32 - Nacer

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Sicily wirkt in dem Raum, welcher für die Befragung bereitgestellt wurde, so klein. Dass sie hier ist und dass man versuchen wird, ihr Dinge aufzuschieben, welche sie nicht zu verantworten hat, lässt mein schlechtes Gewissen von Neuem aufflackern. Ich hätte Pasquale niemals sagen dürfen, dass es in Ordnung ist, sie hierhin zu bringen. Ihr Blick huscht immer wieder durch den Raum. Ihre Finger tippen ungeduldig auf dem Tisch vor ihr und ich habe sie schon unzählige Male schlucken sehen. Sie ist nervös und hat Angst. Ich hätte es verhindern können. Sicily ist heute im Flugzeug mein Anker gewesen und ich bin dafür verantwortlich, dass sie in eine Sache reingezogen wird, welche nichts mit ihr zu tun hat.

„Guten Morgen", begrüßt uns einer der zuständigen Cops. Er nickt mir zu, setzt sich dann aber gegenüber von Sicily an den Tisch. Er hat mir vorher persönlich erlaubt, bei den ersten paar Fragen dabei zu sein, während ich bei den nächsten verschwinden muss, weil ich sonst vielleicht ihre Antworten beeinflussen könnte.

„Miss Vultaggio, korrekt?", fragt er Sicily. Sie nickt und streicht sich die Haare über die Schultern. Meine Finger beginnen zu kribbeln. Ich hätte die Haare niemals anfassen sollen. Sie sind nämlich samtig wie Seide und eine absolute Gefahr für meinen gesunden Menschenverstand. Ich würde sie am liebsten wieder zwischen meinen Fingern zwirbeln, aber das kann und werde ich mir nicht erlauben. Distanz ist das höchste Gebot, wenn es darum geht, meine eigenen Regeln einzuhalten. Sicily darf keine Ausnahme sein. Besonders sie nicht.

„Ja."

Ihr Blick huscht kurz zu mir und ich erkenne darin, wie unsicher sie ist. Es macht ihr Angst, dass sie nicht einschätzen kann, was sie erwartet. Der Polizist stellt weitere Fragen zu ihren persönlichen Angaben, wie ihr Geburtsdatum, ihren Geburtsort und weitere Dinge, welche keine große Relevanz zu haben scheinen. Zumindest nicht für diese Befragung. Ich selbst mache mir innerliche Notizen, damit ich ihren Geburtstag auf gar keinen Fall vergesse. Ich muss vorher unbedingt herausfinden, was ihr Lieblingskuchen ist.

„Was für eine Beziehung haben Sie zu Mr. Veenstra?"

Ich halte die Luft an. Verdammt, ich hätte damit rechnen müssen, dass solche Fragen kommen. Sie darf hier nicht lügen, damit würde sie sich strafbar machen.

„Wir sind ein Paar", entgegnet sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Meine Herzfrequenz schießt in den Himmel. Verdammt, das ist ein schlechtes Zeichen. Ich möchte sie anschreien, ihr befehlen, dass sie aufhören sollte, sich in die Scheiße zu reiten. Das ist dieses Schauspiel zwischen uns nicht wert.

„Wie lange schon?"

„Seit der Sommerpause ist es offiziell so."

Er macht sich Notizen und Sicily spielt mit ihrem Armband. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Ich kann nicht klar denken, wenn sich alles in mir darum dreht, dass ich ihr das nie hätte antun dürfen. Dass sie wegen mir lügt. Dass sie sich wegen mit strafbar macht.

„Wie lange kennen Sie Mr. Veenstra schon?"

Sicily wirft mir wieder einen Blick zu, diesmal umspielt ein Lächeln ihre Lippen.

„Beinahe mein ganzes Leben. Früher, als ich noch mit meinem Bruder unterwegs war, vor allem während den Kart-Rennen, habe ich Nacer unglaublich oft gesehen. Wir hatten schon immer eine besondere Bindung."

Ihre Augen sind warm, als sie meine finden. Der Cop sieht zwischen uns hin und her und fragt sich vermutlich, was für ein schnulziges Leben wir haben. Dabei ist das alles nichts weiter als eine Lüge. Ich habe nie etwas Besonderes mit ihr geteilt. Außer vielleicht, als ich ihr versprochen habe, dass ich niemals mehr jemanden nahe an mich heranlassen würde. Sie war die Einzige, welcher ich das alles direkt ins Gesicht gesagt habe. Sie ist neben mir gestanden und hat die Statue mit einem so kindlichen und neugierigen Blick angesehen, dass es mir beinahe den Atem geraubt hat. Das förmliche Abbild der Geschichte, welche den Kampf widerspiegelt, während man von Trauer und Verlust erfüllt ist. Den innerlichen Kampf, welcher niemals Wunden oder Narben zeigen wird, weil er nicht auf der Haut, sondern in uns lebt und wütet. Nichtsdestotrotz erlebt man den Schmerz. Man sucht nach Narben, weil diese meistens Erinnerungen an die Missgeschicke sind, gleichzeitig aber auch Erinnerungen daran, dass man überlebt hat.

„Seit wann wohnt Mr. Veenstra bei Ihnen?", fährt der Polizist weiter. Er fragt nicht nach der besonderen Bindung, was mich beruhigt. Ich wüsste nicht, was in mir geschehen wäre, wenn er es getan hätte. Wenn er Sicily die Gelegenheit gegeben hätte, ihr Herz auszuschütten und mit ihrer Seele zu sprechen, welche so vielschichtig ist, dass sie mich regelrecht fasziniert. Ich bin froh, dass er ihr die Gelegenheit nicht gegeben hat, weil ich sonst wahrscheinlich wahnsinnig geworden wäre.

„Seit dem Sommer. Es war vielleicht eine sehr schnelle Entscheidung, aber für uns dennoch klar, dass wir gemeinsamen Raum brauchen und ich hatte noch ein freies Zimmer in meiner Wohnung."

Der Cop macht sich wieder Notizen und stellt weitere Fragen. Sicily erzählt von uns, als wären wir ein Traumpaar. Als wären wir diejenigen, die wir zu sein vorgeben. Als wären wir nicht die Lügner und Heuchler, die wir eigentlich sind. Es hört sich so gut an, dass mein Kopf zu platzen droht. Sicily spricht mit einer Stimme, welche sie mit so viel Liebe und Zuneigung zu mir vollpackt, dass mein Herz schmerzt. Ich frage mich, wie es wäre, wenn es so wäre. Ich frage mich, wie es wäre, wenn wir nicht lügen würden. Ich frage mich, wie es wäre, wenn sie tatsächlich zu mir gehören würde und wir ein Paar und nicht nur ein Abbild dessen wären. Und ich beginne zu glauben, dass mir das gefallen könnte. Ich habe Angst, dass mich diese Gedanken nicht so abstoßen, wie sie es sonst immer tun. Ich fürchte mich davor, weil ich nicht damit anfangen möchte, mich in einen Fehler zu stürzen, welchen ich nicht mehr ausbaden kann.

„Nun würden wir mit den intensiveren Fragen beginnen", räuspert sich der schlanke, kleine Kerl irgendwann und wirft mir einen verheißungsvollen Blick zu. Er wirft mich indirekt einfach heraus. Ich presse die Lippen zu einer Linie zusammen, weil sie allein hier zu lassen, das Letzte ist, was ich momentan machen möchte. Dann nicke ich ihm zu und befehle mir, mich endlich nicht mehr wie so ein Weichei aufzuführen.

„Ich warte im Auto auf dich", sage ich zu Sicily und verlasse den Raum dann ohne weitere Bekundungen, welche mich meine Männlichkeit gekostet hätten. Sie schafft das schon. Bisher ist es auch gegangen. Außerdem ist sie immer ruhiger geworden, je länger sie geredet hat. Dieser Gedanke beruhigt mich so weit, dass ich guten Gewissens zu meinem Auto gehen kann.

Ist es klug, dass Sicily nicht die Wahrheit gesagt hat 😬?

Wie wird wohl die einzelne Befragung für sie gehen?

Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat und wir lesen uns bald wieder 💗🎄

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