragte sie. Auf sein schnelles Nicken erwiderte sie: „Ich hoffe auch die arme Version. Mit viel mehr heißem Wasser als Geschmack."

Mit den Händen deutete sie zu einem der etwas klapprigen Stühle. Er sollte sich hinsetzen. Gut. Warum nicht? Da Nico Angst hatte, dass der Stuhl unter seinem Körper zusammenklappen könnte, wollte er lieber auf den Sitzplatz verzichten. Nur Joela zuliebe setzte er sich hin.  Nachdem sich Joela vergewissert hatte, dass er auch wirklich saß, wandte sie sich wortlos ab, als müsste sie ganz dringend auf den Topf über dem Feuer aufpassen.

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