xxxix. du wirst verstehen, meine sonne

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›Sie sind weg‹

Kalea hat zu keiner Sekunde der schwarzhaarigen Frau mit den lilanen Augen vertraut und dennoch wollte sie es. Sie muss rational denken, auch wenn es sich anfühlt, als würde jemand mit einem stumpfen, dreckigen Messer in ihr Herz stechen. Es langsam und so schmerzhaft drehen, dass sie spüren kann, wie es immer langsamer schlägt, bis es komplett aufhört zu schlagen.

Aber Familie ist für immer. Und vielleicht hat sie gehofft, dass Yennefer es auch so sehen würde. Dass ihre Zuneigung für Geralt so tief ist, dass sie auch das Wichtigste in seinem Leben schützen will. Doch das tat sie nicht – oder sie tat es, verfolgt aber ein nochmal anderes Ziel.

Kalea weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht einmal, wenn sie klar denken könnte, aber das kann sie nicht. Nicht, wenn der Mann, dessen schneller und kräftiger Herzschlag sie in ihrem Rücken spüren kann, so nah an sie sitzt, dass sie alles fühlt.

Erinnerungen ihrer gesamten Reise durchfluten ihren Körper, nehmen ihre Gedanken ein.

Sie kann alles noch so oft wiederholen, es zerdenken, bis ihr Kopf platzt. Es gibt nur eine Tatsache, mit der sie endet. Sie liebt Geralt. Sie hat noch nie so intensiv geliebt wie Geralt. Desto schmerzhafter ist der Verrat. Doch war es ein Verrat?

Seine Worte klangen so aufrichtig. Die Art, wie Geralt sie angeblickt hat, ihr die süßen Worte der Liebe geraunt hat. Sie will es glauben, aber etwas in ihr sträubt sich.

Liebe kann die schönste Emotion sein. Aber auch die Schmerzhafteste.

Doch auch wenn es sich so anfühlt, als würde ein riesiges Loch in Kaleas Brust klaffen, wo einmal ihr Herz gewesen ist, ist es das schönste, jemandem seine Liebe zu schenken. In Büchern oder Filmen kommt es einem immer so einfach vor, als könnte Liebe alleine ausreichen, doch das tut es nicht. Aber egal wie man es dreht und wendet, jeder braucht Liebe in seinem Leben.

Sie ist seltsam still geworden, während sie vor Geralt im Sattel sitzt. Ihr Rücken drückt sich gegen seine Muskeln und normalerweise würde sie sich über diesen Kontakt freuen. Aber nicht, wenn ihre Gedanken so eine Achterbahn fahren. Nicht, wenn sie daran denkt, wie Yennefer Geralt geküsst hat. Sie hasst diesen Besitzanspruch, der in ihr verankert ist, doch zählt es in ihrer Welt nicht schon als Fremdgehen?

Sie haben sich ihre Liebe gestanden und sein Blick, den er ihr dabei geschenkt hat, lässt sie wissen, dass er nicht gelogen hat. Aber hat das alles eine Chance? Bis heute weiß sie nicht, wie sie hierhergekommen ist und die Angst, was wirklich dahintersteckt, wird immer präsenter. Von Tag zu Tag wird die Frage in ihr größer, was das alles zu bedeuten hat. Und irgendwie glaubt sie, dass bald alles enden wird. Sie weiß nicht wie. Aber es wird enden.

Geralts Hand ruht auf ihrem Bauch und sie liebt dieses Gefühl, in seiner Umarmung gelehnt zu sitzen. Sie hat gelernt, das sachte Schaukeln des Pferdes zu lieben. Sie hat sich sogar damit abgefunden, schon wieder auf der Reise zu sein. Aber so ist es eben, wenn man den Kontinent retten will. Man kann es schwer aus der Ferne machen.

Wieder driften ihre Gedanken ab und sie denkt an die Erde zurück. An ihre beste Freundin Luna und das erste Mal vermisst sie sie wirklich. Kalea vermisst die alltäglichen Sachen, Autos und Busse, selbst die Hot-Dogs, die man einfach auf der Straße kaufen kann, die in Metallbehältern warm gehalten werden.

»Was bedrückt dich?«

Geralts warmer Atem prallt an ihrem Ohr ab, als er sich zu ihr gebeugt hat, sodass seine tiefe Stimme alleine zu ihr dringt. Auch wenn sie nur zu zweit sind, vor sich nur die unendlichen Weiten des Kontinents, auf der Suche nach Yennefer und Ciri.

Kalea und Geralt haben kein Wort mehr miteinander gewechselt und dennoch hat der Hexer sie vor sich auf den schwarzen Friesenhengst gehoben, bevor er hinter ihr aufgestiegen ist. Die Nähe tut ihr gut, auch wenn sie schmerzt.

another world- geralt von rivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt