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•J A Y D E N•

Wieso zerfließt die Zeit einem förmlich zwischen den Fingern, wenn man etwas tut, was einem Spaß macht und wieso fühlen sich 60 Sekunden in anderen Situationen an wie mehrere Stunden?
Zum Beispiel, wenn man nachts wachliegt und absolut nicht schlafen kann. Eine Minute dauert dann viel zu lange.
Genau wie damals in der Schule. Wenn ich daran zurückdenke...ich lasse es lieber.

Manchmal vermisse ich diese Zeit, aber meistens bin ich froh, dass sie vorbei ist.

Miles schläft wie immer und ich liege wach und mein Gehirn lässt sich einfach nicht abschalten. Manchmal wäre es mir am liebsten, ich könnte es aus meinem Kopf nehmen, es auf den Nachttisch legen und am nächsten Morgen wieder einsetzen. Wäre doch echt praktisch oder? Zumindest wäre man nachts von diesen nervigen Gedanken und Diskussionen, die sowieso zu keinem Ziel führen, erlöst.

Ich muss schmunzeln, als meine Gedanken nun zu Bryce' zweifelhaftem Versuch schweifen, Ben die Geschichte von Bienchen und Blümchen zu erklären.
Dieser hat sich offensichtlich halb zu Tode geschämt, obwohl er laut seiner eigenen Aussage sowieso schon alles weiß. Das wäre bei der Jugend heutzutage nichts Neues.

Ich bin gespannt wie es wird, wenn Miles bald im Urlaub ist und ich alleine hier mit seiner Familie wohne.
Ein Problem wäre es nur, wenn Bryce wirklich Gefühle entwickeln sollte. Auch wenn ich mir nach wie vor nicht vorstellen kann, dass Bryce dazu in der Lage ist. Außerdem hat er nach wie vor etwas mit Lexi am Laufen oder?
Ich habe schon gemerkt, dass hinter seiner Fassade weit mehr steckt, als er nach außen präsentiert. Doch es darf nicht passieren, dass er wenn auch nur wenig Gefühle für mich hegt. Das würde in einer Katastrophe enden.

Am nächsten Morgen schrecke ich durch ein Klopfen an der Tür auf. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich zwischen den ganzen Gedanken in meinem Kopf doch irgendwann eingeschlafen bin.

Ich ignoriere das Klopfen und halte meine müden Augen geschlossen, bis neben mir plötzlich Geschrei ertönt.
"Na warte, du kleine Ratte", meint Miles und stößt Benni von sich runter, nur um dann eine Kitzelattacke auf ihn zu starten. Verstört beobachte ich die Rangelei neben mir, bis beide irgendwann k.o. zusammenbrechen.
"Ich soll euch zum Frühstück holen. Und Oma hat angerufen, Miles. Du sollst sie später mal zurückrufen. Irgendwas wegen Weihnachten oder so", teilt Benni schließlich atemlos mit.

Ich drehe mich um und greife nach meinem Handy. Dabei erhasche ich einen Blick auf die offen stehende Tür und Bryce, der gerade daran vorbeigeht und mir einen kurzen Blick zuwirft.

Nun greife ich mir mein Handy und sehe eine Nachricht von Jordan.
Er fragt, ob wir uns später mal treffen können. Er würde gerne mit mir reden. Ich sage ihm zu und frage ihn nach einem Treffpunkt und der Uhrzeit.

Kurz nach dem Frühstück mache ich mich auch schon auf den Weg, um mich mit Jordan zu treffen.

Es dauert nicht lange, da hält der Bus vor dem Einkaufszentrum und ich laufe zielstrebig auf das Café zu, vor dem Jordan bereits schon auf mich wartet.

Jordan drückt mich kurz und schiebt mich dann eine Armeslänge von ihm weg.

"Wie siehst du denn aus?"
Er mustert mich kritisch.
"Ach, ich lag irgendwie die halbe Nacht wach, weil mein Gehirn mal wieder meinte es müsse um die Uhrzeit in Erinnerungen des Tages schwelgen und sinnlose Diskussionen mit sich selbst führen", antworte ich ihm, während er mich zu einem Tisch in dem Café dirigiert.
"Oh ja, das kenne ich zugut", murmelt er eher zu sich selbst.
Er nimmt die Speisekarte und breitet sie vor uns auf dem Tisch aus, bevor er beginnt sich die verschiedenen Eisbecher darin anzuschauen.

Ich beginne ihn von der Seite her zu mustern. Erkenne deutliche Unterschiede zu früher. Mein Blick stoppt an einer blassen Narbe an seiner Schläfe. Vermutlich würde sie einem Außenstehenden nichtmal auffallen, wenn er nicht darauf hingewiesen wird.

"Komm schon Jay. So kann es doch nicht weitergehen", meint Jordan und stützt sich mit seinen Händen neben mir auf dem Schreibtisch ab.
"Ich muss für die Prüfungen lernen, Jordan. Das wirst du schon verstehen, wenn du auch in die Situation kommst. Mir ist einfach nicht danach", erwidere ich leicht genervt. Er versteht einfach nicht, dass ich die Prüfungen nicht unbedingt nur bestehen will, sondern auch eine gute Bewertung erzielen möchte. Er hat vielleicht nicht so hohe Anforderungen an sich selbst, was Noten angeht, aber ich schon.
"Ist das dein Ernst? Wir hatten schon seit fast drei Monaten keinen Sex mehr. Hallo? Du weißt, dass mir deine Nähe sehr wichtig ist. Und stattdessen sitzt du fast den ganzen Tag hier und lernst. Du brauchst doch auch mal eine Pause".
Ich lege den Stift beiseite, wende mich ihm zu.
"Dann lass uns gemütlich einen Film schauen okay?"
Wir einigen uns darauf, gammeln uns auf das Sofa und schalten uns Harry Potter an. Ich mag die Filme sehr.
Während dem Film beginnt Jordan an meinem Hosenbund zu fummeln.
"Hey, lass es", meine ich und schupse seine Finger weg.
"Ach man Jay, komm schon", er schmollt förmlich, als er mir einen enttäuschten Blick zuwirft.
"Du checkst es echt nicht oder? Ich hab einfach keine Lust okay?"
Ich stehe vom Sofa auf, will mir etwas zu trinken holen, als Schritte hinter mir ertönen, Jordan seine Arme um mich schlingt und mich an sich drückt.
Ich spüre deutlich seine Erregung an meinem Hintern.

Während dieser kurzen Ablenkung bahnt sich seine Hand einen Weg in meine Hose.
"Hör jetzt auf!"
Meine Stimme wird laut, als ich seine Hände von mir reiße und ihm einen Schupser nach hinten gebe. Allerdings wende ich dabei mehr Kraft an, als geplant.
Er stolpert nach hinten über ein Bein des Sofatischs, versucht sich abzufangen, doch landet mit seinem Kopf auf einer Kante des Sideboards, auf welchem der Fernseher seinen Platz gefunden hat.

Erschrocken und schockiert sehe ich dabei zu, wie er sich mit der Hand die Stelle bedeckt, die von der Kante getroffen wurde.
"Oh Gott", murmle ich und bewege mich mit zittrigen Händen auf ihn zu.
"Es tut mir leid. Ich wollte nicht...oh Gott", ich nehme seine Hand von der Stelle und sehe das Blut daran.
"Es tut mir so leid", flüstere ich, nehme ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und will damit die Blutung stillen, doch er stößt mich von sich, steht auf und verschwindet ohne ein weiteres Wort aus dem Raum.

"Jay ist alles in Ordnung?", Jordans Stimme reißt mich auf meinen Gedanken. Er sieht mich mit besorgten Blick an.
"Ja, alles gut. Was nimmst du?"
"Den Eisbecher hier. Willst du auch was?
"Ich glaube, mir reicht ein Wasser. Hab gerade erst gefrühstückt", antworte ich. Er zuckt mit den Schultern und bestellt dann bei einer Kellnerin, bevor er sich mit wieder zuwendet.
"Jay, ich will ehrlich zu dir sein und deshalb wollte ich mit dir reden. Um nicht lange im den heissen Brei zu reden...ich habe Eric und Bryce etwas von unserer Vergangenheit erzählt. Es ist ein Teil von mir und auch von dir und es hat mir geholfen darüber zu reden, um mir auch selbst verzeihen zu können.  Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, aber du hast verdient es zu wissen, immerhin geht es auch um dich."

"Ich danke dir, dass du es mir gesagt hast. Es ist jetzt auch nicht so, als würde ich mich dafür schämen, dass die anderen es wissen. Man kann es nicht mehr ändern", antworte ich ihm.
Wenn es ihm hilft darüber zu reden, dann soll er es machen. Jeder muss seine eigene Art an Therapie rausfinden und wenn das seine ist, dann ist es so.
Unangenehm ist mir das wirklich nicht, immerhin haben Bryce und Miles auch alles mit Derek mitbekommen. Also sie wissen bereits, dass bei mir so einiges los ist und offensichtlich schiefläuft. Mir muss vor ihnen nichts mehr peinlich sein. Zumindest was das Thema angeht.

incandescencing

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