4 - Nacer

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Ich befürchte, dass sie heute nicht auftaucht. Vermutlich will sie mir damit eine auswischen. Ehrlich gesagt gibt es subtilere Arten, jemanden um eine Wohnung zu bitten, als wie ich das angestellt habe, aber ich kann meine Taten nicht rückgängig machen. Ich habe ihr einen Kaffee und Schokolade gekauft, um mich für meine aufdringliche Haltung gestern zu entschuldigen. Eigentlich tut es mir nicht leid, aber ich sollte mich trotzdem dafür entschuldigen, weil sie genervt ausgesehen hat und ich meinen Willen niemals erlangen werde, wenn sie mir die Hölle heiß machen möchte. Ich muss mich eben einschmeicheln, wenn ich Erfolg haben möchte. Bloß bringt mir das alles nichts, wenn sie nicht auftaucht, um mir aus dem Weg zu gehen.

Ich bin kurz davor, die Schokolade an eine gutaussehende Krankenschwester zu verschenken, als Sicily dann doch auftaucht. Sie kommt direkt auf mich zugelaufen, während ein breites Grinsen auf ihren Lippen tanzt. Natürlich bedeutet das für mich nichts Gutes. Sicily delektiert sich daran, mir Schwierigkeiten zu bereiten. Ich habe keine Ahnung, wieso sie diese Charaktereigenschaft entwickelt hat, aber es nervt mich ungeheuer. Sie stiftet nichts anderes als Probleme, was ich weiß, auch ohne die Freude gehabt zu haben, ihr in den letzten paar Jahren häufig über den Weg zu laufen.

„Ein wunderschöner Tag, findest du nicht auch?", will sie wissen. Aber sie wartet meine Antwort gar nicht ab, sondern rauscht mit ihren voluminösen, schönen Haaren davon, als wäre ich nichts weiter als ein Zwischenstopp. Ich atme tief durch, um mich selbst zu beruhigen. Sie spielt die Sache runter und ignoriert meine Bitte, um mich zu provozieren. Ich werde mich nicht provozieren lassen. Ich habe so lange und so hart trainiert, damit mir in der Öffentlichkeit nicht die falschen Dinge ausrutschen und ich schmeiße das nicht alles über Bord, nur weil sie sich dazu entschieden hat, eine Zicke zu sein.

Ich warte wie ein Idiot zwanzig Minuten auf diesem Gang, was mir so einige fragende Blicke von den Krankenschwestern und Ärzten einholt, die mich vermutlich am liebsten aus dem Krankenhaus werfen würden. Natürlich geht das nicht, nachdem ich mich extra erkundigt habe, wo vor der Tür der Sicherheitsdienst steht, um niemandem vom Personal im Weg zu sein und nachdem ich mich extra an diesem Punkt positioniert habe, damit sie mich nicht wegen einer störenden Wirkung wegschicken können, solange ich hier stehe. In Krankenhäusern gibt es nichts, womit man sich die Zeit vertreiben könnte. Alles ist in einem schlichten weiß gehalten, sauber und riecht nach Desinfektionsmittel, auch wenn es hier drin viel eher nach dem Tod riechen sollte. Gibt es einen Ort, an welchem mehr Menschen sterben als in Krankenhäusern? Vermutlich Altersheime.

„Oh, Nacer, du bist ja noch immer hier", stellt Sicily überrascht klar, während sie mich mustert. Ich nehme nicht an, dass sie tatsächlich geglaubt hat, mich so schnell loswerden zu können.

„Ich habe dir Kaffee und Schokolade mitgebracht", übergehe ich ihre provokative Stimmung. Das soll sie bei jemandem versuchen, der dieses Spiel noch nicht tausende Male gespielt hat. Ich kann sie viel besser in den Wahnsinn treiben als sie mich. Ich hoffe nur, dass sie das auch selbst weiß, ehe sie so ein Spiel beginnt.

Sicily nimmt beides entgegen, ohne sich zu äußern. Verdammt, sie sagt nicht einmal, ob sie den Kaffee mag, als sie einen Schluck davon probiert. Stattdessen legt sie nur den Kopf schief und mustert mich eingehend. Was sie sich davon verspricht, ist mir ein Rätsel. Sie hat schon vor langer Zeit aufgegeben, mich zu ergründen. Wir wissen beide, dass an diesem Tag der Realisation auch die Freundschaft zwischen uns zersplittert ist. Nicht, dass wir das Bedürfnis gehabt hätten, das auf irgendeine Art in Ordnung zu bringen. Deswegen sind wir nun auch wie Fremde, obwohl ich früher sogar gewusst hätte, welche Marmelade sie sich am liebsten auf ihr Brot schmiert. Brombeermarmelade.

„Hat man dir eigentlich keine Manieren beigebracht?", bringe ich nach einigen Sekunden hervor, um ihre stille Phase des Starrens zu unterbrechen. Ein Danke wäre nicht zu viel verlangt gewesen. Doch Sicily zuckt nur mit den Schultern.

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