1992
Nachdem die Gruppe Erstklässler mit Hagrid vorneweg den Bahnsteig verlassen hatten, wurde es um sie herum stockfinster, nur eine große Laterne, die der Wildhüter in der Hand hielt, sorgte für ein wenig Licht.
Während der Wildhüter die Erstklässler von Hogwarts einen schleimigen Trampelpfad hinabführte, stellte er sich den neuen Schülern vor, die ihn noch nicht kannten und erzählte ein wenig von sich selbst und von Hogwarts. Ginny selbst hatte Hagrid ein paarmal gesehen, als sie mit ihren Brüdern in der Winkelgasse unterwegs gewesen war, persönlich mit ihm gesprochen hatte sie jedoch nie.
Hagrid schob einige Schilfhalme auseinander und winkte den Schülern zu, die ihm nachgelaufen waren. „Wenn ihr um diese Biegung lauft, dann werdet ihr zum ersten Mal in eurem Leben Hogwarts sehen!", erzählte er stolz. Als die ersten Schüler um die Biegung liefen, ertönten laute, erstaunte und auch begeisterte Rufe.
Ginny reckte den Kopf, um über die vor ihr stehenden hinwegzusehen.
Und da war es.
Das Schloss selbst war riesig, es hatte eine unzählbare Menge an Türmen, Zinnen und Brücken. Aus einigen Fenstern leuchtete den Erstklässlern ein goldenes Licht entgegen, dass den darunterliegenden See in einem blassgelben Licht erstrahlen ließ.
Es war ein wunderschöner Anblick.
Dann entdeckte Ginny die Boote, die vor ihnen im Wasser des Sees trieben. Sie waren nachtschwarz und hoben sich kaum von der Wasseroberfläche ab.
„Nicht mehr als vier in ein Boot", wies Hagrid die Erstklässler nun an. Ginny nickte Tatia zu, die noch immer neben ihr stand. Gemeinsam setzten sich die beiden Freundinnen in eines der schwarzen Boote, Tatias Blick lag dabei noch immer auf dem riesenhaften Schloss. Ein leises Wow entschlüpfte den Lippen von Ginnys Freundin.
„Beeindruckend, was?", meinte die rothaarige. Tatia nickte wortlos.
Im selben Moment gesellten sich ein braunhaariger Junge, der ziemlich nervös wirkte und ein Mädchen mit weißblonden Haaren zu den beiden Freundinnen. Ginny musterte neugierig die beiden Neuankömmlinge.
Der Junge blickte sofort etwas ängstlich weg, als ihre Blicke sich trafen und rutschte unruhig auf seinem Sitzplatz hin und her, wohingegen das Mädchen Tatia und Ginny nacheinander kritisch musterte. Ihre weißblonden Haare hatte sie zu zwie Zöpfen geflochten, während sie mit ihren durchdringenden blauen Augen Ginnys Blick erwiderte. Der Blick des Mädchens war ihr irgendwie unheimlich. Nun war es die Weasley, die mit einem unwohlen Gefühl im Magen wegsah.
„Sitzen alle in den Booten? Alle da?", erscholl Hagrids Stimme von links. Ginny wandte den Kopf zu dem Wildhüter, der ein Boot für sich alleine hatte. „Nun denn. VORWÄRTS!"
Gleichzeitig, als wären sie ferngesteuert, setzten sich die Boote in Bewegung und tuckelten langsam auf das riesenhafte Schloss zu.
„Und wer seid ihr so?" brummte das Mädchen mit den weißblonden Haaren. Tatias Blick wanderte von dem Monument vor ihnen zu dem Mädchen. „Ich bin Tatia", stellte sie sich mit freundlicher Stimme vor und deutete dann auf Ginny. „Und das ist meine Freundin Ginny". Das andere Mädchen nickte bloß. „Kira" stellte sie sich vor, ihr Blick wanderte anschließend hinüber zu dem Jungen, der immer noch nervös wegstarrte. „Und du?" fragte sie ihn kurz angebunden.
Ihre Stimme klang ziemlich mürrisch, Kira schien ziemlich schlecht gelaunt zu sein. >>Wie kann man nur zu diesem Zeitpunkt schlecht gelaunt sein? Sie betritt gleicht zum ersten Mal Hogwarts und hat schlechte Laune? <<
Ginny musterte das Mädchen mit den weißblonden Haaren ein wenig ungläubig.
Der Junge sah Kira nicht einmal an, während er leise etwas vor sich hinmurmelte. „Du solltest vielleicht etwas lauter reden, damit wir dich auch hören!" meinte Kira angefressen und verschränkte die Arme.
„Ben...", murmelte der Junge und hob den Kopf. „Ich heiße Ben..." Kira zuckte mit den Schultern. „Geht doch", murrte sie, während Tatia dem Jungen etwas unsicher zunickte. „Schön dich kennenzulernen". Meinte sie und Ginny nickte zustimmend.
Ben blickte jedoch bloß schüchtern weg und schwieg.
„Vorsicht Leute! Köpfe einziehen" Hagrids Stimme zog erneut Ginnys Aufmerksamkeit auf sich. Die Boote hatten mittlerweile die Felsen des Schlosses erreicht und glitten nun unter einem Vorhang aus Efeuranken hindurch in einen Tunnel hinein.
Jetzt schwammen die Boote durch einen dunklen Tunnel, bogen um eine Ecke und dockten schließlich an einem unterirdischen Hafen an. „Na dann wolln wir mal.", meinte Hagrid, rieb sich enthusiastisch die Hände und stieg aus seinem Boot aus. Die Erstklässler folgten seinem Beispiel und reihten sich hinter dem Wildhüter auf, der die Gruppe anschließend einen felsigen Tunnelgang nach oben führte, bis sie auf einem breiten Pfad standen, der direkt auf ein großes Tor zuführte. Der Wildhüter hob seine Faust und klopfte.
Ginny musste zugeben, dass ihr das Herz ein wenig in die Hose rutschte, als sie bemerkte, wie das Tor sich langsam öffnete.
Hinter dem Eingangstor wartete eine ältere Hexe auf die Gruppe. Sie trug einen grünen Umhang und einen schwarzen Hut sowie eine Brille auf der Nase. Sie hatte einen strengen Gesichtsausdruck aufgesetzt, mit dem sie die Schüler einen nach dem anderen musterte. Ben, der rechts neben Ginny stand, entfuhr ein leises Wimmern.
Die Weasley hingegen schlussfolgerte aus dem Erscheinungsbild der Frau und den Geschichten ihrer Brüder, dass die Frau Professor McGonagall sein musste.
Die Hauslehrerin von Gryffindor.
„Die Erstklässler, Professor McGonagall", sagte Hagrid und deutete eine leichte Verbeugung an. Die Lehrerin nickte leicht, verzog dabei keine Miene, als sie jedoch zu sprechen begann, war ihre Stimme freundlicher, als Ginny erwartet hatte. Sie passte so gar nicht zu ihrer strengen Miene, wie die rothaarige fand.
„Danke Hagrid", sagte McGonagall und winkte die Schüler zu sich, während der Wildhüter zur Seite trat, um sie durchzulassen. Ginny blickte aufgeregt zu Tatia hinüber, die Professor McGonagall neugierig anstarrte. Die Weasley entdeckte außerdem Kira, die etwas weiter links von Tatia stand. Das weißblonde Mädchen verdrehte gerade genervt die Augen.
Als der letzte Schüler durch das Tor geschlüpft war, schloss sich die Pforte mit einem lauten Knall wieder. Professor McGonagall führte die Erstklässler nun in einen kleinen Raum am anderen Ende der großen Eingangshalle von Hogwarts. Die Hauslehrerin von Gryffindor erhob zum zweiten Mal die Stimme, nachdem sie die Türe der Kammer hinter dem letzten Erstklässler zugezogen hatte: „Liebe Schülerinnen und Schüler", sagte die Hauslehrerin mit lauter Stimme, „Mein Name ist Professor McGonagall und ich bin eine ihrer Lehrerinnen hier an der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei. In der großen Halle ist bereits das Festbankett zum Empfang aufgebaut und vorbereitet worden." Bei diesen Worten ertönte ein aufgeregtes Tuscheln und die Erstklässler blickten sich gegenseitig aufgeregt an. Ginny und Tatia tauschten ebenfalls aufgeregte Blicke. Mit einer Handbewegung sorgte McGonagall wieder für Ruhe und fuhr mit ruhiger Stimme fort, „Aber davor wird entschieden in welches Haus Sie alle kommen werden."
Da war es wieder, das mulmige Gefühl in Ginnys Bauch.
Sie schob es energisch beiseite. >>Es wird alles so kommen, wie es kommen wird << sagte sie sich. Wie hatte es Tom ausgedrückt? Egal wohin du kommst, du wirst dort bestimmt glücklich?
Tatia schien es ähnlich zu gehen, wie der Weasley, denn die braunhaarige hatte begonnen nervös auf ihren Fingernägeln herumzukauen. Ben auf Ginnys anderen Seite zitterte mittlerweile so heftig, dass er kaum noch stillhalten konnte.
„Die Häuser...", fuhr McGonagall fort, „Sind in Hogwarts so etwas wie Ihre Familie. Sie werden gemeinsam mit euren Hauskameraden Unterricht haben, in einem Schlafsaal schlafen, eure Freizeit in euren Gemeinschaftsräumen verbringen und beim Essen an einem Tisch sitzen." McGonagall hielt kurz inne: „Es gibt genau vier Häuser: Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw und Slytherin, jedes davon hat seine eigene Geschichte und jedes davon hat bedeutsame Hexen und Zauberer hervorgebracht.", ihr Blick flog über die Menge aufmerksam zuhörender Erstklässler. „Während Ihrer Zeit in Hogwarts könnt ihr für gute Leistungen Punkte holen, während euch für leichte oder schwere Regelverstöße wieder Punkte abgezogen werden."
Ginny nickte bloß, diese Tatsachen kannte sie alle aus den Erzählungen ihrer großen Brüder. „Am Jahresende bekommt das Haus mit den meisten Punkten den Hauspokal. Eine große Ehre", beendete Professor McGonagall ihre Rede. „Nun denn folgt mir. Die Einführungsfeier beginnt in Kürze." Die Professorin nickte zum Zeichen ihr zu folgen, öffnete die Türe der Kammer und geleitete die Erstklässler zurück in die Eingangshalle. Ginny folgte Professor McGonagall, die auf einen Gang Rechts vom Eingangstor zumarschierte, der zu einer weiteren, großen Holztüre führte. Diese zweite Türe war viel kleiner als das Eingangstor, aber dennoch so hoch, dass Tatia sich auf Ginnys Schulter hätte stellen können, ohne sich den Kopf anzuschlagen. Dieser Gedanke brachte die Weasley unwillkürlich zum Grinsen. Das Summen vieler hundert Stimmen schlug Ginny entgegen, als Professor McGonagall die Türe schließlich öffnete.
Die Große Halle selbst machte ihrem Namen alle Ehre. Sie war nicht nur groß, sie war riesig.
Knapp überhalb der Decke schwebten unzählige Kerzen und tauchten den Raum in ein warmes, goldenes Licht. Die Decke des Raumes bestand aus einem sternenklaren Nachthimmel, an dem die Sterne funkelten. Links und rechts von der Eingangstüre der großen Halle waren jeweils zwei Tische aufgebaut worden, an denen die älteren Schüler saßen und erwartungsvoll die Erstklässler beobachteten. Ginny entdeckte Fred und George an einem der Tische wie sie ihr Lachen zuwanken. Mit einem Grinsen im Gesicht erwiderte Ginny den Gruß ihrer Brüder.
Professor McGonagall führte die Erstklässler bis ans andere Ende der Halle. Dort stand auf einer Empore noch ein fünfter Tisch, an dem einige Erwachsene Männer und Frauen saßen. Das musste der Lehrertisch sein.
An diesem Tisch saßen bereits mehrere Lehrkräfte. Ginny erkannte Professor Lockhart aus Florish und Blotts wieder und auch Hagrid, dessen riesenhafte Gestalt deutlich größer war, als die aller anderen. Ein sehr kleiner Mann saß neben dem Wildhüter. Sie vermutete, dass das Professor Flitwick sein musste, der Lehrer für Zauberkunst. Neben Flitwick selbst saß ein älterer Mann mit langem weißen Bart und einer Halbmondbrille auf der Nase bei dem es sich höchstwahrscheinlich um Professor Dumbledore handelte, den Schulleiter von Hogwarts.
Rasch musterte sie die anderen Lehrer, doch deren Namen wollten Ihr partout nicht mehr einfallen. Ihr fiel auch auf, dass zwei der Stühle am Lehrertisch leer waren.
Sie vermutete, dass der eine für McGonagall bestimmt war, aber wer fehlte außer der Gryffindor- Hauslehrerin denn noch?
Die Weasley beschloss sich darüber später Gedanken zu machen.
Dann wanderte ihr Blick zu McGonagall die sich neben einem Stuhl aufgebaut hatte, der genau vor der Empore aufgestellt war. Auf dem Stuhl saß niemand, es lag lediglich ein alter, zerlumpter Hut darauf.
Die Gespräche in der Halle verstummten, als der Hut sich plötzlich bewegte. Tatia, die neben Ginny stand, gab einen leicht überraschten Huster von sich. Die Spitze des Huts zuckte hin und her, dann tat sich ein Riss an seinem unteren Ende auf. Es schien fast so zu sein, als würde der Hut seinen Mund öffnen. Ginny hörte Ben wieder leise wimmern. Der braunhaarige Junge schien wirklich vor allem hier große Angst zu haben.
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Das ist der Weg
Fantasy2016: Lily Luna Potter wacht eines Morgens in einer Zelle in Askaban auf? Was ist nur passiert? Wie ist sie nur hierhergekommen? Während Harry Potters jüngste Tochter verzweifelt nach einem Ausweg sucht, lernt sie eine geheimnisvolle Gefangene kenne...