31 - Sicily

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Ich versuche, mich auf das Buch vor mir zu konzentrieren und aufmerksam zu lesen, auch wenn mich tausend Dinge durch den Kopf gehen, während ich mit Nacer und Pasquale in einem Privat-Jet sitze. Alles hier drin ist so teuer und exklusiv, dass mir zum ersten Mal bewusstwird, wie reich die beiden eigentlich sind. Ich schlucke und versuche, diesen Gedanken zu verbannen, weil er nicht hilfreich ist. Ich hätte es mir denken können. Als Formel 1-Rennfahrer hat man definitiv einen beachtlichen Lohn, auch wenn die beiden vielleicht nicht unbedingt diesen Lebensstandard haben. Beinahe lache ich über den Gedanken, während ich die teuren Ledersitze nochmal genau ansehe. Wem versuche ich hier eigentlich etwas vorzumachen? Sie gehen regelmäßig golfen, fliegen regelmäßig um die Welt und gehen genauso regelmäßig aus und genießen ihr Leben, während das Geld nur so aus den Taschen fließt, als gäbe es keinen Hahn, den sie zudrehen könnten.

Nacer nestelt unruhig an seinem Kragen, während er sich ein Champagnerglas in den Hals kippt. Er sitzt neben mir und hat seine Finger in die Armlehne des Sitzes gekrallt, sodass sein Arm nur wenige Zentimeter von meinem entfernt ist. Ich lasse mir das aber nicht anmerken und atme stattdessen einige Male tief durch. Nacer sieht heute wieder fantastisch aus, während er in lockere, weiße Anzugshosen und ein blaues Hemd gepackt ist. Dazu trägt er schicke Sneaker, welche ihm neulich erst zugeschickt worden sind. Er sieht durch sein Outfit nur noch wohlhabender aus, während eine Designer-Sonnenbrille auf seiner Nase das Outfit abrundet. Ich habe mich zu einem Partnerlook überreden lassen und mich für blaue Jeans und ein weißes Hemd entschieden. Auf eine Sonnenbrille habe ich verzichtet, zumal es hier nicht einmal wirklich Sonne hat und ich lesen möchte.

Pasquale sitzt uns gegenüber. Er selbst trägt blaue Jeans und ein simples, schwarzes T-Shirt dazu kombiniert. Er beobachtet Nacer stillschweigend über den Rand seines Klatschmagazins, äußert sich aber nicht zu dem nervösen Verhalten seines Freundes. Ich schlucke, während mir schlagartig bewusstwird, was denn eigentlich mit Nacer los ist. Er hat mir von seiner Flugangst erzählt. Wir sind wenige Minuten davon entfernt zu starten und er scheint Panik zu schieben. Vorher sind noch Turbulenzen angekündigt worden. Der Flug nach Italien ist im Vergleich zu anderen Flügen vielleicht nicht so lange, dauert dennoch genug lang, wenn man bedenkt, dass die Zeit sich immer in die Länge zieht, wenn es jemandem nicht gut geht.

Ich überlege mir, wie ich Nacer Halt geben sollte. Eigentlich sollte ich es gar nicht tun, denn er hat deutlich gemacht, was er von einer intimen Beziehung auf irgendeiner Ebene hält. Vor neun Jahren genauso klar wie vor zwei Tagen. Danach konnte ich mich in Arbeit ertränken und zwei neue Köche anstellen, aber jetzt kann ich ihm nicht mehr aus dem Weg gehen. Jetzt muss ich mich ihm stellen. Jetzt sitze ich neben ihm und er schiebt Panik. Ich atme möglichst unauffällig tief durch und streife seinen Arm dann mit meinem. Als Test dafür, wie viel Körperkontakt er ertragen würde. Ich möchte nämlich nicht, dass er die Nerven verliert und ausrastet, während Pasquale dabei zusieht. Auch wenn das eine Lösung für die Frage wäre, wann wir diesen Deal endlich abblasen. Ich habe zwar nichts gegen Nacer – zumindest nicht mehr so sehr wie auch schon, aber das ändert nichts an den Tatsachen, dass ich dabei bin, mir viel größeren Schaden anzurichten als ihm zu helfen, wenn ich zulasse, dass er mit meinen Gefühlen spielt, welche ich ab einem gewissen Punkt nicht mehr leugnen kann.

Ich fühle mich angezogen zu ihm. Ich kann nicht bestreiten, dass mein Körper auf seine Präsenz reagiert. Nur kann ich noch nicht sagen, ob es eine positive oder negative Reaktion ist.

Nacer scheint ein wenig zusammenzuzucken, beruhigt sich dann aber gleich wieder. Er selbst ist derjenige, welcher die Lehne plötzlich nach oben funktioniert und dann seinen Arm um meine Schultern legt. Mein Atem stockt und ich schlucke einige Male die Trockenheit in meinem Hals herunter. Ich hätte mir erlaubt, seine Hand zu halten. Mehr nicht. Das hier ist viel zu enger Körperkontakt. Das hier ist viel zu intim. In meinem Bauch wird es plötzlich warm, während ich das Gewicht seines trainierten Armes auf meinen Schultern spüre. Ich drehe mein Gesicht in seine Richtung. Er hat seine Sonnenbrille abgezogen und sieht mich nun mit seinen dunklen Augen an. Er scheint innerlich zerrissen zu sein, während sein Blick immer wieder auf meinen Lippen liegt.

Ich beiße mir auf die Lippen und widme mich wieder meinem Buch, weil ich nicht weiß, wie weitgehend meine Selbstkontrolle ist. Ich würde gerne sagen, dass es mich nicht beeinflusst, aber wie soll es mich denn nicht beeinflussen, wenn ich selbst an nichts anderes als seinen Kuss denken kann? Wie soll ich bewerkstelligen, dass es mich nicht trifft, dass er mich gerne küssen würde? Ich fühle mich, als bräuchte ich ihn, auch wenn ich sonst immer gut ohne ihn zurechtgekommen bin. Ich fühle mich, als würde ich etwas wollen, was mir nicht zusteht, auch wenn unsere Abmachung eigentlich das Gegenteil besagt. Ich spüre, wie sich die innere Zerrissenheit auch auf mich überträgt. Die Wörter vor meinen Augen verschwimmen zu einer undeutlichen Buchstabensuppe, weil Nacers Gegenwart mein Gehirn immer auf die bestmögliche Art und Weise benebelt. Ich spüre seinen Atem an meinem Ohr und benetze meine Lippen.

„Danke", flüstert er heiser. Seine Finger beginnen automatisch mit meinen offenen Haaren zu spielen und er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Alles in mir zieht sich zusammen, während ich es nicht wage, dieses Verhalten zu interpretieren. Wenn wir allein sind, weiß ich, dass er sich nicht verstellt. Wenn wir Gesellschaft haben und er derartige Dinge macht, kann ich nicht einschätzen, wie viel davon ernst gemeint ist und wie viel davon nur eine Show sind. Ich glaube nämlich wirklich, dass Nacer ein guter Schauspieler ist. Deshalb macht es mir umso mehr Angst, dass ich seine Motivationen nicht durchschauen kann. Es macht mir so Angst, weil mein Herz schneller schlägt, ich aber nicht weiß, ob das für ihn alles nur ein Spiel ist. Ich versuche, seine Präsenz ein wenig auszublenden und schließe meine Augen. Vielleicht ist es einfacher, zu ignorieren, wie nahe er mir ist, wenn ich die Nähe nicht sehen muss.

Doch diese Pläne werden alle über Bord geworfen, als das Flugzeug abhebt, Nacers Körper sich neben meinem verspannt und seine Finger sich etwas fester um meine Schultern spannen. Verdammt, das wird ein langer Flug.

Was halten wir von dem Flug?

Wie wird sich die Situation zwischen Nacer und Sicily wohl noch entwickeln?

Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat & wir lesen uns bald wieder 🥰

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