11 - Sicily

1.3K 74 16
                                    

Ich bin wütend auf Nacer, weil das Wohlergehen seines Freundes ihm so egal ist. Die Konstrukteure sind nicht das wichtigste auf dieser Welt, aber das ist diesem Kerl so egal, dass es mein Blut zum Kochen bringt. Es ist vielleicht sein Job, aber manchmal muss man eben darüber hinwegsehen können. Ich möchte nur, dass es Pasque gut geht. Nacer ist bei mir eingezogen, damit er sich um Pasquale kümmern kann. Und nun ist es ihm einfach egal. Ich streiche mein Hemd zum hundertsten Mal glatt, während ich pro E-Mail heute zehn Minuten länger brauche. Telese wirft mir einen prüfenden Blick zu, während sie mir eine Haarsträhne hinter das Ohr streicht.

„Es ist doch gut für das Geschäft, wenn er einige wohlhabende Menschen mitbringt, Sisi", versucht sie mich zu beruhigen. Es sind auch nicht ihre Eltern, welche da jede Sekunde aufkreuzen sollten. Heute ist ihr letzter Tag in London und natürlich musste mir Nacer einmal mehr in den Rücken fallen und eine ganze Truppe an Menschen mitnehmen, welche ich nicht ausstehen kann. Ich versuche zustimmend zu brummen, sodass sie sich wieder ihrer Arbeit widmet, während ich mich darum kümmere, neue Gäste zu ihren reservierten Tischen zu bringen und einen großen für die Truppe aufstellen zu lassen. Natürlich mussten sie sich einen Platz beim Kamin wünschen, wo sonst nur Tische für Paare stehen, da es dort für diese am romantischsten ist. Ich presse die Lippen bei diesem Gedanken zusammen. Gäste sind Gäste und egal wie wenig ich einzelne Individuen nicht für sympathisch halte, sie bringen Geld ein. Geld, welches in letzter Zeit immer nötiger ist und welches ich immer mehr brauche, weil die Kasse dieses Restaurants langsam knapp wird, wenn wir nicht beginnen, mehr Ansehen zu gewinnen und dadurch automatisch mehr Umsatz zu machen.

Mein Herz bleibt beinahe stehen, als es Zeit wird, die neuen Gäste zu begrüßen und zu ihren Plätzen zu führen, als die Gruppe durch die Tür kommt. An der Spitze sind meine Eltern, welche so neutral und säuerlich aussehen, wie in jedem anderen Moment ihres Lebens – außer vielleicht, wenn sie sehen, dass mein Bruder dabei ist, ein Rennen zu gewinnen. Hinter ihnen ist der Lakai höchstpersönlich, welcher mir zur Begrüßung sogar zulächelt. Dann kommt eine Reihe an Managern und Freunden, welche alle in einem Team arbeiten. Weil sie alle Anzüge oder ein Kleid tragen, kann ich bei einzelnen Gesichtern nicht genau zuordnen, zu wem sie gehören. Das erinnert mich an den Fakt, wie wenig ich mich eigentlich mit dem auseinandersetze, was meine Familie macht und worin sie verwickelt sind. Ich führe die Gruppe erst zur Garderobe, welche heute noch praktischer ist als sonst. Wenn es regnet, bleiben dann nämlich die nassen Kleidungsstücke größtenteils bei der Türe und die Wasserlachen der austropfenden Mäntel und Jacken sammelt sich nicht über dem Boden, sondern in der Garderobe, wo es Wasserbehälter hat, welche die Feuchtigkeit aufsammeln sollten.

Als Schlusslichter der Gruppe, welche aus ungefähr dreißig Leuten besteht, betreten Pasquale und Nacer den Raum. Wie automatisiert bleibt mein Blick an Nacer hängen. Er überragt die meisten anderen um wenige Zentimeter, obwohl er selbst nicht allzu groß ist. Seine Haltung lässt ihn so kalt und bestimmt wirken, dass mir manchmal ein wenig das Blut in den Adern gefriert, weil ich seine Positionen gegenüber gewissen Themenbereichen nicht einschätzen kann. Nacers rostbraune Augen begegnen meinen und mein Atem stockt. Sein Blick ist so intensiv und fängt mich voller Wucht auf, obwohl ich keine bestimmten Emotionen in ihm erkennen kann. Nicht Reue, nicht Schuldbewusstsein und vor allem kein Gewissen. Ich benetze meine Lippen und reiße den Blick wieder von ihm los, ehe ich Pasquale ein sanftes Lächeln schenke, welches aufgesetzt wirkt. Meine schlechte Laune gegenüber Nacer senkt mein allgemeines Vermögen, glücklich zu sein so tief in den Boden, dass ich nicht einmal mehr aufrichtig lächeln kann, ohne tief in meinem Inneren eine gewisse Wut zu verspüren.

„Bringst du uns zu unseren Plätzen, Schwesterherz? Wir freuen uns alle darauf, endlich bei dir speisen zu dürfen", reißt mich Luciano aus meinen Gedanken, was mich für einige Sekunden verwirrt. Dann zucken meine Mundwinkel, weil mir seine Neugier im Bezug auf mich ausnahmsweise gute Laune bereitet. Ich weiß selbst nicht, wieso es mir so wichtig ist, ihm nicht egal zu sein. Vermutlich, weil ich mich an den Gedanken gewöhnt habe, dass er immer und überall im Mittelpunkt steht und die Bühne für sich beanspruchen kann, egal was kommt. Aber jetzt steht er da, meine Eltern neben ihm, und sie wirken alle aufrichtig neugierig. Ich verfluche mich selbst dafür, dass ich mich von diesem stolzen Gefühl in mir selbst leiten lasse und nicke.

„Natürlich", antworte ich, ehe ich den Weg zu dem Tisch zu weisen beginne. Es ist zwar kein Kunstwerk, dort hinzukommen, aber es zeugt von Höflichkeit, wenn ich mich persönlich um die Gäste kümmere. Außerdem liebe ich das. Es sind die kleinen Interaktionen und Gesten, die so viel ausmachen können. Während sich alle setzen und ich ihnen Karten austeile, bleibt Nacers Blick stets auf mir. Er wartet geduldig, bis meine Arbeit an diesem Tisch erledigt ist, ehe er aufsteht, um mir hinterherzugehen. Die meisten seiner Freunde sehen ihm verwirrt hinterher – vermutlich lesen sie einfach keine Zeitungen und haben noch nichts von unserer „Beziehung" erfahren.

„Kann ich bei irgendetwas behilflich sein?", frage ich höflich, als ich wieder an meinem kleinen Empfangstresen stehe und die Reservation 65 von meiner Liste streiche.

„Lass die Höflichkeiten sein. Es hört niemand zu."

„Dann verschwinde", bringe ich leise hervor und kralle meine Finger um den Kugelschreiber. Mein Blut kocht jedes Mal, wenn ich ihn sehe. Ich hasse ihn dafür, dass es Pasquale in derartige Gefahr bringt.

„Du hast mich eingeladen, Sicily."

Ich schnaube.

„Wir hatten eine Abmachung. Du wohnst bei mir. Ich denke, dass ein Essen hier nicht zu viel verlangt ist. Ich meinte, dass du von mir verschwinden solltest, nicht von hier."

Nacer löst meine Hände von dem Kugelschreiber und nimmt sie in seine, während er sie sanft zu massieren beginnt. Ich weiß, dass er das alles nur für die Öffentlichkeit tut, und ich hasse es. Ich wünschte, dass er diese Pseudo-Freundlichkeiten bleiben lassen könnte.

„Das fechte ich auch gar nicht an. Ich wünsche mir viel eher, dass wir endlich aufhören könnten zu streiten."

Ich lege meinen Kopf schief und starre Nacer nieder.

„Meinst du das ernst? Er ist dein bester Freund!"

Nacer benetzt seine Lippen, während er um seine Fassung zu ringen scheint.

„Was ist er eigentlich für dich, dass du so erpicht darauf bist, ihn zu beschützen? Er ist ein erwachsener Mann, Sicily. Bist du verliebt in ihn? Ich verstehe nicht, was du für ein Problem damit hast, dass er seinen Job erledigen möchte."

Mein Atem stockt, während eine ganz neue Art von Zorn durch meine Adern pumpt. Natürlich versteht er das alles nicht. Pasquale ist für mich mit Telese zusammen alles, was ich an Bezugspersonen habe. Meine Familie würde mich vermutlich gegen jeden ernsthafteren Formel 1 Fan austauschen, der keine anderen Träume oder Wünsche im Leben hat. Pasquale hat mich immer unterstützt – zumindest auf emotionaler Ebene. Nacer kann das alles egal sein, weil er für sich selbst ja schon bestimmt hat, niemals jemanden an sich heranzulassen. Niemals zu lieben. Ich liebe Pasquale schon, aber nicht so, wie Nacer es vermutet. Ich liebe ihn wie einen besten Freund, wie einen richtigen Bruder – also nicht so wie Luciano.

„Nacer, ich denke, dass du an deinen Tisch zurückgehen solltest. Aber damit du es auch sicher weißt – ich bin nicht verknallt, sondern mache mir nur Sorgen. Wenn dir nicht alles so egal wäre, könntest du das vielleicht nachvollziehen."

Und damit geht die Situation mit den beiden weiter 😌😕...

Mögt ihr Nacer und Sicily bisher 🤔?

Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat (auch wenn es ein bisschen später gekommen ist als sonst 😬, ich hätte nämlich beinahe ein viel späteres Kapitel gepostet, weil ich nicht mehr wusste, wie viel ich geupdated habe 😂🤦‍♀️)!

Bis zum nächsten Kapitel 😘

Racing HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt