Die lügende Wahrheit

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Als ich das Klassenzimmer betrete schaudert es mir. Stella steht mit ein paar anderen Mädchen im Raum, die mich mit verschränkten Armen ansehen.
»Was ist denn hier los?«, frage ich verdutzt, richte meine Tasche auf meiner Schulter zurecht und sehe zu Elly rüber, die mit wutentbrannter Miene neben ihrem Schreibtisch steht und die Hände zu Fäusten geballt hat.
»Nichts. Stella wollte gerade gehen.«, zischt sie und lässt das rothaarige Mädchen mit ihrer Clique nicht aus den Augen. Wer sind diese Mädels überhaupt? Ich habe die drei übertrieben auffällig gekleideten Mädchen noch nie auf dieser Schule gesehen.
Ich schlucke, als mich ein kalter Schauer übermannt. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich nun Angst vor Ellys starker negativer Schwingung, die sich immer mehr im Klassenzimmer ausdehnt.
»Ach, wollte ich das?!«, fragt Stella schnippisch zurück und stemmt eingebildet die Hände in die Hüfte. »Ich bin hier, weil dieses Miststück meint, sie könnte mir meinen Freund und zukünftigen Verlobten ausspannen.« Stella begutachtet mich herablassend von oben bis unten, während ich sprachlos dastehe und nicht weis, wie ich mich aus dieser unangenehmen Situation herausreden kann.
»Sie ist ein stinknormaler Mensch!«, empört rümpft das rothaarige Mädchen die Nase und ihre Clique nickt zustimmend, während auch sie mich missbilligend ansehen. Ich runzele die Stirn. Was soll diese Theatralik und wo bleibt der Lehrer?
»Ich rate dir dein freches Mundwerk zu halten, Stella!« Elly nähert sich ihr, sodass sie nur noch eine Handbreite voneinander entfernt sind. »Ich schwöre dir, wenn du jetzt nochmal dein Maul aufmachst, wirst du zutiefst bereuen nicht auf mich gehört zu haben.«
»Pff.«, Stella kichert los. »Soll sie es doch wissen.« Dann richtet sich ihr aggressiver Blick auf mich. »Weist du, diese Klasse hier und die halbe Stadt sind-«
»Werwölfe, Vampire und Hexen?«, unterbreche ich sie und Verwunderung huscht über ihr schönes kindliches Gesicht. Auch Elly steht nun wie angewurzelt da und schaut mich mit heruntergefallener Kinnlade an.
Ich wollte Elly eigentlich später auf dieses Thema ansprechen und ihr gestehen, dass ich über alles Bescheid weiß. Aber dieser Moment ist einfach zu perfekt. Alleine der Gesichtsausdruck von Stella, ihrer Gefolgschaft, Elly und der ganzen Klasse war es einfach nur wert genau diesen Moment genutzt zu haben. 
»Alisa ... was -?«
Ich zucke unschuldig mit der Schulter. »Drake hat mir meine Erinnerungen wieder gegeben.«
Elly und Stella schnappen gemeinsam nach Luft und fragen synchron: »Er hat was?!«
Wieder zucke ich mit den Achseln. Diesen lächerlichen Ausdruck in ihren Gesichtern lässt mich innerlich ungemein triumphieren und gönne mir für einen kurzen Moment den genüsslichen Anblick. Also lasse ich ein leichtes Lächeln zu, das aus der Tiefe meines Inneren hervorkommt. Wenn Stella meint, sie könne mir Angst einjagen oder mich bedrohen, dann hat sie sich gewaltig geschnitten. Zwar bin ich keiner dieser übernatürlichen Wesen, weis aber trotzdem meinen Standpunkt zu verteidigen. 
»Na u-und? Selbst wenn sie Bescheid weiß.«, Stella scheint immer noch verwirrt zu sein, versucht sich aber zusammenzureißen. »Dafür habe ich das hier.«
Das rothaarige Mädchen holt aus ihrer kleinen Handtasche einen, mir bekannten, Schlüsselanhänger hervor und wedelt damit vor meiner Nase herum. »Na? Erkennst du es wieder?«
Der silberne Lebensbaum funkelt mich an, als wolle er mich begrüßen.
»Woher hast du das?« Mein Lächeln vergeht mir direkt. Ich verstehe gerade gar nichts mehr. Wieso besitzt sie den Lebensbaum-Anhänger, den ich Drake vor einigen Tagen geschenkt habe?
»Ganz einfach. Drake hat ihn mir gegeben, weil ich ihn so schön fand. Jedenfalls, bis er mir erzählt hat, dass er dir gehört hat. Mensch, hat er sich über dich lächerlich gemacht.«, sie prustet los und ihre Mädels hinter ihr folgen mit höhnischem Gelächter. »Weist du was er mir erzählt hat?«
Mir wird schlecht vor Scham und ich sehe in die Klasse, die alle gebannt die unangenehme Konversation verfolgen.
Ich schüttele kaum sichtbar den Kopf und senke meinen Blick. Um ehrlich zu sein möchte ich jetzt einfach nur nach Hause. Ich hätte heute nicht in die Schule gehen sollen, auch wenn der Morgen super angefangen hat.
»Nun, er war nicht gerade nett, als er über dich sprach.« sie dreht sich zu eines ihrer vermeintlichen Freundinnen, als würde sie eine Bestätigung für ihren Satz suchen. Ein Mädchen mit gebräuntem Teint und schwarzer Bobfrisur nickt zustimmend, während eine Brünette unter ihnen sich gedankenverloren auf die Fingernägel schaut.
»Er war sogar richtig biestig. Drake sagte, dass er so eine wie dich niemals anfassen würde und du überhaupt nicht sein Typ wärst.« Stella sieht mich abschätzig an. »Außerdem hat er über deinen schäbigen Look geredet und dass du ein armseliges kleines Würmchen wärst, dass du hier her gezogen bist.«, sie verniedlicht sarkastisch ihre Stimme und umfasst mit ihren Händen schauspielerisch ihr Gesicht. Als würde es ihr eben nicht leidtun, was sie mir gerade sagt. Diese Worte versetzen mir einen schmerzerfüllten Stich in meiner Brust. Soll ich ihr diese Worte glauben? Hat Drake wirklich so heranlassend über mich geredet. Zweifel steigen in mir auf, bis mir der Anhänger wiederholt uns Auge fällt und sich etwas in mir verkrampft. Er war doch derjenige, der sich mir aufgedrängt hat. Er war doch derjenige, der mich meines ersten Kusses beraubt hat.
Soll ich wirklich glauben, dass das alles nur ein billiges Spiel war, um mich zu erniedrigen und sich über mich lustig zu machen? 
Stella grinst höhnisch, als sie in mein gedankenverlorenes Gesicht blickt. »Und küssen sollst du auch wie eine typische Jungfrau.« Sie spitzt ihre Lippen und küsst in die Lüfte, als alle aus der Klasse anfangen zu lachen. »Du bist so lächerlich, dass du denkst, dass Drake was von dir will. Er liebt mich!«
»Es reicht jetzt!«, schreit Elly sie an und schlägt ihr mit der Flachen Hand ins Gesicht. Die ganze Klasse holt erschrocken Luft. Das war unsanft. »Verschwinde, Miststück! Und lass dich hier nicht mehr blicken!« meine Freundin zeigt mit dem Finger zum Ausgang.
Wutentbrannt steht Stella da und ihre Clique hält sich schockiert die Hand vor den Mund.
»Das wirst du bereuen, du Schlampe.«, zischt sie.
Zu meiner Verwunderung tut Stella daraufhin genau das, was ihr befohlen wurde und geht zur Tür hinaus gefolgt von den hochnäsigen Hühnern. Vorher fügt sie noch lachend hinzu: »Er spielt nur mit dir, Mädchen.«

I will know how you taste Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt