Die Königinnen

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„Wenn wir diese Königinnen umbringen, stecken wir in einem größeren Schlamassel als je zuvor. Es wurden schon Kriege aus nichtigeren Gründen angezettelt. Der Mord an einer Königin – ganz zu schweigen an vier – wäre eine Katastrophe", führte Cassian weiter aus, als niemand etwas sagte. Rhysand nickte zustimmend.
„Jeder würde wissen, wer es getan hat, ungeachtet der Gründe, die wir als Rechtfertigung erfinden", sagte er.
„Nur wenn wir schlampig vorgehen", schoss ich zurück, als hätte ich genau mit diesem Einwand gerechnet – was eigentlich auch stimmte.
Azriels Augen weiteten sich ein wenig.
„Außerdem sind es nur drei Königinnen, wenn wir Briallyn nicht finden", fügte ich schulterzuckend hinzu.
Cassian gab einen fassungslosen Laut von sich.
„Wir können nicht einfach neue Königinnen auf den Thron setzten, nur weil uns der Sinn danach steht. Das geht über unsere Zuständigkeit hinaus", warf Rhysand ein.
Ich stemmte mich mit beiden Händen auf den Tisch.
„Diese Frauen haben ihr gesamtes Reich verraten, um unsterblich zu werden. Denkst du wirklich, sie würden es nicht wieder tun?", hielt ich weiter dagegen.
„Es liegt nicht in unserer Verantwortung, sie auszutauschen. Wir würden zu viel riskieren", sagte Rhysand.
„Also willst du zusehen, wie die anderen Reiche auf dem Kontinet einen neuen Krieg anzetteln, um ihr Herrschaftsgebiet zu erweitern? Die Königinnen sind jetzt zwar unsterblich, aber ihr Land ist es nicht."
„Die Grenzen dieser neuen Welt wurden noch nicht festgelegt, daher will Vallahan den Vertrag nicht unterschreiben und stattdessen abwarten. Das trifft eigentlich auf alle Fälle Reiche auf dem Kontinet zu", berichtete Mor bitter.
„Wir verschwenden kostbare Zeit damit, Informationen zu sammeln, anstatt zu handeln", sagte sie und sah Rhysand grimmig an.
„So verlockend es auch klingt, den einfachen Weg zu gehen, aber ich pflichte Cassian bei. Es mag eine einfache Lösung unserer derzeitigen Probleme sein, die auch Beron einen Strich durch die Rechnung machen würde. Aber dadurch würde ein Konflikt entstehen, der viel größer ist, als wir uns vorstellen können." Rhys legte den Kopf auf die Seite. "Aber das ist dir bewusst."
Ich schenkte ihm ein freches Lächeln, wurde aber schnell wieder ernst.
„Die Reiche auf dem Kontinent würden so oder so einen Krieg beginnen, um ihre Grenzen auszuweiten. Was dann im Endeffekt ausschlaggebend ist, ist dabei nicht so wichtig." Rhysand öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber ich hob die Hand und bat ihn, mich aussprechen zu lassen. Cassian musterte mich eindringlich. Kurz nagte ein schlechtes Gewissen an mir, da ich kein Wort darüber verloren hatte. Ich hätte ihm auch ein Eimer mit kaltem Wasser überkippen können – seine Reaktion bliebe die gleiche. Aber meine Entschlossenheit war größer.
„Die Königinnen sind bereit, diesen Krieg anzunehmen, weil sie ihre eigenen machthungrigen Pläne durchsetzen wollen, und ihre Armeen werden ihnen folgen. Doch wenn sie erfahren würden, dass ihre Herrscher nicht mehr menschlich sind und jetzt als Fae durch die Gegend stolzieren, würde es Unruhen geben, die sich in kürzester Zeit auch zu dem gewöhnlichen Volk ausbreiten werden. Je mehr Zwietracht wir sähen können, desto einfacher wird es für mich." Ich sah Azriel. Seine Augen waren fasziniert geweitet, und er verstand sofort, was seine Aufgabe dabei wäre. Beweise sammeln und die Informationen in die Reihen der Soldaten schleusen, ohne dass der Verdacht auf uns fällt.
„Vom Kessel erschaffen oder nicht, Fae bleibt Fae", murmelte Mor. Ich nickte.
„Aber wenn wir sie durch andere Königinnen ersetzten würden, die wir als würdig empfinden und die wirklich in der Lage sind, verantwortungsbewusst zu herrschen, haben sie auch die Absicht, keinen weiteren Krieg zu riskieren. Das würde Vallahan und die anderen Reiche dazu bringen, den Vertrag zu unterschreiben, da sie keine Möglichkeit mehr haben, ihr Herrschaftsgebiet auszuweiten.
Rhysand blinzelte erstaunt. „Du hast das alles schon geplant, oder?"
Es war zwar nicht wirklich eine Frage, eher eine Feststellung, aber ich antwortete trotzdem: „Mehr oder weniger."
Er sah tatsächlich ziemlich beeindruckt aus, war aber immer noch nicht richtig überzeugt.
„Dann nehme ich an, dass du diese Mission auch ausführen willst. Darauf läuft das alles hier doch hinaus, oder?", fragte Rhysand und traf damit mitten ins Schwarze.
Ich ignorierte Cassians eindringlichen Blick, der mir sagte, nicht mal daran zu denken.
„Das habe ich vor, ja."
„Ein Fehler und du wärst Tod. Ich werde nicht zulassen, dass du in die Höhle von vier Löwen marschierst, und dabei ruhig sitzen bleiben. Das ist zu gefährlich", sagte Cassian.
In seinen Worten schwang so viel Schärfe mit, dass selbst Amren einen Blick auf Cassians steinerne Miene warf. Diesen unnachgiebigen Tonfall hatte ich seit dem Krieg nicht mehr gehört. Aber das würde mich nicht davon abbringen. Dafür hatte sich diese Idee zu fest in meinem Kopf verankert.
„Mein Plan ist wie immer fehlerlos. Ich bin keine Laie, was das betrifft. Mit der Unterstützung von Azriel werde ich das schaffen", entgegnete ich.
„Ich stimme ihr zu", meldete sich Azriel zu Wort. Cassians Kopf fuhr zu ihm herum.
„Sie haben es nicht verdient, weiter zu herrschen. Sie sind eindeutig zu weit gegangen, indem sie ihre eigenen Begierden über ihr Volk gestellt haben."
„Es ist gut möglich, dass ihr Tod einen Konflikt auslöst, doch wenn sie weiter leben, ist das ein größeres Risiko", stimmte Feyre zu.
„Zudem haben sie sich mit Hypern verbündet, Feyres Schwestern als Versuchsobjekt missbraucht und haben die anderen beiden Königinnen verraten", sagte Mor. „Wenn ihr mich fragt, haben diese Frauen mehr als nur den Tod verdient."
Ihre Zustimmungen bestärkten mich, sodass ich mich wieder an Rhysand richtete.
„Azriel hat mich persönlich ausgebildet und ich habe in Laufe der Jahrhunderte unzählige eigene Erfahrungen gesammelt. Es wäre nicht das erste Mal, dass du mich als Assassine losschickst."
Er zog wieder die Augenbrauen zusammen.
„Es kann sein, dass sie jetzt mächtiger sind als vorher, denn Sie waren auch davor bereits in der Lage, den Wind zu teilen. Wir wissen nicht, ob die Königinnen vielleicht mehr bekommen haben als ihre Unsterblichkeit", gab Rhysand zu bedenken. Ich knirschte mit den Zähnen, das war ein guter Punkt. Ich öffnete gerade den Mund, um etwas zu entgegen, als Cassian mit zuvor kam.
„Sie haben ihre Schutzzauber verdoppelt und verstecken sich in ihrem Palast. Auch Azriel kann nicht zu ihnen durchdringen."
Meine Augen verengten sich.
„Deswegen werde ich ja auch nicht einfach zur Vordertür hereinspazieren", erwiderte ich.
„Und wie genau willst du an sie rankommen?", fragte Cassian grimmig. Er war alles andere als begeistert.
„Die Details spielen jetzt keine Rolle", wehrte ich ab, da ich wusste, dass dieser Teil meines Plans ihn nur noch mehr aufwühlen wird.
„Die Königinnen würden sich nicht auf einen Krieg einlassen, den sie nicht gewinnen können." Sie müssen irgendeine Waffe haben, die ihnen genug Sicherheit gibt. Wenn sie diese Waffe gegen dich einsetz.... "
„Sie werden ihren einzigen Vorteil wohlkaum einfach so preisgeben", unterbrach ich ihn bestimmt und wandte mich wieder an Rhysand.
„Diese Mission wird so oder so sehr zeitaufwändig werden. Wenn ich schon mal an ihrem Hof bin, kann ich auch nach einer Waffe suchen. Oder irgendein Hinweis darauf, wie Sie diesen drohenden Krieg überstehen wollen."
Rhysand verschränkte die Arme vor der Brust und schien zu überlegen.
Nach einer Waffe zu suchen, wäre noch ein Risiko, das gefährlich werden würde, vor allem, wenn ich tatsächlich fand, was sie verborgen hielten.
„Schick mich!", schoss es aus Cassian heraus. „Oder lass mich zumindest mit ihr gehen."
Rhys schien nicht von seiner Reaktion überrascht zu sein. Er konnte von allen am besten nachvollziehen, wie es ist, seine Seelengefährin beschützen zu wollen. Und da Cassian in jeder kritischen Situation dazu bereit war, sich selbst an Stelle seiner Freunde zu opfern, kam diese Bitte aus voller Überzeugung.
„Ich erhöhe mit Freuden die Anzahl der Toten, um sie zu beschützen."
Für seine Bemerkung erntet er einen Blick von Rhysand, der sich nur als Zurechtweisung deuten lässt.
„Das steht nicht zur Debatte", entschied Rhysand mit einer Stimme, die keine Widerworte erlaubte.
„Was denkst du darüber?", wandte sich Rhysand hilfesuchend an Amren, die bis jetzt kaum etwas gesagt hatte, aber sich bestimmt ihre eigene Meinung gebildet hatte und nur darauf gewartet hatte, sie im richtigen Moment preiszugeben. Obwohl Zurückhaltung nicht gerade zu ihren Stärken gehörte.
Wenn der High Lord beschloss, seinen ersten Offizier zu einer wichtigen Sache zu befragen, sag es gut für meinen Plan aus. Er vertraute auf ihre Einschätzung und wollte hören, was seine parteilose Freundin darüber dachte.
Ihre, mit Edelsteinen besetzten Armreifen, klimpern, als sie sich in ihrem Sessel aufsetzte. Cassians Blick fixierte sie.
„Diese Mission erfordert Präzision und Geduld – und es mangelt dir an beidem", sagte sie zu Cassian. „Du bist ein General, ein Krieger, aber kein Spion. Wenn wir diesen Putsch wirklich wagen, brauchen wir jemanden, der beides perfektioniert hat." Ihr Blick richtete sich auf mich und ihre dunkelroten Lippen verzogen sich zu einem raubtierhaften Lächeln.
„Ich kenne niemanden, der besser dafür geeignet wäre als Aviana." Ich blinzelte überrascht. Ein so direktes Lob hörte man selten aus ihrem Mund. Doch sie war noch nicht fertig.
„Wenn wir die Möglichkeit haben, einen weiteren Krieg im Keim zu ersticken, sollten wir sie ergreifen. Sieh mich nicht so an, General", wandte sie sich an Cassian. Du müsstest am besten wissen, dass unsere Truppen keinen weiteren Krieg überstehen würden. Also schlucks runter und überlass das Aviana."
„Das gefällt mir nicht", knurrte er.
„Das muss es auch nicht", entgegnete Amren. „Du brauchst einfach nur den Mund zu halten und zu tun, was man dir sagt."
„Amren", sagte Rhys mit einem vorwurfsvollen, warnenden Tonfall. Aber Amren zuckte nicht mal mit der Wimper.
„Wie ich bereits sagte, wir stehen kurz vor einem weiteren Krieg. Wenn wir die Bedrohung von den Königinnen und dem Herbsthof länger ignorieren, endet es in einer Katastrophe, die wir nicht verkraften werden. Unser Meisterspion und unsere beste Viper werden diese Sache erledigen." Dass sie den alten Begriff der Assassinen verwendete, verdeutlichte ihr Vertrauen in mich. Ich wusste selbst, dass ich mir da sehr viel aufgebürdet habe. Eine vergleichbare Mission hatte es bis jetzt noch nie gegeben.

Cassian stieß ein unheilvolles Grollen aus und wirbelte verzweifelt zu Rhysand herum. Auch Azriels Blick wanderte zu ihm, doch Rhysands Miene gab nichts preis.
Amrens Befehl galt. Als Rhys erster Offizier konnte sie nur von ihm überstimmt werden. Ihr Wort war Gesetz. Egal, wie sehr Cassian sich dagegen sträubte.
„Das kann doch nicht euer Ernst sein", versuchte Cassian es erneut. „Wir besprechen hier über einen internationalen Konflikt, der auch Auswirkungen auf die Fae Reiche auf dem Kontinent hat. Die High Lords würden die Sache wahrscheinlich relativ schnell fallen lassen, falls das rauskommt. Aber Vallahan würde einen Krieg starten, da wir dafür verantwortlich sind, dass sie ihr Gebiet nicht ausweiten konnten."
„Sie würden auch einen Krieg anzetteln, wenn wir nicht handeln würden", erwiderte Rhys, auch wenn Cassians Sorge berechtigt war.
„Aviana ist fähig dazu, diese Mission auszuführen und dabei alles unter Verschluss zu halten. Das ist einer der Gründe, warum ich, wenn überhaupt, sie damit beauftragen würde. Dieses Wissen wird nicht über den Rand der hier Anwesenden hinausgehen."

„Wir werden sie die ganze Zeit über im Auge behalten", beschwichtigte Azriel.
„Augen können geblendet werden", gab Cassian zu Bedenken.
„Nicht die, die unter meinem Kommando stehen", sagte Azriel.
„Ich würde auch einen anderen Weg vorziehen, aber wir müssen so schnell handeln wie möglich, damit sich nicht noch mehr Reiche gegen uns verbünden. Du weißt, dass die Illyrianer immer noch mit den Verlusten zu kämpfen haben, und unsere Ressourcen sind immer noch zu sehr erschöpft, als dass sie einen weiteren Krieg überstehen würden", sagte Rhysand.
„Verdammt, das weiß ich", resignierte Cassian und fuhr sich durch die dunkeln Haare. Doch ich spürte, dass es unter seiner Oberfläche immer noch aufgebracht brodelte. Auch nachdem Rhysand das Gespräch für beendet erklärt hat.

Das Reich der Sieben Höfe - Licht Und KroneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt