ix. traum

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»Kalea!«, eine Stimme ruft nach der weißblonden Frau. Sie blickt an sich herunter, erst dann realisiert sie, dass sie steht. Das sie nicht mehr in den starken Armen von Geralt liegt.

Wo ist er? Wo ist sie?

»Geralt?«, ruft sie, doch ihr Ruf hallt nur durch den gespenstisch stillen Wald. Nicht, dass der Wald, in den sie mit Geralt gereist ist, weniger gruselig war. Doch hier ist sie allein, weit und breit ist weder was zu hören, noch zu sehen.

Kalea tritt einen Schritt nach vorne und zuckt zusammen, als sie einen Stock spürt, der sich schmerzhaft in ihre Fußsohle bohrt. Sofort zuckt sie zusammen. Ihr Blick gleitet ihren Körper hinunter, erst dann, fällt ihr auf, dass sie was ganz anderes trägt als vorher. Es ist weiß, beinahe wie ein Kittel, oder doch ein Kleid? Sie kann es nicht genau definieren, es erstrahlt so hell, dass sie es nicht lange ansehen kann, Tränen sammeln sich in ihren Augen und schnell löst sie ihren Blick. Ihre Augen fallen auf ihre Fußspitzen und nervös bewegt sie ihren Zeh. Panik kriecht ihren Körper empor, als wieder diese Stimme die Luft durchschneidet und ihren Namen flüstert.

Die Stimme kommt Kalea bekannt vor. So bekannt, wie ein Baby, was die Stimme der Mutter auch immer wiedererkennt. Weil ein Band zwischen ihnen herrscht, was nicht einmal der Vater durchbrechen kann. Doch diese Stimme ist nicht ihre Mutter. Das kann sie nicht, doch trotzdem geht Kalea alle Stimmen, durch die sie kennt.

»Luna?«, fragt sie dann leise. Ihre Stimme ist, leise, krächzig, so als hätte sie lange Zeit nicht mehr gesprochen. Doch jetzt ist Kalea sich sicher, diese Stimme stammt von ihrer besten Freundin. Sie kann sich nicht irren, doch warum hört sie ihre Stimme?

Was hat das alles zu bedeuten?

Kalea schließt ihre Augen, versucht, ihren Puls zu beruhigen, der enorm in die Höhe geschossen ist. Jetzt Panik zu kriegen macht keinen Sinn, sie muss versuchen einen klaren Kopf zu bewahren. So wie Geralt es immer tut.

Geralt... Hat er etwas damit zu tun? Hat er sie verlassen in dem Moment, wo Kalea sich am sichersten gefühlt hat? War das sein Plan, die ganze Zeit über schon? Wollte er sie nur zum Fraß vorwerfen, warum auch immer?

Geralt ist schwer zu lesen, schwer zu verstehen, was er denkt oder fühlt. Er imitiert den eiskalten, starken Mann. Immer und ausnahmslos, doch das kann nicht alles sein. Es muss so viel mehr dahinter stecken.

Automatisch tragen ihre Füße sie über den Boden, Äste, kleine Steinchen bohren sich in ihre Fußsohlen, doch an dem Schmerz, als die Kikimora sie gekrallt hat, kommt nichts ran. Als wäre sie sensibilisiert wurden, oder träumt sie nur?

Müsste sie dann nicht sterben, um aufzuwachen? Der Körper weiß nicht, was nach dem Tod geschieht, es löst im Traum eine Stresssituation aus und man wacht automatisch und mit einem Herzschlag auf, dass man meinen könnte, man hätte gerade an einem Halbmarathon mitgemacht.

Je weiter sie durch den Wald läuft, je hektischer sie sich umsieht, desto lauter wird die Stimme von Luna. Sie dringt von allen Seiten zu Kalea und sie dreht sich im Kreis.

»Luna, verdammt!« Sie rauft sich ihre Haare. Steht auf der Stelle und sieht sich um, die Stimmen überschlagen sich, kommen von links und rechts, dringen in ihr Ohr und machen sie verrückt. Der Ton wird immer lauter, es mischt sich ein nervtötendes Piepen dazu, was immer schneller wird. Kalea presst ihre Hand auf ihren Ohren, Tränen sammeln sich in ihren Augen.

Was passiert hier?

Ihr Kopf dröhnt, es fühlt sich an, als würde er in der nächsten Sekunde zerplatzen. Plötzlich spürt sie eine Hand auf ihrer Schulter, sie dreht sich um und...

Mit einem Schrei im Hals wacht sie auf, goldene Augen bohren sich in ihre Blauen. Erschrocken schnappt sie auf. Kalea braucht einige Sekunden um zu realisieren, dass sie sich zwar immer noch in einem Wald befindet, doch Geralt ist da, seine Hand hat sich um ihren Oberarm geschlossen, während er sie mit einer Spur Besorgnis ansieht.

another world- geralt von rivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt