xxxviii. yennefer von vengerberg

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Der Schmerz, den Kalea fühlt, als die schwarzhaarige Schönheit mit den lilanen Augen, die Lippen auf Geralts presst, ist noch schlimmer, als der Biss des Kikimora, dessen Narbe für immer Kaleas Wade zieren wird.

Ihr Herz setzt einen Schlag aus. Sie kann sich nicht bewegen und schon gar nicht kann sie den Blick davon abwenden. Obwohl sie in diesem Moment nichts lieber machen will. Schmerzvoll zieht sich ihr Herz zusammen, bevor sie es zerbrechen spürt. Noch nie in ihrem Leben hat sie sich so verraten gefühlt.

Waren seine Worte alle gelogen? Sein Blick war so rein, als er ihr die süßen Worte der Liebe ins Ohr geflüstert hat. Sie war sich sicher, dass er wirklich so für sie empfindet, doch warum küsst er wenige Minuten später eine andere? Vor ihren Augen?

Kalea will nichts lieber, als aus dem Raum zu stürmen, doch immer noch befindet sie sich nackt unter der weißen Decke. Sie bewegt sich keinen Zentimeter, als Geralt und Yennefer sich lösen.

»Yen...«, haucht Geralt verwirrt. Immer noch macht er keine Anstalten, sich von ihr wegzubewegen.

Yennefer streckt ihre Hand aus und streicht über Geralts Wange, die angespannt durch ihre sanfte Berührung zuckt.

»Es ist einige Zeit her«, flüstert sie.

Sie spricht zwar leise, dennoch hört Kalea jedes einzelne Wort. Wie Gift fließt es durch ihre Adern und verdirbt ihre Gedanken.

Kalea hat es gewusst. Dass es irgendwas gibt, das Geralt ihr nicht sagt. Die Anzeichen waren da und der Name Yennefer ist nicht nur einmal gefallen. Eigentlich kann es ihr auch egal sein, Vergangenheit ist Vergangenheit. Doch so vertraut wie die beiden miteinander umgehen, fühlt es sich nicht an, als wäre es Vergangenheit.

In einer Sekunde konnte Kalea nicht höher fliegen. Sie war glücklich. Glücklicher denn je, aber Hochmut kommt vor dem Fall. Vielleicht hätte Kalea die dunklen Wolken sehen müssen, die sich über die beiden aufgebraut hat. Doch sie war die Sonne in seinem System. Sie hat seine Welt strahlen lassen und hat die dunklen Wolken einfach nicht aufkommen sehen.

Tränen brennen in ihren Augen. Sie will nicht weinen, nicht vor Geralt und erst recht nicht vor Yennefer. Doch immer noch hat sie keine Notiz von ihr genommen. In diesem Moment ist alles egal. Egal, dass sie in dem Tempel nicht alleine sind. Egal, dass es hier durchaus auch Priesterinnen gibt, die es bestimmt nicht gerne sehen, wenn eine nackte Frau durch die Flure rennt. Doch das interessiert Kalea in diesem Moment nicht.

Sie will einfach nur flüchten. Sie weiß nicht wohin. Einfach weg von hier. Ganz weit weg von dem Mann, der ihr in der einen Sekunde seine Liebe deklamiert hat und in der anderen ihr Herz mit seiner bloßen Hand rausgerissen hat.

Ihre Bewegungen passieren automatisch. Kalea schlingt die weiße Decke um ihren nackten Körper und setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen. In ihren Ohren rauscht das Blut. Alles andere blendet sie aus. Vielleicht aus Selbstschutz. Vielleicht weil sie die Lügen nicht mehr ertragen kann.

Sie spürt Blicke auf sich, doch sie ignoriert sie, stolpert aus dem Raum hinaus, wo sie fast hinfliegt, weil die weiße Decke sich um ihre Beine schlingt. Verbittert beißt sie sich auf ihre Unterlippe. Sie darf nicht fallen. Nur keine Schwäche zeigen.

Kalea weiß nicht, wohin sie gehen soll. Sie flüchtet einfach und ihr ist dabei auch die Schönheit des Tempels egal. Sie hat ein Ziel vor Augen und das ist, so schnell wie möglich von Yennefer und Geralt wegzukommen.

Yennefer und Geralt. Geralt und Yennefer.

War sie so blind vor Liebe? Hat sie ihm einfach ihr Vertrauen geschenkt, was er nicht verdient hat?

Ihre Gedanken sind wirr. Ihre Augen brennen und ihr Herz schmerzt, aber sie will nicht heulen. Kalea will zeigen, dass sie eine starke Frau ist, dass es kein Mann ist, der sie zum Weinen bringt, aber in diesem Moment fühlt sie sich so schwach. Das Herz, das so voller Lebensfreude in ihrer Brust geschlagen hat, ist verkümmert.

another world- geralt von rivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt