xiv. delirium

1.3K 106 16
                                    

Ein Schrei steckt in ihrer Kehle fest, während sie einen weiteren Schritt nach hinten macht, jedoch nur auf einen weiteren Schädel tritt. Dieses Geräusch hallt ohrenbetäubend in ihren Kopf nach, obwohl er nicht so laut ist, doch die Panik die ihren Körper filtriert, lässt ihn so laut erscheinen.

»Kalea, beruhige dich.«

Geralt ist wieder angespannt. Bereit für einen Kampf. Doch für welchen Kampf.

»Beruhige dich? Wir stehen auf einem verdammten Grab, ich bin gerade auf zwei Schädel von Menschen getreten. Ich-«

Kalea steigert sich immer mehr in ihre Panik ein. Geralt tut etwas, was er gedacht hat, er würde es nie tun. Schon gar nicht freiwillig. Doch plötzlich zieht er die überforderte Kalea in seine Arme. Drückt sie an seine Brust und lässt zu, dass sein Wams sich mit ihren Tränen tränkt.

Ekel überkommt ihrem Körper, lässt sie wie Espenlaub zittern. Entstehen so vielleicht auch Monster? Indem Menschen über ihre Gräber spazieren, auf ihre Knochen treten, diese zerstören und ihre Totenruhe stören?

Wie eine Ertrinkende klammert Kalea sich an ihm fest. Spürt seinen Herzschlag unter seinem Wams, während sie seine Hände spürt die langsam, dann aber immer sicherer über ihren Rücken streichen. Einige Minuten stehen sie in dem totenstillen Wald, auf dem Grab. Selbst Plötze ist ruhig. Vorsichtig drückt Geralt Kalea ein Stück von sich, dennoch nimmt er seine Arme nicht von ihr. Jetzt kann er in ihr tränen verschmiertes Gesicht sehen. Ihre sowieso schon hellen Augen strahlen im noch intensiver entgegen.

»Wir müssen hier weg, bevor es zu spät ist«, haucht er.

»Zu spät für was?«, fragt sie zittrig, während sie in seinen goldenen Augen versinkt. Geralt löst seine Hand, streicht über ihre nasse Wange, klemmt eine lockere Strähne zwischen ihr Ohr.

Sie stehen auf einem Massengrab, doch haben nur Augen für sich. Denken nicht daran, dass unter ihnen Leichen liegen, die das, was sie gerade fühlen nicht mehr fühlen können. Weil ihnen die Seele genommen wurde, weil ihnen das Fleisch von den Knochen gerissen wurde. Auf eine schon fast perverse Art.

Geralt will antworten. Irgendwas. Doch diesmal bleiben ihm die Wörter tatsächlich im Hals stecken. Die Luft um ihnen herum ist aufgeladen, elektrisiert. Kaleas Lippen stehen leicht offen, während sie ihren Kopf in den Nacken gelehnt hat, in seine Augen blickt. Im verführerischen rosa schweben ihre Lippen vor seinen, laden ihn ein, ihre Lippen verschmelzen zu lassen. Seine Hand legt sich auf ihre Wange, erhöht den Druck, während er Kreise mit seinem Daumen auf ihrer weichen Haut malt.

Geralt brummt, zu was anderem ist er nicht möglich. Er will ihre Lippen schmecken. Sie so nah wie möglich spüren. Mit seinen Fingern über ihre weiche Haut streichen, ihren Puls spüren, so liebevoll liebkosen, dass er sich selbst damit verrückt macht. Er ist ihr so hoffnungslos verfallen. Kalea ist still, liegt in seinen Armen und hat sich noch nie glücklicher, sicherer gefühlt.

»Geralt«, haucht sie lieblich und sein Herz zieht sich bei dem Klang zusammen.

»Hm«, murmelt er, dann beugt er sich runter. Als hätte Kalea nur darauf gewartet, schließt sie voller Sehnsucht ihre Augen, als ihre Lippen fast schon zittrig aufeinandertreffen. Sie mag das Gefühl seiner warmen Lippen auf ihrer. Leise seufzt sie in den Kuss, schmiegt sich mehr an ihn, während er mutiger wird, seine Arme um Kalea legt und sie näher an sich heranzieht.

Der Kuss wird immer intensiver, beide tasten sich langsam vor. Erkunden das neue Gefühl, was zwischen ihnen entflammt ist, als sie sich geküsst haben. Vergessen ist, dass sie auf einem Massengrab stehen, dass die Menschen sich nicht mehr Küssen können.

Kalea öffnet ihre Lippen einen Spalt, sofort drückt Geralt seine Zunge in ihren Mund. Streicht über ihre Zunge, fordert sie heraus. Die beiden sind so sehr in ihrer eigenen Blase gefangen, dass sie die Gefahr die langsam immer näher kommt, einfach nicht bemerken. Erst als es zu spät ist.

another world- geralt von rivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt